Debütalbum der "Crystal Antlers": Bloß nicht zu zerebral
Die "Crystal Antlers" mögen es gerne roh. Sie bringen auf ihrem Debütalumb "Tentacles" Elemente aus Punk, Garagenrock und Soul zum Glühen.
Wäre ihr Musiklehrer nicht wegen Kindesmissbrauchs angeklagt worden, wer weiß, ob sich die Crystal Antlers je gegründet hätten. So aber begann die Karriere der jungen Band aus Südkalifornien bereits auf der High School. Dort saßen Johnny Bell, Kevin Stuart und Errol Davis unbeaufsichtigt in einem Musikkurs. "Ohne unseren vom Dienst suspendierten Lehrer konnten wir im Klassenzimmer frei experimentieren und spielten auf allen möglichen Instrumenten herum", erinnert sich Johnny Bell, Sänger und Bassist der Band.
Diese an öffentlichen Schulen eher seltene Form von Freiheit hat den jungen Musikern durchaus gut getan. Im Jahr 2006 beschlossen sie, eine Band zu gründen und wollten eine Art Experimentalpunk spielen. Es wurde aber weit mehr daraus, auch zahlenmäßig. Vom Trio wuchs man nach und nach zu einem Sextett heran. "Wir machen ungewöhnlichen Punk. Wie das kommt, weiß ich selbst nicht", so Bell. Schon in der Schule hatten sie angefangen, sich für Soul, Psychedelic und Jazz zu interessieren.
Aus diesen verschiedenen Vorlieben machen sie, ganz im Geiste des Punk, einfach das, was sie wollen - und können. Zu den Einflüssen der Band wird regelmäßig auch Progrock gezählt, jene ambitionierte Spielart des Rock, die seit den späten Sechzigern kurze Songformate und Blueseinflüsse zugunsten von experimentellen Jazz- oder Klassikelementen in den Hintergrund rückt. Wenn man möchte, kann man im Titelstück des Crystal-Antlers-Debütalbums "Tentacles" sogar ein kurzes King-Crimson-Zitat hören. Doch die Band selbst sieht das anders: "Ich bin kein großer Progrock-Fan", so Bell. "Das ist mir zu zerebral. Unsere Musik ist ganz anders gebaut."
Für richtigen Progrock seien sie ohnehin nicht versiert genug. Technische Perfektion gehört sicher nicht zu den ersten Begriffen, die einem zur Musik der Crystal Antlers einfallen. Die "Glasgeweihe", so die deutsche Übersetzung ihres Namens, sind auch in dieser Hinsicht näher am Punk mit seiner Eins-Zwei-Drei-Haltung als an vertracktem Virtuosengegniedel. Statt verkopfter Konstruktionspläne herrschen bei ihnen körperliche Direktheit, Roh- wie Rauheit und eine gehörige Portion Dreck vor. Bei aller Liebe zu Garage Rock und Psychedelic, ihr Interesse am Soul ist stärker ausgeprägt. Statt brutaler Noise-Attacken oder fröhlicher Schrammelstampfereien nehmen sie immer wieder das Tempo raus und lockern ihre Arrangements auf.
Auch Bells Gesang drückt weit mehr Emotionen aus als simple rockistische Aggression. Sein heiserer, leicht klagender Stil passt besonders gut zu den ruhigeren, fast zarten Stücken des Albums wie dem lässig federnden "Andrew", verzweifelte Schreie gehören ebenso in sein Repertoire. Mindestens genauso wichtig für den Stil der Band ist die an die Sechziger gemahnende Elektroorgel, bis vor kurzem von Victor Rodriguez bedient, nun jedoch in den Händen von Cora Foxx, der einzigen Frau in der Band.
Was das Ensemble mit doppelter Gitarre und zusätzlichem Perkussionisten gemeinsam entstehen lässt, klingt erfrischend dynamisch. Auch auf der Bühne spürt man diese Energie, die aus einer gesunden Mischung von Imperfektion, Disziplin und Getriebenheit zu entstehen scheint. Improvisiert wird wenig, dominierend sind Songstrukturen, die hier und da ausfransen können, wodurch die Musik etwas Organisches bekommt.
Wirklich hart klingen die Crystal Antlers kaum, von Harmlosigkeit kann dennoch nicht die Rede sein. Und auch wenn keine offenkundigen musikalischen Parallelen zu erkennen sind, orientiert sich ihr Punkverständnis an Bands wie der US-Legende Black Flag. "Mir gefällt, dass Black Flag in dem, was sie taten, sehr militant waren", so Bell.
Für ihren eigenen Ansatz heißt das, bei Auftritten nicht allzu wählerisch zu sein: "Wir haben überall gespielt, zu jeder Zeit." So sind sie schon einmal in einem alten Pornostudio aufgetreten und haben auf einem Bikertreffen gespielt. Gegen Erfolg hat Bell aber überhaupt nichts einzuwenden: "Wir wollen einfach Musik machen, aber es wäre schön, nicht nebenbei arbeiten zu müssen."
Crystal Antlers: "Tentacles" (Touch and Go). Live am 15. 8 in Hamburg, 16. 8. Wiesbaden, 17. 8. Nürnberg, 20. 8. München
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