Demos gegen französische Polizeigewalt: Barrikaden und Wasserwerfer
Orléans, Poitiers, Lille, Amiens, Marseille, Paris und vor allem Nantes: In vielen französischen Städten protestieren Tausende gegen Polizeigewalt.
Auch in Orléans, Poitiers, Lille, Amiens, Marseille sowie in Paris demonstrierten Tausende von Personen. Für sie ist Steve als Opfer mutmaßlicher Polizeigewalt ein Emblem einer dramatischen Gefährdung der Bürgerrechte geworden. Viele der Kundgebungsteilnehmenden trugen gelbe Westen, denn auch bei der Protestbewegung der Gilets jaunes der letzten Monate waren unzählige Menschen bei unverhältnismäßigen Interventionen der Polizei zum Teil schwer verletzt worden.
Auf dem Place de Clichy in Paris sammeln sich am Mittag rund tausend Personen. Auf einem großen Schild steht „Gerechtigkeit für Steve – Wir vergessen und vergeben nicht!“. In das zornige Gedenken mischt sich der Protest gegen die Ordnungs- und Sicherheitspolitik schlechthin und die Empörung. So sagt Dorian, ein 32-jähriger Handwerker: „Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Land eine solche Entwicklung zu einem repressiven Polizeistaat erleben würde. Wenn man weiß, wohin das in anderen Ländern geführt hat, weil sich die Bürger nicht gewehrt haben, muss man sich mobilisieren.“
Neben ihm ist eine mit roten Kreuzen gekennzeichnete Gruppe von „Streetmedics“ (freiwillige Sanitäter) im Einsatz wie nun bei praktisch jeder Demonstration. Sie kümmern sich jeweils um die Verletzten, die es gerade bei den Aktionen der Gelbwesten gegeben hat.
Tränengas und Wasserwerfer in Nantes
Trotz eines Versammlungsverbots in weiten Teilen der Innenstadt von Nantes formierte sich zu Beginn des Nachmittags ein Demonstrationszug, in dessen Verlauf es rasch zu ersten Zusammenstößen kam, als die Gendarmerie Tränengas und Wasserwerfer einsetzte. Auf dem Weg ins Zentrum wurden Barrikaden errichtet und in Brand gesteckt. Die Polizeipräfektur hatte aus Furcht vor solchen Ausschreitungen jegliche Kundgebung untersagt.
Für die Protestierenden aber goss damit die Behörde, die sie für den Tod von Steve verantwortlich machen, noch zusätzlich Öl ins Feuer. Ebenso provokativ war für Steves Freunde der interne Untersuchungsbericht der polizeilichen Inspektionsbehörde, in dem jegliche Verbindung zwischen dem tragischen Tod von Steve und der Intervention der Polizei am Loire-Ufer geleugnet wird. Die Regierung hat in diesem Zusammenhang werden weitere Abklärungen verlangt. Zudem läuft eine gerichtliche Untersuchung wegen „fahrlässiger Tötung“.
In der Nacht vom 21. auf den 22. Juni fand im Zusammenhang mit dem alljährlichen Fest der Musik am Ufer der Loire in Nantes eine Techno-Party statt. Es ging noch hoch her, als die Polizei nach vier Uhr früh vor Ort eintraf, um den Anlass zu beenden. Warum die Beamten dabei nicht weniger als 33 Tränengasgranaten sowie mit Hartgummikugeln verschoss, ist unklar. Was auf Videos zu sehen ist, schockiert: Von mit ihren Gummiknüppeln schlagenden Polizisten werden die anwesenden Jugendliche gejagt, von denen 14 in die Loire fallen.
Einer blieb verschwunden: der 24-jährige Steve Maïa Caniço. Erst mehr als einen Monat später wurde seine Leiche im Fluss geborgen. Seine Freunde, die ihn als völlig friedfertigen und fröhlichen Technomusikfan beschreiben, wussten, dass er nicht schwimmen konnte. Seit Wochen protestierten sie gegen den unverantwortlichen Polizeieinsatz mit der bangen Frage „Wo ist Steve?“, die dann zum Slogan einer landesweiten Solidaritätskampagne in den sozialen Netzwerken wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!