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Demütigung und Schadenfreude

Die Meinungen zum Milošević-Prozess sind in Serbien geteilt. Vergangenheitsbewältigung ist kein Thema

BELGRAD taz ■ Mit gemischten Gefühlen beobachten Millionen Serben den Prozess gegen Slobodan Milošević vor dem Haager Tribunal. Abgeordnete der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) verließen demonstrativ die Sitzung des Parlaments, um ja nichts von der Liveübertragung im Staatsfernsehen zu versäumen. Nicht der ehemalige serbische und jugoslawische Präsident und Noch-SPS-Vorsitzende Milošević, sondern „das ganze serbische Volk“ sitze auf der Anklagebank, meint Parteifunktionär Ivica Dačić und sprach vielen Serben aus der Seele. Der Prozess sei eine Demütigung für Serbien.

Andere fühlen sich vom „Prozess des Jahrhunderts“ überhaupt nicht betroffen. „Hauptsache, wir sind den Schurken los und haben eine Chance auf ein besseres Leben. Der Prozess interessiert mich nicht, solange er hinter Gittern bleibt“, sagt der Student Jovica Blagojević. Jahrelang habe er gegen das Regime Milošević demonstriert. Die Verantwortlichen sollten bestraft werden, doch Kriegsverbrechen seien für ihn kein Thema, er habe diese nicht begangen.

Ob sie nun Milošević nachtrauern oder schadenfroh dem entmachteten Volksführer im Gerichtssaal zuschauen – kaum jemand in Serbien sieht in diesem Prozess eine Möglichkeit für das Land, sich mit dem vergangenen Jahrzehnt auseinander zu setzen. Die kurz nach der Wende im Oktober 2000 entdeckten Massengräber in Serbien, die Lkws voller Leichen von Kosovo-Albanern in der Donau, die Zerstörung von Vukovar, die dreijährige Belagerung von Sarajevo, das Massaker an den Muslimen in Srebrenica sind heute kein Thema in Serbien. Termini wie „Vergangenheitsbewältigung“ spricht kaum jemand laut aus, von einem Schuldgefühl kann keine Rede sein.

Für die serbische Regierung ist das Haager Tribunal eine rein politische Angelegenheit. „Kooperation oder Isolation“, so definierte Serbiens Premier Zoran Djindjić die Zusammenarbeit mit dem Tribunal. Wenn Belgrad nicht mitmache, gebe es auch keine finanzielle Unterstützung. Jugoslawiens Präsident, Vojislav Koštunica, nannte die Auslieferung von Milošević an das Tribunal „gesetz- und verfassungswidrig“. Jugoslawien hat immer noch kein Gesetz, das die Zusammenarbeit mit dem Tribunal regelt. Das heikle Thema wird im Parlament gemieden.

Die Tatsache, dass in der Mehrheit serbische Politiker auf den Anklagelisten des Tribunals stehen, erschwert zusätzlich die Position der serbischen Regierung. Die allgemeine Meinung in Serbien ist, dass das ehemalige Jugoslawien in einem Bürgerkrieg untergegangen ist, in dem auf allen Seiten Kriegsverbrechen begangen worden sind. Die albanische „Kosovo-Befreiungsarmee“ (UÇK) sei nach allen internationalen Kriterien eine „terroristische Organisation“ gewesen, die Terroraktionen durchgeführt haben soll, meinten Milošević’ serbische Anwälte. Indem in der Hauptsache Serben angeklagt werden, wolle das Tribunal Serbien als Aggressor darstellen und alle anderen von der Schuld befreien. ANDREJ IVANJI

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