Demo gegen Umgang mit der Rezession: In Dublin protestieren 100.000 Iren
Statt Konjunkturpakete aufzulegen, spart die Regierung. Nur die Banker bleiben ungeschoren, glaubt das Volk.
DUBLIN taz Es war eine der größten Demonstrationen in der irischen Geschichte. Am Samstag gingen mehr als 100.000 Menschen in der Hauptstadt Dublin auf die Straße, um gegen den Umgang der Regierung mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu protestieren. Aufgerufen hatte der Gewerkschaftsdachverband. Lehrer und Feuerwehrleute, Bauern und Studierende, Polizisten und Kommunisten - alle kamen.
Nach fast 20 Jahren Wirtschaftswachstum ist die Insel im vergangenen Jahr früher und schneller in die Rezession gerutscht als andere Länder. Die Arbeitslosigkeit ist auf 9,2 Prozent gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt dürfte 2009 um 4 Prozent schrumpfen, das Haushaltsdefizit auf 9,5 Prozent steigen. Die Europäische Union drängt Irland, die Lücke zu verringern. Die Regierung hat die Beamtengehälter eingefroren, die Steuern auf die Pensionen erhöht sowie im Bildungs- und Gesundheitsbereich gekürzt. Bankiers und Bauunternehmer, die sich jahrzehntelang mit legalen und illegalen Methoden bereicherten, bleiben ungeschoren.
Fianna Fáil - übersetzt: die Soldaten des Schicksals - die Irland mit kurzen Unterbrechungen seit mehr als 80 Jahren regieren, sind unbeliebter denn je. Diesmal geht es um Insidergeschäfte bei der im Januar verstaatlichten Anglo Irish Bank. Zehn Männer haben dabei Millionen kassiert. Und wenn sich herausstellt, dass sie Verbindungen zu Fianna Fáil haben, wären die Tage der Regierung gezählt.
Hinzu kommt, dass die Bank ihre Bilanzen mit zwielichtigen Transaktionen aufgehübscht hat. Das Finanzministerium wusste seit Oktober Bescheid, nur Finanzminister Brian Lenihan will erst vorigen Monat davon erfahren haben. Der Vorsitzende der Finanzaufsicht, Pat Neary, hatte einem der Bankdirektoren sogar zum Frisieren der Bücher gratuliert. Und er ließ den Aufsichtsratsvorsitzenden Seán FitzPatrick gewähren, der sich durch "kreative Buchführung" 129 Millionen Euro billige Kredite zuschanzte, während er der Regierung riet, an Ausgaben für Kinder, Alte und den Gesundheitsdienst zu sparen. Seine Äußerungen führten zu einem Zusammenbruch des Aktienkurses der Bank, die daraufhin von der Regierung übernommen werden musste. FitzPatrick und Neary sind inzwischen zurückgetreten.
"Der öffentliche und der private Sektor müssen sich zusammenschließen und Politiker, Bankiers sowie die Großunternehmer zur Rechenschaft ziehen", sagte Gregor Kerr von der Lehrergewerkschaft INTO. "Die haben die Krise heraufbeschworen." Er rief zu einem Generalstreik auf. Der Regierung drohen unruhige Zeiten. Am Donnerstag werden 13.000 öffentliche Angestellte niedriger Gehaltsgruppen für einen Tag die Arbeit niederlegen, die Lehrer- und Beamtengewerkschaften stimmen diese Woche über Streiks ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner