Demonstrationen in Panamá: Kampf auf brennenden Barrikaden
Ein Streik in einer Bananenplantage nimmt bürgerkriegsähnliche Ausmaße an. Dabei geht es nicht nur um mehr Lohn, sondern um das neue neoliberale Arbeitsrecht.
BERLIN taz | So hatte sich das Ricardo Martinelli sicher nicht vorgestellt. Seit einem Jahr regiert der rechtspopulistische Präsident in Panamá, Mitte Juni hatte er eines seiner liebsten Projekte durchs Parlament gepeitscht: ein neues neoliberales Arbeitsrecht. Drei Wochen später eskalierte der erste Arbeitskampf danach zu bürgerkriegsähnlichem Ausmaß.
In der karibischen Provinz Bocas del Toro an der Grenze zu Costa Rica liefern sich Sicherheitskräfte und die streikenden Arbeiter einer Bananenplantage offene Schlachten. In der Provinzhauptstadt Changuinola brennen Barrikaden, Geschäfte und Autos. Eine Polizeistation ging in Flammen auf. Zwei Arbeiter wurden erschossen, über 300 verletzt. Auch unter den Polizisten gibt es Schussverletzte. Über 100 Streikende wurden festgenommen. Es herrscht eine nächtliche Ausgangssperre. Die Streikenden fordern die Rücknahme der eben verabschiedeten Gesetze.
Martinelli, einer der reichsten Männer Panamás und unter anderem Besitzer der größten Supermarkt-Kette des Landes, war im Mai vergangenen Jahres als Kandidat des von ihm geschaffenen Wahlvereins "Demokratischer Wandel" (CD) zum Präsidenten gewählt worden. Sein Versprechen: Er verstehe etwas von Wirtschaft und werde das Land wieder flottmachen. Die weltweite Finanzkrise hatte den Bankenstandort Panamá besonders geschüttelt. Das neue Arbeitsgesetz soll nach seiner Vision nun die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen. Das Rezept: Deregulierung.
Unter anderem sehen die jüngst verabschiedeten Gesetze neue Regeln für Streiks vor. Unternehmen können nun Streikende entlassen und durch neu eingestellte Arbeitswillige ersetzen. Private Investitionen, die von der Regierung als wichtig erachtet werden, können in Zukunft auch ohne Umweltgutachten genehmigt werden. Betriebe sind nicht mehr verpflichtet, die Gewerkschaftsbeiträge für ihre Arbeiter direkt abzuführen. Dieses Gesetz war in den siebziger Jahren ein Geschenk des linkspopulistischen Diktators Omar Torrijos an die Arbeiter und hatte den Gewerkschaften eine solide finanzielle Basis garantiert.
Um Proteste im Rahmen zu halten, hatte Martinelli in einem Aufwasch auch gleich das Demonstrationsrecht einschränken lassen. Wer Straßen blockiert - etwa mit nicht genehmigten Umzügen - wird in Zukunft mit zwei Jahren Haft bestraft. Trotzdem hatte das Gesetzespaket Mitte Juni die größte Demonstration zur Folge, die Panamá-Stadt seit Jahren gesehen hatte. Über 60 Gewerkschaften, Sozialverbände und Umweltorganisationen hatten dazu aufgerufen, mehrere Zehntausend waren auf die Straßen gegangen.
In der Bananenprovinz Bocas del Toro wurden die Gesetze nun erstmals angewandt. Die Arbeiter der einheimischen Bocas Fruit Company stritten um höhere Löhne, die Bezahlung von Überstunden und den Ausgleich für Sonntagsarbeit. Die Firma drohte mit Entlassungen. Anfang Juli kam es zu ersten Demonstrationen. Die Regierung reagierte mit einer Verstärkung der Polizei, und so eskalierte der Konflikt vom Arbeitskampf zum militanten Protest gegen die neue Gesetzgebung. Am Dienstag soll in allen Bananenplantagen des Landes gestreikt werden.
Martinelli ist entschlossen, diesen Kampf zu gewinnen. Seine Arbeitsministerin Alma Lorena Cortes wiederholt bei jeder sich bietenden Gelegenheit: "Das Gesetzespaket wird nicht rückgängig gemacht." Martinelli selbst verunglimpft in bester rechtspopulistischer Manier die Streikenden. Die Proteste in Bocas del Toro seien gar kein lokaler Arbeitskampf, sondern würden von "Ausländern und Oppositionellen" organisiert. Auch das Niederbrennen von Autos, Geschäften und einer Polizeistation nimmt er nicht weiter ernst. Dafür seien "ein paar Betrunkene" verantwortlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles