Demo in Kreuzberg II: Fotograf von Polizei festgesetzt
Ein Fotojournalist soll auf der Carlo-Giuliani-Demo Böller gezündet haben. Augenzeugen zufolge liegt eine Verwechslung vor.
Es war 22.55 Uhr, als der Zugriff erfolgte. Gerade war in der Waldemarstraße in Kreuzberg ein blau leuchtender Knallkörper unter einem Auto explodiert, da stürmte ein Trupp behelmter Polizisten in die sich bewegende Menge auf dem angrenzenden Mariannenplatz. Gezielt stürzten die Beamten von hinten auf einen Mann, griffen ihm ins Gesicht und streckten ihn zu Boden. Das Besondere: Der Mann ist Pressefotograf. Zeugen sagen: "Er hat nur seine Arbeit getan."
Wie viele Fotografen, die in Kreuzberger Krawallnächten das Geschehen dokumentieren, trug Björn Kietzmann, der als freier Journalist auch für die taz arbeitet, zum Eigenschutz einen schwarzen Helm. Darauf die groß gedruckte weiße Signalaufschrift "PRESSE". Doch weder dies noch sein Presseausweis nützten ihm etwas. Den konnte er gar nicht erst zücken, da lag er schon unter einem guten Dutzend Polizisten auf dem Boden. Weil er einen Knallkörper gezündet haben soll, wurde Kietzmann rabiat abgeführt und in die Gefangenensammelstelle gebracht.
Kietzmann war mit weiteren Fotojournalisten unterwegs. Deren Bericht steht der Darstellung der Polizei diametral entgegen. Zwar sei in unmittelbarer Nähe der Gruppe ein Knallkörper explodiert. Dies aber, nachdem eine Frau den Böller dort zwischen zwei parkende Autos geworfen habe, sagte einer der anwesenden Fotografen der taz. "Die Frau warnte uns noch mit dem Hinweis ,Achtung!'" Kietzmann habe zufällig in der Nähe gestanden, sagte der Augenzeuge.
Kietzmann selbst weist die Anschuldigung als "absurd" zurück. Er habe als Nichtraucher nicht einmal ein Feuerzeug bei sich gehabt. Dennnoch wurde er nach eigenen Angaben bis zum Sonntagmorgen in der Gefangenensammelstelle festgehalten. Die Möglichkeit eines Telefonats soll ihm dabei verweigert worden sein.
Die Polizei äußerte sich am Sonntag nur vage: Mehrere Beamte hätten eine Tathandlung beobachtet und anschließend einen Tatverdächtigen festgenommen, erklärte ein Sprecher der taz. Ob bei Kietzmann ein Feuerzeug gefunden wurde, konnte er nicht sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind