Demokratie Abbau: Menschenrechtler in Istanbul verhaftet
Sechs Aktivisten, darunter ein Schwede und ein Deutscher, erhalten Haftbefehle, weil sie „bewaffnete Terrororganisationen“ unterstützt hätten
Unter dem Vorwurf, eine „bewaffnete Terrororganisation“ zu unterstützen, sind in der Nacht zum Dienstag in Istanbul sechs Menschenrechtler verhaftet worden. Vier Personen wurden freigelassen. Alle zehn waren bereits am vorvergangenen Mittwoch während eines Workshops von der Polizei festgenommen worden.
Zu den Verhafteten zählen İdil Eser, Direktorin der türkischen Sektion von Amnesty International, Özlem Dalkıran von der NGO Citizens’ Assembly, Veli Acu und Günal Kurşun von Human Rights Agenda Association, der schwedische Datenschutzexperte und Menschrechtsaktivist Ali Garawi sowie der deutsche IT-Experte und Amnesty-Mitglied Peter Steudtner. Dalkıran und Eser wurden in die Frauenhaftanstalt Istanbul-Bakırköy gebracht, Kurşun, Acu, Garawi und Steudtner in die Haftanstalt Istanbul-Maltepe.
Sie alle hatten sich am 5. Juli auf der Istanbuler Prinzeninsel Büyükada zu einer Konferenz mit dem Titel „Digitale Sicherheit und Informationsmanagement“ versammelt. Die Polizei stürmte das Hotel, in dem die Tagung stattfand, und nahm zehn Teilnehmer*innen unter dem „dringenden Tatverdacht der Unterstützung einer bewaffneten Terrororganisation“ in Gewahrsam.
Landkarte als Beweis für Terrorunterstützung
Jounalistin. Sie studierte in Ankara an der Gazi Universität Publizisitik und an der Hacettepe Universität Internationale Beziehungen. Sarı arbeitete für die Zeitung Ulusal Gazete und andere Zeitschriften. Aktuell berichtet sie vorwiegend für Onlinemedien wie zum Beispiel das Nachrichtenportal Journo.
Im Haftbefehl wird unter anderem aufgeführt, dass in den Computern der Verdächtigen Dokumente aufgefunden wurden, die „mit Terrororganisationen assoziiert werden“. So wurde eine Landkarte als Beweis für Terrorunterstützung betrachtet, die im Computer von Ali Garawi gefunden wurde. Die Karte zeigt die in Asien gesprochene Sprachen an. Der Polizeibericht spricht davon, dass die „ostanatolischen Teile der Türkei als ein separates Land angezeigt werden, als würden sie einem anderen Staat gehören“.
Die Menschenrechtler Nalan Erkem, İlknur Üstün, Nejat Taştan und Şeyhmus Özbekli, die sich ebenfalls 13 Tage in Polizeigewahrsam befanden, wurden mit der Auflage eines Ausreiseverbots am Montagabend freigelassen.
Der Rechtsanwalt Erdal Doğan erklärte nach der Verhaftung seiner Mandantin, der türkischen Amnesty-Direktorin İdil Eser: „Da die Anschuldigungen weder rechtlich noch logisch nachvollziehbar sind, haben wir keine Gerechtigkeit erwartet. Das Ganze ist als Botschaft an alle Oppositionellen des Landes zu verstehen.
Diese Botschaft lautet: ‚Schweigt.‘
In den Vernehmungsprotokollen, die der taz vorliegen, ist angeführt, dass die Razzia vom 5. Juli auf den Aussagen eines anonymen Zeugen basiert. Deniz Bayram, Anwalt des deutschen Peter Steudtner, vermutet, dass es sich bei diesem Zeugen um einen Übersetzer handeln könnte. Steudtner, der nach Istanbul gekommen war, um Beratungen zum Thema Datensicherheit anzubieten, erklärte in seiner Vernehmung, er habe den „im Bereich Menschenrechte aktiven Teilnehmer*innen Methoden für sichere Kommunikation und den Umgang mit Stress vermittelt, jedoch zog es der Dolmetscher namens Ahmet vor, einige Fragen nicht zu übersetzen, sondern sie selbst zu beantworten.“ Steudtner wurde gefragt, ob er bei der Konferenz gelehrt habe, „wie geheime Daten vor der Polizei versteckt werden könnten“.
Der nach seiner Vernehmung freigelassene Aktivist Nejat Taştan äußerte: „Es gibt keine richtigen Anschuldigungen, die Akte ist komplett leer. Angeblich hätten wir vor der Polizei etwas geheim gehalten.“
Regierungsnahe Medien hatten nach der Festnahme eine Kampagne gegen die Aktivist*innen gestartet, den Teilnehmer*innen wurde Spionage für die CIA unterstellt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bewertete die Büyükada-Konferenz als „Fortführung des Putschversuchs vom 15. Juli“.
Der Vizechef der größten Oppositionspartei CHP, Zeynep Altıok, erklärte: „Diese Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich furchtlos für das Volk einsetzen, sollen nun mit Strafverfolgungen zum Schweigen gebracht werden, damit keiner mehr übrig ist, der dieses Regime in Frage stellt. Aber mit diesen Verhaftungen wird die Wahrheit nicht verschwinden. Sie mit Terroristen gleichzusetzen, spielt den wahren Terroristen in die Hände.“
Amnesty International im Visier
Amnesty International machte jüngst mit mehreren Berichten auf Menschenrechtsverletzungen in der Türkei aufmerksam. Darin ging es vor allem um Zerstörungen in den kurdischen Gebieten, Einschränkungen der Pressefreiheit und die Massenentlassungen von Beamten.
Nach Angaben des türkischen Amnesty-Mitarbeiters Andrew Gardner haben sich „seit dem Putschversuch die Arbeitsbedingungen für Amnesty deutlich erschwert. Vor allem nach Berichten zu Folter und Zerstörungen in Diyarbakır wurden wir zur Zielscheibe erklärt. Offenbar ist die Verteidigung von Menschenrechten nunmehr eine Straftat. „Amnesty-Vorstandsmitglied Taner Kılıç sitzt schon seit dem 9. Juni in Haft, weil er angeblich eine App auf seinem Handy geladen hatte, die bei Anhängern der Gülen-Bewegung beliebt ist.
Im Jahr 1998, als der heutige Staatspräsident und damalige Oberbürgermeister von Istanbul Recep Tayyip Erdoğan aufgrund eines Gedicht zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, hatte Amnesty eine Kampagne für seine Freilassung gestartet.
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