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Demokratisierung der WissenschaftPluralismus ist nicht erwünscht

Akademie-Präsident Günter Stock kritisiert den zu großen Einfluss der Gesellschaft auf die Forschung. Er fürchtet den Niedergang der Wissenschaftsfreiheit.

Wehrt sich gegen eine Öffnung der Wissenschaften: Akademie-Präsident Günter Stock. Bild: imago/Christian Thiel

BERLIN taz | Scharfe Kritik an einer „Demokratisierung der Wissenschaft“ hat der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), Günter Stock, geübt. Es gebe sowohl in Deutschland als auch über EU-Gremien in Brüssel die Tendenz, dass „Partikularinteressen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen“ zunehmend die Forschung beeinflussten, sagte Stock am Wochenende auf dem Leibniztag seiner Akademie in Berlin. Namentlich erwähnte Stock die Reformbewegung der „transformativen Wissenschaft“.

Betroffene Forscher und Politiker äußerten sich verwundert über die Schärfe des Vorstoßes des ranghohen Wissenschaftlers. Stock ist zugleich Vorsitzender der deutschen und der europäischen Wissenschaftsakademien.

In seiner Kritik kam der BBAW-Präsident von seiner Sorge über die staatliche Beschneidung der Wissenschaftsfreiheit in der Türkei und Russland unmittelbar auf das geplante neue Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen zu sprechen. Auch dort solle der Landes-Einfluss auf die Hochschulen über ein ausgebautes „Controlling“ verstärkt werden. „Wehret den Anfängen!“, warnte Stock. Auch anderorts drohe der Missbrauch von „partizipativen Strukturen in den Entscheidungsgremien“ von Hochschulen und Forschungsorganisationen.

Stock skizzierte das Gruselszenario: „Gesellschaftlich relevante Gruppen halten Einzug in den Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), um dort – etwa im Rhythmus von Landtagswahlen – Forschungsziele zu definieren.“

Zu dieser Entwicklung dürfe es nicht kommen, so Stock, auch aufgrund historischer Erfahrungen: Habe Deutschland doch „im 20. Jahrhundert zweimal auf bittere Weise erfahren, was es bedeutet, wenn Forschung und Wissenschaft ausschließlich in den Dienst so genannter gesellschaftlicher Interessen gestellt werden.“

Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie und Autor des Buches „Transformative Wissenschaft“, erklärte auf Anfrage der taz: „Dass Günter Stock eine höhere Pluralität bei der Steuerung des Wissenschaftssystems als Dominanz von Partikularinteressen diffamiert und in die Nähe nationalsozialistischer Wissenschaftssteuerung stellt, ist schon befremdlich.“

Tatsächlich laufe die internationale Diskussion in eine völlig andere Richtung: „Hier wird intensiv an einer stärkeren Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Wissenschaftsgestaltung gearbeitet.“ Beispiele seien das EU-Forschungsprogramm „Horizon 2020“ wie auch die Forschung zum globalen Wandel („Future Earth“). In beiden Fällen werde „ein Co-Design und eine Co-Produktion von Wissen zusammen mit der Zivilgesellschaft“ aktiv eingefordert.

Auch der SPD-Forschungspolitiker und Bundestagsabgeordnete René Röspel zeigte sich „verwundert“ über die Akademie-Kritik. „Wissenschaft in einer freien Gesellschaft lebt vom offenen Diskurs und muss keine Angst vor öffentlicher Beteiligung haben“, sagte Röspel gegenüber der taz. Es gebe einen gesamtgesellschaftlichen Trend zu mehr Transparenz, dem sich auch die Wissenschaft stellen müsse.

Auf Röspels Betreiben fand die Ankündigung von „neuen Formen der Bürgerbeteiligung“ in der Wissenschaft auch Eingang in den Koalitionsvertrag. Mit einer ersten Vorlage der SPD-Fraktion sei für den Herbst zu rechnen, so Röspel.

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13 Kommentare

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  • Die Diskussion kommt spät, aber immerhin, sie ist da. Wissenschaft wird zwangläufig immer elitär sein. Die allermeisten Menschen glauben etwas, die Wissenschaft gibt sich mit Glauben nicht zufrieden, sondern prüft nach, verifiziert oder falsifiziert. Dazu benötigt sie zwangsläufig auch einen gesellschaftlichen Rahmen, der auf die Prüfung selbst keinen Einfluss nimmt. Wo dieser Einfluss beginnt, hört Wissenschaft auf, Wissenschaft zu sein. Gleichwohl muss die Gesellschaft die Frage nach dem Sinn und Zweck des Gegenstandes der Prüfung stellen dürfen, wenngleich sich diese Frage der Wissenschaft so gar nicht stellt. Die Gesellschaft muss neben dem finanziellen Rahmen für die Wissenschaft auch deren ethischen Rahmen abstecken. Die Geschichte zeigt, dass Wissenschaft dies aus sich selbst heraus eben nicht leisten kann.

    • @Rainer B.:

      Damit beginnen ja die Probleme!

       

      Die "Gesellschaft" stellt nicht die notwendigen Mittel zur Verfügung, als beschaffe ich mir Drittmittel. Mit dem angenehmen Effekt weniger durch Landes- und Bundespolitik erpressbar zu sein.

      Denn das Primärziel aller Parteien heißt: Kontrolle aller Lebensbereiche!

      Und einen "ethischen Rahmen" kann eine Gesellschaft, die -Sie verweisen selbst darauf- weder das intellektuelle Vermögen noch das nötige Methodenverständnis hat, sowieso nicht setzen!

      Und "Wissenschaft" selbst funktioniert ja nicht nach "ethische" Gesichtspunkten; es ist daher unlogisch solche Beschränkungen zu erwarten!

       

      Eine Folgenabschätzung ist zudem erst ex post möglich.

       

      Glück auf!

       

      Karl

      • @KarlM:

        "Niemand hat gesagt, dass es leicht wird." Dass Wissenschaft derzeit nicht nach ethischen Gesichtspunkten funktioniert, liegt auch an ihrer Intransparenz und der dadurch bislang ausgebliebenen Diskussion. Wenn Wissenschaft und Forschung sich etwa primär auf die Erforschung und Entwicklung immer neuerer Tötungsmethoden verlegt, um ein Maximum an Drittmitteln der Rüstungsindustrie zu generieren, dann stellt sich Wissenschaft gegen die Gesellschaft und ihre ethischen Grundlagen auf. Eine Folgenabschätzung kann und muss in jedem Fall vorab erfolgen, gerade weil die Möglichkeit einer Folgenabschätzung ex post zunehmend fraglich geworden ist. Wer das bestreitet, stellt damit auch die bisherigen Erkenntnisse der Wissenschaft infrage.

        • @Rainer B.:

          So einen Unfug lehne ich rundweg ab!

           

          Ganz einfach.

          Denn es gibt kaum Intransparenz, sondern primär Menschen denen sämtliches Wissen zur Bewertung fehlt!

           

          Es ist auch töricht "Wehrforschung" als grundsätzlich gegen die Gesellschaft gerichtet einzuordnen, denn wer will da festlegen was gut oder böse sei?

           

          Und nochmal:

           

          Wenn ich als Naturwissenschafler zu einem Thema noch nicht viel weiß, kann ich auch keine Folgenabschätzung vornehmen, fachfremden Berufsbetroffenen gelingt das ja nicht mal ex post.

           

          Und ja, Wissenschaft besteht aus permanentem in Frage stellen, sonst ist die Disziplin tot.

           

          Ich kann gut auf ideologisches Gewäsch zur "Begründung" was ich forschen darf, und was angeblich nicht, verzichten! Es ist mir im Rahmen der Rechtslage freigestellt, zu arbeiten wie ich das will und für richtig befinde.

           

          Und wenn Sie genau nachdenken, werden Sie möglicherweise bemerken warum "politische Parteien" sicher zu den letzten gesellschaftlichen Kräften gehören, denen man eine Deutungs- und Etathoheit über wissenschaftliches Arbeiten zugestehen darf!

           

          Glück auf!

           

          Karl

          • @KarlM:

            Ihre Antwort zeigt mir, dass Sie meinen Beitrag noch gar nicht gelesen haben. Sie scheinen auch Gesellschaft mit politischen Parteien zu verwechseln, zu denen ich mich an dieser Stelle überhaupt nicht geäußert habe.

            • @Rainer B.:

              Doch, habe ich gelesen. Und in beiden "Fällen" lehne ich eine Einmischung durch Inkompetente ab.

               

              Glück auf!

               

              Karl

              • @KarlM:

                Als einzig Kompetenten ist Ihnen das sicher nicht leicht gefallen.

                • @Rainer B.:

                  Gehen Ihnen schon die Argumente aus?

                   

                  Ich wehre mich als Naturwissenschaftler einfach gegen die nicht begründete Einmischung durch Inkompetente.

                   

                  Mit Ihrem Zirkelschluss geben Sie das beste Beispiel.

                   

                  Glück auf!

                   

                  Karl

                  • @KarlM:

                    Andererseits haben Sie kein Problem damit, dass Wissenschaft sich permanent in die Gesellschaft einmischt und sie nach ihrer - letztlich doch nur sehr eingeschränkten Sicht - zu prägen.

                    Die Zeiten der genialen wissenschaftlichen Einzelkämpfer im heimischen Kämmerlein sind leider längst Geschichte.

                    Bei aller Abstraktion und Spezialisierung ist Wissenschaft heute weit mehr gesellschaftsabhängig als jemals zuvor. Mit Einmischung hat das primär wenig zu tun. Die Sonderrolle, die der Wissenschaft in früheren Zeiten problemlos zugestanden werden konnte, schwindet in dem Maße, in dem sich Wissenschaft und Gesellschaft auseinanderdividieren und in dem Wissenschaft sich selbst Partikularinteressen unterordnet.

                    Ich sehe nicht, inwiefern es Sinn machen sollte, weitere Argumente zu bringen, wenn Sie nur Zirkelschüsse sehen, wo keine sind und eine produktive Verständnisbereitschaft vermissen lassen.

                    • @Rainer B.:

                      Worin sehen Sie denn eine Einmischung in "die Gesellschaft"?

                       

                      Und in welcher Form ist "Wissenschaft von der Gesellschaft abhängig?

                       

                      Welche Sonderrolle? Wissenschaftler sind immer Teil der Gesellschaft.

                       

                      Und auseinander driftet da nichts, Wissenschaft und Gesellschaft waren in D schon immer Antipoden.

                       

                      Welche "Wissenschaft" ordnet sich welchen Partikularinteressen" unter , und woran kann ich das erkennen?

                       

                      Welche "Wissenschaft" soll bitte nach "ethischen" Gesichtspunkten funktionieren?

                       

                      Bitte um Erklärungen.

                      Für das bisherige Geschwurbel habe ich kein Verständnis, da es meien Zeit vergeudet.

                      Sagen Sie klar was Sie eigentlich wollen.

                       

                      Glück auf!

                       

                      Karl

                      • @KarlM:

                        Sie mich auch!

  • Herr Stock sollte sich nochmal die zur Zeit gültige Fassung des Hochschulgesetzes im Vergleich der neuen Fassung ansehen. Da wird er feststellen, dass es nicht um Einflussnahme auf die Wissenschaft geht, sondern um nachvollziehbare Buchführung. Ich bin nicht dafür, dass im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit ungebremst Drittmittel aus der Industrie eingeworben werden können, da das den Einfluss einiger weniger "Eliten" auf die Forschung bedeutet. Die Allgemeinheit allerdings soll die Hochschule aus Steuermitteln ohne Kontrollmöglichkeit finanzieren.

  • Stock hat völlig recht und jeder im Wissenschaftsbetrieb weiß es: NRW schießt da bisher in Deutschland den Vogel ab, mit dieser Eso-Ministerpräsidenting, die ihren Hokuspokus gerne universitär haben will. Wissenschaft darf eben von irgendeiner vorübergehenden gesellschaftlichen Macke gebeugt werden, die Prinzipien der Forschung, des Experiments, der Prüfung müssen gelten. Es gibt schon viel zuviel Quatsch, politisch zu Irgendwas-Studies aufgebläht, mit dem Etikett 'Theorie' versehen, obwohl es an elementarsten Validierungen/Verifizierungen fehlt. Und die man deswegen, praktisch, auch kaum falsifizieren kann, wie bei Religionen. Wenn eine Theorie nicht eine derartige Struktur und Logik aufweist, dass sie falsifiziert werden könnte, dann taugt sie nichts.