piwik no script img

Demonstrationen in GeorgienEUphorisch

Zehntausende Georgier gehen gegen das „Ausländische Agenten“-Gesetz auf die Straße. Kids raven zu Sirenen. Der Protest hat vorerst Erfolg.

Protest in Tiflis am 09.03.2023 gegen die geplanten Gesetze zu „ausländischen Agenten“ Foto: Zurab Tsertsvadze/ap

Die Kids raven. Etwa zwanzig sind es, sie hüpfen mitten auf der Straße herum, schütteln ihre Körper, nicken mit ihren Köpfen, recken Mittelfinger hoch. Sie tragen Atemschutzmasken, Schutzbrillen, dicke Kopfhörer. Aber sie tanzen nicht zu Techno. Sie tanzen zu Warnsirenen der Polizei.

Wir befinden uns auf der zentralen Straße von Tbilissi, der Hauptstadt Georgiens. Es ist der 9. März, 2 Uhr früh, die zweite Nacht der Proteste. Begonnen hatten sie unmittelbar nach Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzentwurfs durch das Parlament. Demnach müssten sich NGOs und Medien, die mehr als 20 Prozent der Mittel aus dem Ausland erhalten, als „ausländische Agenten“ registrieren lassen. Das „russische Gesetz“ wurde es genannt. Dort hat ein ähnliches Gesetz kritische Stimmen zum Schweigen gebracht.

Der Klang der Sirenen verstummt. Die Menge jubelt und applaudiert. Man könnte meinen, dass sie nun den Künstler feiert, der gerade die Vorstellung seines Lebens beendet hat. Doch die Menge ist wütend.

Drei Tage und zwei Nächte hintereinander sind zehntausende Georgier auf die Straße gegangen und haben die Rücknahme des Gesetzentwurfs gefordert. Viele fürchteten, dieses Gesetz könne Georgiens europäischen Traum zerstören. Rund 80 Prozent der Bevölkerung unterstützt einen möglichen EU-Beitritt. Das Land wartet auf die Entscheidung der Europäischen Kommission, ob es den Beitrittskandidatenstatus erhalten wird.

„Wir haben uns für die EU entschieden“

„We go to clubs for sirens and smoke, you dicks!“, steht auf dem Plakat, das eine junge Frau mit grüner Jacke in der Hand hält. In beiden Nächten setzte die Bereitschaftspolizei Tränengas, Wasserwerfer, Rauchbomben und Pfefferspray ein, um die Menge zu vertreiben. Im Gegenzug warfen die Demonstranten mit Steinen und Molotowcocktails. 133 Menschen wurden festgenommen. Immer wieder räumte die Bereitschaftspolizei die zentrale Straße von Tblissi. Aber die Menschen kamen immer wieder zurück.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„Wir haben die Wahl zwischen Russland und der EU. Wir haben uns für Letztere entschieden“, sagt Zorzh Zhamerashvili, 21, einer der Organisatoren der Studentenproteste, am späten Donnerstagabend. Zu diesem Zeitpunkt haben sie bereits gewonnen. Der Gesetzentwurf wird vorerst wieder zurückgenommen. Dieselben, die ihn angenommen hatten, stimmten am Morgen des 10. März dagegen.

Das Innenministerium hat zudem angekündigt, dass alle Personen, die während der Proteste festgenommen wurden, freigelassen werden. Für den Moment feiern die Demonstranten einfach diesen Erfolg. Das passiert in Georgien nicht allzu oft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!