piwik no script img

Debüt von House-Produzent SteinhoffSchwarmverhalten im Club

Julius Steinhoff betreibt den Hamburger Plattenladen Smallville. Jetzt veröffentlicht er mit „Flocking Behaviour“ ein großartiges Debütalbum.

In seinem Element am Meer: Julius Steinhoff. Bild: Promo

Es ist schon nach acht Uhr abends, aber die Tür zum Smallville-Laden in St. Pauli steht noch offen. Freunde schauen vorbei auf ihrem Weg nach Hause, ein Tourist fragt nach einem Drucker für sein Hafenrundfahrtticket. Julius Steinhoff verschwindet kurz zum Kiosk nebenan und kommt mit zwei Flaschen Bier zurück. Dann ist die Abendstimmung in St. Pauli perfekt. Geräusche der Straße und warme Luft von draußen, Plattenladengemütlichkeit drinnen.

Gerade ist die Vinylversion von Steinhoffs Debütalbum „Flocking Behaviour“ fertig geworden. Stolz reicht er das Doppelalbum herüber. Auf dem Cover ist eine Strichzeichnung von einem Hund mit Schirmmütze zu sehen. Oder ist es etwa Julius Steinhoff selbst, dessen lange Haare unter der blauen Cap hervorlugen?

Der Zeichner Stefan Marx, dessen kindliche, humorvolle Zeichnungen im Smallville-Laden auf diversen Platten und Postern zu bewundern sind, hat es der Betrachterin offen gelassen.

Auf „Flocking Behaviour“ kann man dem sentimentalen Housesound lauschen, für den Smallville mittlerweile weltbekannt ist. Ja, elektronische Tanzmusik kann durchaus sehr romantisch klingen. Der Auftakttrack von Steinhoffs Album mit dem schwelgerischen Titel „Where days begin“, zeigt es schon auf nahezu mustergültige Weise.

Album & Auftritt

Julius Steinhoff: „Flocking Behaviour“ (Smallville/WordAndSound)

Live: am 26. Juli im Robert Johnson, Offenbach

Grillenzirpen und Ozeanrauschen

Mit Sounds aus einer Aufnahme Steinhoffs vom Urlaub an der französischen Atlantikküste fängt er an – Grillenzirpen, Ozeanrauschen, in weiter Ferne Menschen am Strand. Steinhoff lässt sich Zeit mit dem Einsatz der Bassdrum, ganz smooth kommt sie näher, klingt fetter und irgendwann sagt eine Stimme: „Chicago, Detroit“. Deutlicher kann man die musikalischen Bezüge Steinhoffs und seines Albums nicht offenlegen.

Der sentimentale Housesound ist den analogen Drummachines Roland TB 808 und TB 909 zu verdanken. Mit ihnen und allerlei anderem analogem Equipment hat Steinhoff sein 1,5 Quadratmeter kleines Home-Studio bestückt. „Das sind einfach absolute Klassiker, die wahnsinnig toll klingen und gut miteinander kommunizieren“, sagt der 34-Jährige. Den roten Faden muss man auf „Flocking Behaviour“ somit nicht lange suchen. Steinhoff versteht es, die Tracks durch stimmungsstarke Soundmotive miteinander zu verbinden.

Die Vögel

Inspiriert zum Albumtitel, der übersetzt so viel wie „Schwarmverhalten“ bedeutet, hat Steinhoff übrigens sein Lieblingsvideo auf YouTube. Es heißt „Starlings on Otmoor“ und ist eine Naturdokumentation über Stare. „Mich haben Vogelschwärme schon immer geflasht“, sagt Steinhoff. Die Bilder der fließenden Formationen vor rosa-blauem Abendhimmel lassen an Ambientsounds denken, doch auf eine so lautmalerische Übersetzung lässt sich Steinhoff nicht ein. Sein titelgebender Track „Flocking Behaviour“ spielt mit hellen, klimpernden Klängen und interessanten Drumpattern. Das Schwarmverhalten der Vögel ähnele außerdem der Situation im Club, findet Steinhoff: „Alle sind miteinander an einem Ort und bewegen sich gemeinsam.“

Umgeben von Menschen, die ähnliche Dinge machen und mögen, das ist auch ein bevorzugter Platz für Steinhoff. Im Smallville-Kosmos standen Freundschaft und Miteinander immer an erster Stelle. „Mit dem Laden haben wir einen Ort geschaffen, an dem sich Menschen, die sich sonst oft eher flüchtig im Nachtleben über den Weg laufen, auch außerhalb des Clubs treffen können“, sagt Steinhoff.

Seit 2005 existiert Smallville Records und wird längst samt dem dazugehörigen Label als Perle der Hamburger Musikszene ausgewiesen. Mit 21 war Steinhoff von Freiburg nach Hamburg gekommen, um seiner diffusen Vorstellung von „irgendwas mit Musik“ gegen eine Lehrstelle zum Kaufmann für audiovisuelle Medien einzutauschen. Das war Anfang der nuller Jahre, und in der Musikbranche herrschte damals Krisenstimmung. Plattenläden und Labels machten reihenweise dicht, auch der Vertrieb, in dem Steinhoff arbeitete, musste Insolvenz anmelden.

Dass just in diese Baisse-Stimmung die Idee zu „Smallville“ hineingeboren wurde, spricht für die Philosophie der GründerInnen, zu denen außer Steinhoff noch Stella Plazonja und Peter Kersten gehören. Letzterer ist als DJ unter dem Namen Lawrence bekannt und hatte einige Jahre zuvor bereits mit David Lieske und Paul Kominek das Label Dial ins Leben gerufen. „Komm, wir machen das jetzt einfach“, habe Kersten gesagt. Heute erinnert sich Steinhoff: „Ob der Laden gut laufen würde oder nicht, spielte keine Rolle. Diese Attitüde hat mir sofort gefallen.“

Später kam Just von Ahlefeld alias DJ Dionne dazu, mit dem Steinhoff Smallville heute betreibt. „Als DJs profitierten wir erst mal vom eigenen Laden, weil wir uns Platten mitnehmen konnten, ohne sie zu bezahlen“, sagt Steinhoff bescheiden. Doch Smallville zog schnell weitere Kreise. Bald wurde aus dem Laden auch ein Label mit Künstlern aus dem erweiterten Freundeskreis, wie Move D und Christopher Rau. Schon schauten die Booker europäischer Technoclubs auf diesen losen Freundeskreis aus Hamburg, dessen Mitglieder hochwertige elektronische Clubmusik produzieren. Heute kommen Musikvernarrte aus ganz Europa, wenn es sie nach Hamburg verschlägt, im Laden auf St. Pauli vorbei.

Kein Businessplan

„Es ist verrückt, dass es Smallville schon neun Jahre gibt“, sagt Steinhoff. „Natürlich ist viel gewachsen, aber gleichzeitig ist es immer noch so schön wie am Anfang.“ Langfristige Vorhaben oder gar einen Businessplan für die Zukunft existieren bei Smallville nicht. Steinhoff und von Ahlefeld lassen die Dinge in der tiefenentspannten und unkommerziellen Manier, die sie von ihrem Dachlabel Dial gelernt haben, einfach auf sich zukommen. Die Versorgung mit Musik ist durch den Freundeskreis gesichert.

Und Steinhoff selbst? Seine musikalische Fühler hat er schon wieder nach Neuem ausgestreckt. Seit zwei Monaten macht er regelmäßig mit Freund und Smallville-Kumpanen Abdeslam Hammouda Musik, ausnahmsweise lässt er Drummaschinen und Synthesizer mal ausgeschaltet. Stattdessen kommen Gitarren, Steeldrums, Ukulele, Glockenspiel, Mundharmonika und Kalimba zum Einsatz. „Folky stuff“ entstehe da, sagt Steinhoff. Ob es zur Veröffentlichung kommt, weiß er aber noch nicht. Ein Label zu finden, dürfte jedenfalls nicht das Problem sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!