Demo gegen Infektionsschutzgesetz: Wasserwerfer einkalkuliert
Die Proteste während der Demonstration zur Verabschiedung des Infektionsschutzgesetz waren keine spontane Reaktion. Sie waren einkalkuliert.

S ie waren bestens vorbereitet, die Demonstrant*innen, die am Mittwoch gegen die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes demonstrierten. Mit Taucherbrillen, Planen und Regencapes schützten sich viele in den vorderen Reihen an der Polizeiabsperrung Richtung Reichstag gegen Pfefferspray und den Einsatz von Wasserwerfern, den Innensenator Andreas Geisel (SPD) im Vorfeld ausgeschlossen hatte. Manche hatten gar Schnorchel dabei, einer wusch sich unter dem Regen der Wasserwerfer mit Duschgel die Haare.
Die gewaltsamen Proteste, bei denen auch Feuerwerk zum Einsatz kam, Flaschen flogen und Polizist*innen körperlich attackiert wurden, waren keine spontane Reaktion, sie waren einkalkuliert und als Inszenierung gewollt.
Es ist nicht weniger als eine Revolution, die ein großer Teil der Demonstrant*innen anstrebt. Immer wieder erschallte dieser Ruf. Er ist die Konsequenz aus dem Versuch rechter politischer Kräfte wie der AfD und selbsternannter alternativer Medien, die seit Jahren daran arbeiten, das Vertrauen in sämtliche Institutionen der Demokratie, der Presse und der Wissenschaft zu untergraben.
Nur wo sachliche Informationen als Lüge diffamiert werden, ist Platz für andere Erzählungen etwa über die Ungefährlichkeit von Covid-19, einer nicht souveränen Bundesrepublik oder einem neuen „Ermächtigungsgesetz“, mit dem die Grundrechte abgeschafft würden. Wer all das glaubt, wird zwangsläufig zum radikalen Staatsgegner.
AfD versucht zu profitieren
Es sind nicht nur die organisierten rechten Kräfte, die dieses System stürzen wollen. Radikale Christ*innen, nicht selten aus den Evangelikalen-Hochburgen in Schwaben oder dem Erzgebirge, arbeiten ebenso eifrig an dessen Abschaffung wie Verschwörungsideolog*innen, die immer mehr Menschen in ihren Bann ziehen.
Davon zu profitieren versucht die AfD, die inzwischen voll darauf setzt, über die Coronaproteste eine neue Wähler*innenklientel zu erschießen. Nicht umsonst waren AfDler auf allen Ebenen mit dabei: Im Strahl der Wasserwerfer, als feixende Beobachter*innen am Rand oder als Provokateure im Bundestag, die die Erzählungen der Straße in ihre Reden übertrugen.
Die Trennung der Demonstrant*innen, in die um ihre Grundrechte besorgten und von Existenzängsten geplagten friedlichen Bürger*innen und die radikalen Kräfte von rechts führt in die Irre. Weil sie dieselben Medien konsumieren, nähern sie sich ideologisch immer weiter an. Offen auftretende Nazis werden auf diesen Veranstaltungen entweder gar nicht oder nicht als Problem wahrgenommen – man dürfe sich ja nicht spalten lassen.
Selbst die ausgeübte Gewalt schreckt die vermeintlichen Normalo-Demonstrant*innen mit ihren Luftballons und Friedensschildern nicht ab. Lieber ließen sich Familien vom Wasserwerfer beregnen, als das Weite zu suchen und sich zu distanzieren. Die Radikalisierung der Querdenkenszene läuft ungebremst weiter.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg