piwik no script img

Den Haag legt Grenze festSudans Sollbruchstelle

Seit Jahren streiten Nord- und Südsudan um das ölreiche Gebiet Abyei. Nun hat der internationale Gerichtshof in Den Haag die Grenze neu festgelegt.

Entscheidung gefällt, die den Süden Sudans schwächt: internationaler Gerichtshof. Bild: ap

Seit Sudans Regierung und die ehemalige südsudanesische Guerilla SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung) Anfang 2005 nach über zwanzig Jahren Krieg miteinander Frieden schlossen, gilt der Streit um die Ölregion Abyei im Zentrum des Landes als Sollbruchstelle des Friedensprozesses. Die Schiedsstelle des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag hat nun darüber eine Entscheidung gefällt, die den Süden schwächt.

Abyei war eines von mehreren kleinen Gebieten Sudans, deren Status ungeklärt blieb, als das Friedensabkommen von 2005 dem Südsudan Autonomie unter SPLA-Führung gewährte und für 2011 ein Unabhängigkeitsreferendum ansetzte. Die Region Abyei liegt auf der Nordseite der südsudanesischen Grenze, ist aber mehrheitlich von der südlichen Dinka-Volksgruppe bewohnt, Hauptstütze der SPLA. Abyeis Dinka gehörten zu den wichtigsten Kämpfern der SPLA während des Krieges, ihre nördlichen Nachbarn vom arabisierten Volk der Misseriya kämpften als Milizionäre gegen sie. Diese Region Sudans erlebte einige der blutigsten Kämpfe des Krieges, und die Zugehörigkeit der Dinka von Abyei zum Südsudan ist für die SPLA eine Prestigefrage.

So wurde festgelegt, dass Abyeis Bewohner 2011 selbst entscheiden, ob sie zu Nord oder Süd gehören. Nicht festgelegt wurde aber, welche Fläche die Region Abyei umfasst. Die Rede war lediglich von neun "Chieftaincies" (Stammesgebieten) der Dinka, die 1905 zu Beginn der britischen Kolonialherrschaft der nordsudanesischen Provinz Kordofan zugeschlagen wurden. Weil alle Völker dieser Region Nomaden sind, bezeichneten "Chieftaincies" aber keine Flächen, sondern lediglich Menschen.

Aus Sicht von Khartum bezog sich der Transfer von 1905 nur auf Gebiete südlich des Flusses, an dem die Stadt Abyei liegt; der Rest sei sowieso immer Teil Kordofans gewesen. Die SPLA fand hingegen, Abyei umfasse alle Gebiete, in denen Dinka-Nomaden umherzogen, also ein viel größeres Territorium. Eine Grenzkommission wurde eingesetzt, und sie folgte eher der SPLA-Linie. Sie definierte ein Gebiet, in dem sowohl Dinka- als auch Misseriya-Nomaden traditionell wirtschaften, genannt "Shared Rights Area", und zog die Grenze in der Mitte.

Khartum akzeptierte das nicht. Im Mai 2008 machten schwere Kämpfe zwischen Regierungsarmee und SPLA die Stadt Abyei dem Erdboden gleich. Abyei, so wurde damit klar, hatte das Potenzial, Sudan in einen neuen Krieg zu stürzen. Beobachter warnten vor einem "neuen Kaschmir". Im Juli 2008 übergaben die beiden Seiten den Fall dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Den Haag hat nun die Regelung der Abyei-Grenzkommission verworfen. Die neue Grenze verläuft weiter südlich als die alte, und Abyeis Fläche schrumpft von 18.559 auf 10.460 Quadratkilometer. Am brisantesten: Das Ölfeld Heglig 2, eines der größten des Sudans, liegt nicht mehr in der Region Abyei und damit nicht mehr in einem Gebiet, das Südsudan beanspruchen kann.

Der Spruch sei "endgültig und bindend", erklärte Schiedsstellenleiter Pierre-Marie Dupuy. Seine Respektierung sei "die Schlüsselbedingung für eine gerechte und friedliche Zukunft ganz Sudans". Er forderte Khartum und die SPLA auf, Beratungen über die Demarkation der Grenze aufzunehmen.

Die Regierung in Khartum und die SPLA nahmen den Schiedsspruch an. Südsudans Vizepräsident Riek Machar sagte, die Entscheidung werde "den Frieden in Sudan konsolidieren". Genau daran aber zweifelt die UN-Mission im Südsudan (Unmis). Sie monierte schon am Wochenende, die SPLA habe Truppen in Abyei zusammengezogen, und verlangte deren Abzug. Khartum wiederum hat seine Truppen in der Umgebung massiv aufgerüstet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!