piwik no script img

Dem Verschwinden Form geben

Geschichten über den Osten sind Teil der Ausstellung „Worin unsere Stärke besteht“, die Andrea Pichl, in der DDR aufgewachsene Künstlerin, im Schloss Biesdorf kuratiert hat

Barbara Lüdde: „ARM.ED/001“ (2022), Tusche auf Papier, Triptychon, je 101 mal 65 cm Foto: Edward Greiner © Barbara Lüdde / VG Bild-Kunst, Bonn, 2025

Von Katrin Bettina Müller

Drei Frauen stehen im Scheinwerferlicht auf einer Bühne. Alle drei – im roten, blauen und braunen Kleid – verkörpern die Schauspielerin Lotte Loebinger (geboren 1905) in unterschiedlichen Lebenstadien in dem Gemälde von Karin Sakrowski (Jahrgang 1942). Es entstand 1986/87 in einem kantigen Realismus, der an die Zeit der Nachkriegsmoderne erinnert. Zu jener Zeit spielte Lotte Loebinger am Deutschen Theater und am Gorki Theater in Ostberlin. Den Zweiten Weltkrieg hatte die überzeugte Kommunistin in Moskau überlebt. Das Bild steht somit auch für den Stolz der jungen DDR auf ihre aus der Emigration zurückgekehrten Künstler. Es kommt aus dem Museum „Utopie und Alltag“ Beeskow, das einen großen Bestand an Kunstwerken aus der DDR betreut, die einmal als repräsentativ galten. Dieses Archiv ist eine der Quellen, die Andrea Pichl, selbst Künstlerin mit einem großen Interesse an DDR-Architektur und -Ästhetik, genutzt hat für eine von ihr kuratierte Ausstellung in Schloss Biesdorf. Unter dem Titel „Worin unsere Stärke besteht“ setzt sie damit ein Projekt fort, das 2022 im Kunstraum Kreuzberg begann. Wieder konzentriert sie sich auf Künstlerinnen, die vor dem Mauerfall in Ostdeutschland gearbeitet haben und/oder geboren wurden und die sie immer noch vermisst in öffentlichkeitswirksamen Ausstellungen. Arbeiten aus dem Beeskow-Archiv stehen dabei für die Zeit der DDR, hinzu kommen viele Beiträge aus jüngerer Zeit, die sich mit der Geschichte beschäftigen und die DDR als ein Land durchforsten, das nur noch in Erinnerungen und Archiven besteht.

Louise Schröder etwa, 1982 geboren, hat die Geschichte von Frauenorten und lesbischen Treffpunkten in der DDR recherchiert. „Stömungen in Bewegung“ ist ein schön gestaltetes Buch mit vielen historischen Fotos und emotionalen Textzitaten, etwa „Wie sich üben, ich zu sagen, wir zu sagen und es laut und deutlich zu sagen?“. Auf einem liegenden Screen wird das Buch im Video durchgeblättert, man braucht etwas Zeit, um hinein zu finden.

Ganz anders geht mit einem Bestand an Familienfotos die Malerin Gabriele Worgitzki um. Ihre Bilder wirken, als sei ihnen die Farbhaut abgezogen worden, der Gegenstand der Erinnerung wie weggewaschen. Man schaut auf einen bleichen Fleck, bis man ahnt, dass dies einmal ein Foto von Erich Honecker war. Ihre Motive im Zyklus „Westen“ stammen von Fotografien, die in der Zeit der Ausreise ihrer Familie in den Westen entstand, als sie selbst noch ein Kind war. Erinnerung wird hier weder heraufbeschworen noch gelöscht, sondern zu etwas schwer Greifbaren, das weiterhin Aufmerksamkeit fordert. Das geschieht in Schloss Biesdorf auch in einer großen Wandzeichnung, als ob die Vergangenheit sich durch die Wände arbeite.

Riccarda Roggan, 1972 in Dresden geboren, lehrt seit über zehn Jahren Fotografie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Für ihr Video „Protokoll der Stadt N“ nutzt sie Fotografien, die während des Abrisses der DDR – ja, so muss man es mit Blick auf die Bilder nennen – entstanden sind. Von Vandalismus gezeichnete Räume ehemaliger Verwaltungen, zerstreute Dokumente, Verwüstungen: ein Trümmerhaufen. Die Kamera fährt über die Bilder, während eine Frauenstimme im Konjunktiv spricht: als wäre dieser Zerfall, diese Zerstörung nur eine der Optionen für die Zukunft gewesen. Eine Fiktionalisierung, die gedanklich einen Möglichkeitsspielraum eröffnet.

Erinnerung wird hier weder herauf­be­schwo­ren noch gelöscht, sondern zu schwer Greifbarem, das weiter Aufmerksamkeit fordert

Mitte der 1980er Jahre hat Ute Weiss Leder die DDR verlassen, um in Westberlin ihr in Leipzig begonnenes Kunststudium fortzusetzen. Und es zog sie weiter hinaus, sie nutzte Stipendien in Moskau, Rom, Chicago, Salzburg. Sie ist eine kommunikative Künstlerin, neugierig auf ihre Umgebung. Das bezeugt hier eine 28-teilige Arbeit aus Chicago von 1995 „intimate spaces – Chicago“. Es sind Porträts von Künstler:innen, Kunststudenten, Barkeepern, Köchen, Kellnern – einer Community, die verbindet, dass sie die Codes der Tattoos benutzen. Ute Weiss Leder zeigt in den schwarzweißen Fotografien nicht die Personen, sondern ihre Räume und daneben einen Teil ihrer verzierten Haut. Aus beidem, und der Beschriftung, setzt man sich ein Bild zusammen.

Aus dem Archiv in Beeskow kommen einige kleine Bronzefiguren, die einerseits die Tradition des Festhaltens am figürlichen Menschenbild in der DDR dokumentieren, andererseits aber auch die Zugewandtheit, mit der Künstlerinnen wie Sabine Grzimek und Emerita Pansowowa das Individuelle darin ausarbeiteten. Das Medium von Ute Weiss Leder ist ein ganz anderes, sie liest aus Details, aber wieder geht es um Annäherung an das Besondere eines Menschen. Solche Bögen zwischen dem Unterschiedlichen zu suchen, macht Vergnügen in der Biesdorfer Ausstellung.

Schloss Biesdorf, 10–18 Uhr, außer dienstags, bis 20. Juli.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen