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Archiv-Artikel

Demokratisierung über Leichen

Präparator Hagens bestreitet, Leichen Hingerichteter verwertet zu haben. Wenn, dann sei dies ohne sein Wissen geschehen. Die Arbeit in China soll Reformen im Lande dienen

FRANKFURT/MAIN taz ■ Schwarzer Hut, rote Krawatte, die Hände in den Hosentaschen, die Stimme schrill, der Gestus müde – der Plastinator Gunther von Hagens zog gestern in der Naxos Event Halle im Frankfurter Gewerbegebiet Enkheim alle ihm zur Verfügung stehenden Register des Veranstaltungsmanagments. Damit reagierte er erstmals auf die Vorwürfe, er habe für seine seit 1996 in 20 deutschen Städten gezeigte Schau „Köperwelten – Die Faszination des Echten“ auch Leichen von in China hingerichteten Menschen verwandt. „Niemals“, sagte er mehrmals, habe er das getan. Hundertprozentig ausschließen könne er „als Wissenschaftler“ aber nun mal nichts.

Falls in seiner Firma im chinesischen Dalian zum Tode Verurteilte weiterverwertet worden seien, dann sei das gegen seine ausdrückliche Weisung und später geschehen, sagt von Hagens. Aus „praktischer Erfahrung“ halte er aber auch das „für extrem unwahrscheinlich“ und schließe es zumindest für seine zu Ausstellungszwecken hergestellten „Ganzkörperpräparate“ aus. Sofort nach Bekanntwerden des Verdachts habe er den Bestand von 647 Leichen im Depot in Dalian noch einmal überprüfen lassen, 7 Leichen mit Kopfverletzungen unbekannter Herkunft ausgesondert und mit Genehmigung der chinesischen Behörden bestattet.

In öffentlichen Ausstellungen, so Hagens, zeige er grundsätzlich nur komplette Figuren von freiwilligen Spendern. Der Nachweis sei vorhanden, er sei aber nicht bereit, die Anonymität aufzuheben. Anders verhalte es sich mit Einzelpräparaten. Nach dem Zerteilen der Toten sei deren Identität „irreversibel“ aufgehoben und die Herkunft der in alle Welt gelieferten Teilstücke nicht mehr rekonstruierbar. Außerdem fürchte er, falls bei Offenlegung Angehörige Besitzansprüche anmeldeten, ein „juristisches Tohowabohu“.

Auf Journalistenfragen antwortete Hagens immer wieder, wenn vereinzelt illegal „herrenlose Leichen“ in China oder in seinem kirgisischen Institut verwendet worden seien, sei das ohne sein Wissen geschehen.

Hagens’ Ausstellung hatte schon 1996 bei ihrer ersten Präsentation in Mannheim für Proteste, aber auch Besucheranstürme gesorgt. Seither expandierte der umtriebige Organisator, der sich zuvor als Hersteller anatomischer Präparate für medizinische Lehrmittel einen guten Ruf in Fachkreisen erarbeitet hatte. Gestern begegnete er den Angriffen mit missionarischem Eifer. Er sei seinen Kritikern dankbar, dass sie das Tabu- zum Diskussionsthema gemacht hätten. Nach China sei er nicht etwa gegangen, weil dort Leichen und deren Teile leichter und unkontrollierter zu beschaffen seien als anderswo. Neben der „Demokratisierung der Anatomie“ schwebe ihm durch seinen Geschäftszweig auch die Demokratisierung der Volksrepublik vor, „mit meinen bescheidenen Mitteln“. Außerdem schätze er den Fleiß und das Geschick der Chinesen.

Vor der Tür protestierte die Deutsche Hospiz Stiftung mit Sarg und Trauerkleidung gegen die Ausstellung. HEIDE PLATEN