Deck schrubben statt manövrieren: Marine teilweise außer Gefecht
Da die Bundesmarine keine Vereinbarung über Arbeitszeiten für zivile Angestellte abschließt, müssen Versorgungsschiffe an den Marine-Stützpunkten bleiben.
HAMBURG taz | Bei der Bundesmarine hängt der Haussegen schief. Mehrere Versorgungs- und Transportschiffe konnten in der jüngsten Vergangenheit nicht auslaufen und liegen in Wilhelmshaven und Kiel an den Piers fest. Die Besatzungen sind größtenteils mit Deckschrubben und Wartungsarbeiten beschäftigt. „Wir würden gerne rausfahren, dürfen aber nicht“, klagen Besatzungsmitglieder an den Marine-Stützpunkten Wilhelmshaven und Kiel gegenüber dem Politmagazin Panorama 3.
Hintergrund ist ein Tarifkonflikt des Bundesverteidigungsministeriums mit der Gewerkschaft Ver.di um einen Tarifvertrag, der die Arbeitszeiten für die zivilen Besatzungsmitgliedern auf den Marine-Schiffen regelt. Denn die Marine beschäftigt auf ihren Versorgungsschiffen 420 zivile Schiffsoffiziere und Seeleute. Für sie gilt die EU-Arbeitszeitrichtlinie 88, nach der die wöchentliche Arbeitszeit inklusive Bereitschaftsdiensten – wie bei Klinikärzten oder bei der Berufsfeuerwehr – 48 Stunden nicht übersteigen darf.
Auf See kommen 48 Stunden jedoch schnell zusammen. Bis Juni 2012 hatte die Gewerkschaft Ver.di mit der Marine eine so genannte Opt-Out-Regelung geschlossen, die Ver.di als Vorleistung für einen neuen Tarifvertrag bis in den Dezember in Kraft gelassen hatte. Derartige Opt-Out-Regelungen, bei denen die Arbeitszeitnorm der EU-Richtlinie erheblich überschritten werden kann, sind zulässig. Da ein Freizeitausgleich gerade nicht gewollt ist, sind diese Überstunden dann zu vergüten.
Während der letzten Gespräche mit dem Bundesverteidigungsministerium kam es laut Ver.di-Sprecher Michael Peters zu keiner Einigung. Im Gegenteil: Die Marine drohte, die Wachdienste im Hafen nur noch als Vollarbeit ableisten zu lassen und in der Nacht nicht mehr von den Schiffsbesatzungen, sondern von bordfremden Personen durchführen zu lassen, um Arbeitszeitreserven zu schaffen.
Die Marine kann aufgrund des Konfliktes zurzeit nur einen Teil ihrer Aufgaben erfüllen. So zeigte Panorama 3 ein Minensuchboot bei einer Übung, die binnen vier Stunden abgeschlossen sein musste, weil mit Vorbereitung und An- und Abfahrt das Arbeitszeitkontingent erfüllt war.
Manche Aufgaben muss die Marine sogar an private Unternehmen auslagern: Wie bei einer Fregatte, die betankt werden musste. Da die Besatzung des Tankschiffs am Stützpunkt das Arbeitszeitvolumen bereits ausgeschöpft hatte, musste eine Privatfirma aus einem anderen Hafen gechartert werden. Der Tanker kam dann aus einem Ostseehafen über den Nord-Ostsee-Kanal nach Wilhelmshaven. Zusätzliche Kosten: fast 80 Prozent.
Das Verteidigungsministerium in Berlin gibt sich momentan zur Problematik wortkarg: Es werde an einer Lösung gearbeitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen