Demo "Freiheit statt Angst": Protest unter 116 Kameras
116 fest installierte Kameras beschützen die Teilnehmer der Demonstration gegen Überwachungswahn in Berlin. Eine Übersicht.

Sicher ist sicher: Eine von 116 Kameras auf der Demo-Route. Bild: sebastian heiser
Die Sicherheit der Demonstration "Freiheit statt Angst" ist über weite Strecken gewährleistet. Die taz ist die Demoroute vorab abgelaufen und hat 116 Überwachungskameras gefunden. Wahrscheinlich gibt es sogar noch ein paar mehr Kameras - die allerdings so gut versteckt sind, dass sie nicht direkt zu erkennen sind.
Nicht nur Ministerien nutzen Kameras, um einen achtsamen Blick auf den öffentlichen Raum rund um ihre Gebäude zu werfen, auch Unternehmen und Privatleute setzen auf der Route viele Kameras ein. Besonders auffällig ist, dass die Neubauten inzwischen offenbar schon standardmäßig auch mit Überwachungsgeräten ausgerüstet werden: die Geschäftshäuser mit Ladenpassagen in der Friedrichstraße genauso wie die Wohnhäuser in der Leipziger Straße. Und damit sind nicht nur die Kameras an den Gegensprechanlagen der Hauseingänge gemeint - oft wird gleich großflächig der gesamte Bürgersteig überwacht.
Besonders gut geschützt können sich die Demoteilnehmer fühlen, wenn sie kurz nach Beginn der Demo um 15 Uhr am Potsdamer Platz die Rückseite der Botschaft Russlands in der Behrenstraße passieren (14 Kameras). Das gilt auch für die Passage in der Kurstraße, an der das Auswärtige Amt liegt (25 Kameras). Einen hohen Sicherheitsstandard bieten in der Leipziger Straße auch das Finanzministerium (9 Kameras) und der Bundesrat (10 Kameras). Besondere Vorsicht ist dagegen in der Leipziger Straße zwischen Spittelmarkt und Charlottenstraße geboten: Über eine Strecke von rund 700 Metern ist weit und breit keine Sicherheitskamera zu sehen.
Doch Rettung naht: Die Polizei wird mobile Kameras mitführen. Sobald Gefahr dräut, drücken die Beamten auf "Record" - und schon können sich alle wieder ein entscheidendes Stückchen sicherer fühlen.

Route der Demonstration: Start Potsdamer Platz - Ebertstr. - Behrenstr. - Glinkastr. - Unter den Linden - Bebelplatz - Französische Str./Werderscher Markt - Kurstr. - Spittelmarkt - Leipziger Str. - Potsdamer Platz Bild: veranstalter
Kameras entlang der Demo "Freiheit statt Angst" auf einer größeren Karte anzeigen
KAMERATYP 1: Verkehrskamera
Gleich drei Kameras hängen an der Potsdamer Straße an einem Mast, der auf dem Mittelstreifen vor dem Bahn-Tower steht. Der Mast ist hauptsächlich für die Scheinwerfer gedacht, die die Hochhäuser nachts anscheinen. Die drei Kameras richten sich dagegen nach unten: Auf die drei Fahrstreifen Richtung Westen. Die Kameras zählen, wie viele Fahrzeuge hier vorbeifahren. Die Daten kommen direkt in die Verkehrsleitzentrale. Die kann dann je nach Verkehrslage zum Beispiel Ampeln anders schalten. Die Kennzeichen der Fahrzeuge werden nicht ausgewertet, die Bilder werden nicht gespeichert.
KAMERATYP 2: Museumskamera
An der Fassade des Gebäudes Unter den Linden 13/15 hängt eine private Überwachungskamera. Sie gehört zur Deutschen Bank, die Mitbetreiberin des Museums Deutsche Guggenheim im Erdgeschoss ist. Außerdem beherbergt das Haus noch eine Filiale der Bank sowie Büroräume. Die Kamera "dient der Sicherheit des Gebäudes", sagt ein Sprecher. Aber was befürchtet die Bank eigentlich konkret? Werden die Aufnahmen nur live übertragen, oder auch dauerhaft aufgezeichnet? Und falls ja: wie lange? "Zu sicherheitstechnischen Fragen können wir generell keine Angaben machen", meint der Sprecher.
KAMERATYP 3: Behördenkamera
Eine ganze Armada von Kameras hängt rund um das Auswärtige Amt: an jedem Laternenpfahl eine. Sie sind mit Infrarotlicht ausgestattet, sodass sie auch nachts genug sehen. Das dient "der Abwehr von Gefahren", sagt ein Ministeriumssprecher. Dabei gebe es allerdings "keine generelle Aufzeichnung". Das bedeutet: Die Bilder werden live ins Innere des Hauses übertragen. Nur dann, wenn den Beamten etwas auffällt, wird mitgeschnitten. Und noch etwas sagt der Sprecher: Alle Kameras sind auch deutlich für die Passanten sichtbar - verborgene Überwachung gibt es nicht. (Sebastian Heiser) Bilder der Kameras gibt es hier.
Leser*innenkommentare
Beobachter
Gast
Wieso regt sich eigentlich NIEMAND über die Kameras der Demo-Teilnehmer und ihrer Kameraleute auf?????????
is ladde
Gast
„Meine Daten gehören mir“ - Über einen Widerspruch der „Freiheit statt Angst“ - Demoteilnehmer
http://wp.me/pDM0J-i
Jochen
Gast
So weit ich weiß, darf ich Privatmensch keine Kamera auf den öffentlichen Raum richten. Z.B. darf ich keine Kamera auf den Bürgersteig richten, um zu beobachten, wer dort mein Fahrrad klaut.
Wie kann es sein, dass die Bank - zur "Sicherheit ihres Gebäudes" - den öffentlichen Bereich filmen darf? Ich vermute, dieses Verhalten würde einer juristischen Prüfung nicht standhalten.
Könnte sich die Piratenpartei nicht in Szene setzen, indem sie derartige Filmerei juristisch, evtl. strafrechtlich, bundesweit prüfen lässt? Was meint Ihr?
Wilhelm Westerkamp
Gast
Es ist schon eine komisch anmutende Großdemo in
Berlin, die gegen den Überwachungsstaat demons-
triert und gleichzeitig der Protestmarsch von 116
Kameras und einigen Versteckten, begleitet wird.
Eine Demo wird abgefilmt, abfotografiert und
sicher gemacht. In ein paar Jahren werden es vie-
lleicht statt hundert, fündert Kameras sein,wo man
leicht den Überblick verlieren könnte. Und wenn die aufgezeichneten Bilder zu unscharf sind,könnte
in nächster Zukunft, HDTV die richtige Waffe sein.
Heiko
Gast
Hihi! Da muss die Polizei ja mal richtig vorsichtig sein, dass se sich benimmt.
0bservator
Gast
Am schönsten finde ich die kugelförmigen Anti-Terror-Anlagen. Da kann man sich dann rundum wohl fühlen.
Philip
Gast
schöner artikel.
nicht vergessen darf man die zusätzlich von der polizei ran geschafften kameras. die sollten für einen sicheren ablauf sorgen und eine wohlige decke der sicherheit über die demo legen.
Ali
Gast
Wäre ich nicht schon seit ca. 24 Studnen wach, dann würd ich sehr gerne zu der Demo gehen. Ich möchte mich sicher fühlen. Schön, dass ihr euch die Mühe gemacht habt.
Klaus
Gast
Eine Klasse Idee von der TAZ mal auf die unmengen von sinnlosen Überwachungskameras im öffentlichen Raum hinzuweisen. Besonders schön auch der sarkastische Unterton.
Was mir noch fehlt, ist ein Hinweis auf die wirtschaftliche Interessenlage der Kameraverkäufer und eine Nachfrage bei den Käufern, ob sie die Kosten/Nutzen dieser Anlagen wenigstens ansatzweise hinterfragt haben.
Ich habe da nämlich den Eindruck, daß solche Anlagen vollkommen ohne solche Koste/Nutzenrechnungen installiert und betrieben werden.
vic
Gast
Eine beklemmende Grafik der Konzentration von "Sicherheit".
Wer bereit ist Freiheit gegen Sicherheit zu tauschen wird am Ende beides verlieren.
Heinz Brandt
Gast
Wow - eine Zeitung, die sich heute noch Ironie leistet. Ist viel zu selten geworden im Journalismus. Danke, taz!
John Stein
Gast
nach meinen erfahrungen brauchen viele berliner keine kameras, die tun das bereits mit handies und das großflächig - das problem ist m e nicht der staat, etc. - unberechenbar sind ganz andere - die dinge, die ich hier andeute laufen systematisch und warten bereits bei richtern zur sprache gekommen mit entsetzten reaktionen der richter - ich glaube, dass der staat nicht das problem ist, es sei denn, vertreter sind mit dem hier angedeuteten synonym - was die richter im zweiten teil schockte
Wilhelm Westerkamp
Gast
Eine Großdemo in Berlin die gegen Überwachungska-
meras protestieren, werden genau von diesen Kame-
ras auf ihrem Weg durch Berlin verfolgt. Eine pa-
radoxe Situation, die schon etwas von Zynismus hat. Die TAZ hat ja versucht alle Kameras zu zä-
hlen und kam vorerst auf 116, gab aber an, das
noch viele Versteckte, nicht zu finden seien.
Man spricht heute nicht ohne Grund vom "gläsernen
Menschen". Der Datenschutz in Deutschland wird in
Zukunft, in dieser Hinsicht, viel zun tuen haben.