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Den Rhythmus zerreißen

Branford Marsalis holte im Quasimodo runde Töne aus seinem Sopransaxophon

Branford Marsalis hat schlechte Laune. Am Ende seiner Europatournee in Berlin angelangt, liegen vor Erschöpfung die Nerven bloß. Da kann ein verpasstes Flugzeug einem schon mal den Rest geben. Vor allem, wenn man Golfer ist und sich gerne bei einer netten Runde auf dem Rasen entspannt hätte.

Bei seinem letzten Auftritt in der Columbiahalle vor zwei Jahren trug er nach dem Konzert neben seinem Saxofonkoffer auch eine kleine Tüte mit frischen Golfbällen zurück ins Hotel. Dass Jazz und Sport zusammengehen, galt bisher vor allem beim Boxen. Doch auch Basketball und Jazz werden eins, wenn es um nationale Identität geht. So geschehen beim national übertragenen Spiels der mediengehypten Rückkehr Michael Jordans zur NBA, zu der Branford den Soundtrack gab.

Nach dem unverständlicherweise mit einem Grammy ausgezeichneten Album „Contemporary Jazz“ schien der damals 40-jährige erstmal genug vom Jazz zu haben. Vor allem der plötzliche Tod seines langjährigen Pianisten Kenny Kirkland, der vor fast genau zwei Jahren nach einer Überdosis in Queens gefunden wurde, machte ihm zu schaffen. Bei Branfords letzten Clubgig im Quasimodo vor drei Jahren saß Kirkland noch am Flügel. Viele waren an dem Abend nur gekommen, um den Pianisten zu sehen. Dagegen wirkte Branford Marsalis unzufrieden und orientierungslos.

An diesem Wochenende schien die Musik ihn wieder zu fassen. Nach der musikalischen Standortbestimmung zwischen Coltrane, Ornette Coleman, Paul Motian und immer wieder auch Kompositionen von Kirkland und seinem Schlagzeuger Jeff „Tain“ Watts, spielte er seine eigenen Stücke im zweiten Teil zu einer Art Suite zusammengefügt. Das Quartett mit Bassist Eric Revis und Pianist Joey Calderazzo bildete eine Einheit und die Improvisationen waren von einer atemlosen Dichte, wobei treibende Rhythmus von „Tain“ Watts die Spannung bis zum Zerreißen dehnte. Darüber lagen die tiefen, sich ausbreitenden Läufe von Marsalis, der sogar aus seinem Sopransax dunkle, runde Töne modellierte. Es blieb ein vorsichtiges, respektvolles Herantasten an die Musik, eine ständige Neubegehung. Marsalis beherrscht mühelos sämtliche Sounds und Techniken der Jazzgeschichte, ohne bisher „seinen“ Sound bestimmt zu haben. Seine größte Leistung ist die des Bandleaders, der aus seinen Musikern das Beste herausholen kann.

Marsalis bleibt auf der Suche. Nach seinem öffentlichen, in Interviews und Leserbriefen ausgetragenen Streit mit seinem Bruder Wynton Mitte der 80er-Jahre, als Branford aus Wyntons Band zu Sting und damit zum Pop wechselte, und dem anschließenden Job als musikalischer Direktor der „Tonight Show“ von Jay Leno, suchte er nach radikaler Abgrenzung und begann, für Spike Lee Filmmusik zu schreiben und in Hip-Hop-Klamotten als „Buckshot LeFonque“ Funk zu spielen. Zuletzt folgte mit „Creation“ ein Klassikalbum. Doch die Suche scheint weiterzugehen. Diese Woche hat er einen Studiotermin mit seinem Jazzquartett.

MAXI SICKERT

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