Demokratisch abwarten: Kampf um Einfluss an der Urne

Über die Reform des Wahlrechts diskutiert jetzt ein Parlamentsausschuss. Ein neues Volksbegehren dazu wird es erst mal nicht geben

Grund zum Jubeln haben am Ende oft eher die Männer: Das Wahlrecht benachteiligt Frauen Foto: Jan Zier

Wieder abgesagt hat jetzt die Initiative „Mehr Demokratie“ ihr geplantes Volksbegehren zur erneuten Reform des Wahlrechts. Der Grund: Die Bürgerschaft will darüber nun doch in einem nichtständigen Ausschuss beraten. „Wir erwarten von den parlamentarischen Beratungen neue juristische Argumente, vielleicht auch neue Lösungsvorschläge“, sagt eine Sprecherin von „Mehr Demokratie“.

Dass sich am Wahlrecht wieder etwas ändern soll, darin sind sich Regierung und Opposition seit der letzten Bürgerschaftswahl einig. „Mehr Demokratie“ befürchtet, dass die Parteien den 2006 dank eines Volksbegehrens gestärkten Einfluss der WählerInnen auf die Zusammensetzung der Bürgerschaft wieder eindämmen wollen – sodass am Ende die Listen der Parteien „kaum noch verändert werden können“.

In der gegenwärtigen Diskussion geht es vor allem um das Verhältnis der Listen- zu den Personenstimmen. „Mehr Demokratie“ fordert, dass allein die Personenstimmen über die konkrete Zusammensetzung des Parlaments bestimmen. Die Listenstimmen sollen nur über die Zahl der Abgeordneten entscheiden. Dieser Vorschlag wird in Regierungskreisen als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Auch die Listenstimmen müssten einen Einfluss auf die gewählten Personen haben, so das Argument. Würde der Senat in dieser Frage den Staatsgerichtshof anrufen, könnte über das Volksbegehren nicht, wie geplant, parallel zur nächsten Bundestagswahl 2017 abgestimmt werden. Auch deshalb wurde es jetzt abgesagt. „Mehr Demokratie“ will nun zunächst die Ausschussberatungen abwarten – und hält sich offen, das Volksbegehren später erneut zu starten.

Die Grünen fordern, künftig die eine Hälfte der Mandate über Personen- und die andere Hälfte über Listenstimmen zu vergeben – und erst die Personenstimmen zu zählen. Diese Idee befürwortet der Bremer Parteienforscher Lothar Probst.

Bei der letzten Wahl etwa hat SPD-Spitzenkandidat Jens Böhrnsen fast 94.000 Personenstimmen bekommen. Dabei hätte er ohnehin ein Mandat bekommen – und zwar weil er auf Platz 1 der Liste stand und die Listenstimmen zuerst ausgezählt werden. 121.397 von 186.374 Personenstimmen für die SPD kamen schließlich anderen KandidatInnen zugute, errechnete Probst. Er nennt das „Fremdverwertung“. Anderen reichten manchmal schon wenige Stimmen für ein Mandat: Bei Peter Zenner (FDP) waren es 732 Kreuzchen. Denkbar wäre deshalb, dass ein Personenmandat nur erhält, wer so viele Stimmen hat wie der durchschnittliche Listenmandatsträger.

Gleichstellungspolitisch naheliegend wäre eine Rückkehr zum reinen Listenwahlrecht: Denn Listen lassen sich quotieren. Die Sozialdemokraten beispielsweise machen das. Trotzdem besteht die 30-köpfige SPD-Fraktion jetzt zu zwei Dritteln aus Männern. Von den 14 SPD-Sitzen, die über Personenstimmen vergeben wurden, entfielen gerade mal zwei an Frauen. Bei den Grünen und der CDU in Bremen wurden die Hälfte der Sitze über Personenstimmen vergeben, auch hier profitieren vor allem Männer. Auch jüngere KandidatInnen werden von dem gegenwärtigen Wahlrecht eher benachteiligt, ältere Männer und Migranten dagegen waren Probst zufolge eher in der Lage, „ihre Netzwerke zu mobilisieren“. Analysen zeigen, dass sich personalisiertes Wahlrecht bundesweit eher zugunsten der Männer auswirkt. In Bremen ist dieser Effekt besonders deutlich. Die SPD möchte deshalb künftig zuerst die Personen- und dann die Listenstimmen auszählen – und erhofft sich, dass so wieder mehr Frauen zum Zuge kommen.

Die nächste Chance dazu gibt es voraussichtlich im Mai 2019. Dann soll der Landtag zusammen mit dem Europäische Parlament neu gewählt werden.

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