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Delikatessen, Alltagsspeisen etc.Teutonische Gaumenfreude

■ Der Döner – Fettfleischberg oder Edelsandwich? Wie ein New Yorker Chefkoch die Berliner Straßendelikatesse entdeckte

Salzig, ölig, mit dem wässrigen Geschmack ungewürzter Tiefkühl-Hamburger, so erlebte ich ihn, meinen ersten Döner. Im Grunde hätte keine kulinarische Kreation der Welt an jenes Ideal heranreichen können, das sich in herrlichsten kalligraphischen Pinselstrichen auf meinem amerikanischen geistigen Pergament eingeschrieben hatte. Immer wieder hatten mir Besucher aus Deutschland von den unendlichen Gewürz- und Garnierungsvariationen vorgeschwärmt. Zurückkehrende amerikanische Touristen, die sich noch ihr Berlin-bekleckertes Kinn wischten, berichteten überschwenglich von dem einzigartigen Geschmack der teutonischen Gaumenfreude.

Als ich nach meiner ersten Bestellung dann allerdings auf den zwiebelüberladenen Fettfleischberg vor mir blickte, fragte ich mich angewidert, ob das hier wirklich das größte germanische Wunder seit Erfindung der Autobahn sein sollte. Aufs heftigste desillusioniert weinte ich via Internet meinen deutschen Freunden vor: „Das soll das Deutschland sein, das ich unbedingt erfahren sollte?“ Die Antworten kamen schnell, hart und entschlossen: „Bleib standhaft. Es gibt noch bislang unbekannte Höhen der Fastfood-Kultur zu erklimmen“, schrieben sie. Aber ich musste mich erst mal von der ersten grauenvollen Erfahrung erholen.

Was konnte mir so ein Straßensandwich schon groß bieten? Es war doch lediglich ein keilförmiges Sandwich mit mariniertem, am Spieß gebratenem Fleisch auf labbrigem Weißbrot mit ein bisschen zerstückeltem Gemüse. Bestenfalls ein deutscher Gyros also. „Quatsch“, meinte Döner-Liebhaber Eberhard Seidel, Autor des Standardwerks „Wie der Döner über die Deutschen kam“, zu mir. „Komm mit mir ...“, sagte er mit glänzenden Augen, „ich zeige dir einen Ort.“ Seidel erklärt mir den Unterschied zwischen dem Yaprak Döner, eine Art Edelausgabe des Fleischsandwichs, mit kottelettartigen Scheiben marinierten Kalb-, Schweine- oder Lammfleischs, und der gewöhnlichen Variante, aus Hackfleisch ungewisser Qualität und Herkunft. Seidel beklagt die 80er-Jahre, die dunkelste Periode in der Geschichte des Döners, als die Produzenten ihre extrem fetthaltigen Fleischberge mit Brot und Füllmasse minderer Qualität aufzufüllen begannen. Damals wandten sich die Deutschen, auch wegen BSE-Angst, massenhaft von ihrem Döner ab und wurden Vegetarier. Und heute? Ist der Döner am Ende?

„Er ist nicht mehr das, was er mal war“, meint Ralf Sotscheck, kommisarischer Leiter der taz-Lokalredaktion. „Früher bin ich nach jeder Auslandsreise als erstes zum Dönerstand gelaufen. Damals haben sie noch echtes Fleisch verwendet. Jetzt pressen die da einfach irgendwas zusammen. In den letzten drei Jahren hab ich überhaupt keinen Döner mehr gegessen.“

Aha! Ich hatte sie also verpasst, die goldenen Döner-Jahre. Doch andere Kollegen drängten mich, es weiter zu versuchen, und tatsächlich – ich sah Licht! Seidel und meine deutschen Freunde, sie hatten alle recht. Es kommt nur darauf an, welchen Döner man isst.

Ich hatte meinen persönlichen Döner-Durchbruch in einem neonbeleuchteten Straßenimbiss in Kreuzberg. Voller Stolz auf die paar deutschen Wörter, die ich sprechen konnte, forderte ich forsch: „Bitte, ich nehme ein Döner.“ Die Antwort kam ebenso schnell wie unverständlich. Ich nickte nur. Er schüttelte den Kopf und ging an die Arbeit. Mit weit ausholenden Messerschwüngen schnitt er hauchdünne, feine Fleischscheiben ausschließlich aus den Regionen seines Riesenspießes heraus, die genau den rechten Bräunungsgrad erreicht hatten.

Wie kann ich den Genuss beschreiben, der sich im selben Moment einstellte, als jene zarten, krossen, bestens gewürzten Stückchen Kalbfleisch meinen Gaumen erfreuten? Diese süßen, knackigen Salatblättchen und das herzhafte Brot, das jedem Bissen so heftigen Widerstand leistet wie ein guter Bagel? Um es überhaupt irgendwie zu beschreiben: Im Vergleich zu meinem ersten Döner war es ein Unterschied wie der zwischen Perrier und einer Tasse Spreewasser.

Und als Nächstes werde ich die echte Currywurst erkunden, obwohl ich da nicht die allergrößten Erwartungen hege. Als ich meine deutschen Freunde von einem langweilen ketchupbesudelten, gegrillten Hotdog mit Currygewürz erzählte, den ich irgendwo probiert hatte, erklärten sie einstimmig: „Ja genau, das ist sie, die Currywurst.“ Jay Weinstein

Jay Weinstein ist amerikanischer Journalist und Chefkoch aus New York. Er schreibt vor allem für Feinschmeckermagazine und ist mit einem Arthur.F. Burns-Stipendium für zwei Monate bei der taz in Berlin. Übersetzung: Volker Weidermann

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