Debatte: Teile und herrsche
Im Nahen Osten bauen die USA jetzt auf die Feindschaft zwischen Sunniten und Schiiten, um den Iran zu isolieren - und riskieren die Eskalation.
B lühende demokratische Landschaften hatte George W. Bush der arabischen Welt versprochen. Stattdessen befindet sich der Nahe Osten heute, fast vier Jahre nach dem Beginn des Irakfeldzugs, in einem Zustand kollektiver Selbstzerfleischung. Da ist zunächst einmal das blutige Gemetzel im Irak selbst, das albtraumartige Ausmaße angenommen hat. Inzwischen stehen auch der Libanon und der palästinensische Gaza-Streifen am Rande eines Bürgerkrieges. Im Vergleich dazu wirken die Zeiten, in denen es noch arabisch-israelische Friedensverhandlungen gab, heute wie eine kleine Fußnote in einer Geschichte voller unerfüllter Hoffnungen.
Eine echte politische Initiative zur Lösung all dieser Konflikte ist nicht in Sicht. Aber auch die militärische Karte ist ausgereizt. Wie die USA im Irak, so musste auch Israel letzten Sommer im Libanon erkennen, dass es das Kräftegleichgewicht in der Region auch mit all seiner militärischen Übermacht nicht in seinem Sinne verschieben kann.
In dieser aussichtslosen Lage greifen die US-Strategen nun zum uralten Kolonialtrick des Teilens und Herrschens. Jetzt sollen Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, die Golf-Emirate, die libanesische Regierung und die palästinensische Fatah als "moderate" Bündnispartner eingespannt werden. Sie sollen Washington dabei helfen, die "extremistischen Kräfte" wie den Iran, Syrien, die Hisbollah und die Hamas zu isolieren. An eine Art kalter Stellvertreterkrieg ist gedacht.
In Interviews spricht US-Außenministerin Condoleezza Rice neuerdings von "extremistischen Elementen", die mit dem Iran verbündet seien, und "moderaten arabischen Regierungen", die ihnen im Weg stünden. "Wir konfigurieren unsere Zusammenarbeit mit moderaten Kräften in der Region neu, damit diese Widerstand gegen die extremistischen Kräfte des Iran und seiner Verbündeten leisten", so formulierte Rice bereits auf ihrer Nahostreise im letzten Oktober die neue Strategie.
Das Wort "moderat" erscheint in diesem Zusammenhang kurios. "Moderat" ist demnach also der erzkonservative Scharia-Staat Saudi-Arabien, der allerorten seine Dschihad-Krieger exportiert. "Moderat" ist also die aufgrund ihrer Korruption diskreditierte palästinensische Fatah. Und "moderat" ist auch Ägypten. Dort haben Polizeioffiziere gerade für einen Skandal gesorgt, weil sie arglos selbst produzierte Foltervideos über Handy verbreiteten. Mit anderen Worten: Moderat ist jeder, der Washington zu Diensten ist.
Nun beruht diese neue Einteilung der Region durchaus auf realen Gegensätzen. So machen sich die USA die sunnitisch-schiitischen Differenzen zunutze, die nicht zuletzt durch den Irakkrieg angeheizt wurden, und schüren sie noch weiter. Gerade in den sunnitischen Golfstaaten ist die Angst vor einem iranischen Atomprogramm ebenso groß wie die vor den eigenen schiitischen Minderheiten, die durch die Regierungsübernahme der Schiiten in Bagdad an Selbstbewusstsein gewonnen haben. In einem Interview warf der saudische König Abdullah den Schiiten letzte Woche gar vor, Sunniten konvertieren zu wollen. Ägyptens Präsident Mubarak wiederum erklärte im letzten Jahr kurzum alle arabischen Schiiten zur fünften Kolonne Teherans. Und dem jordanischen König Abdullah hängt seine berühmte Warnung vor einem "schiitischen Halbmond", der von Iran über Irak bis zur Hisbollah im Libanon reiche, nach.
Seit dem Libanonkrieg fühlen sich die arabischen Präsidenten und Könige auch durch die Popularität bedroht, die der libanesische Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah genießt. Bei einer ägyptischen Meinungsumfrage nach dem wichtigsten Politiker in der Region kam Nasrallah auf den ersten Platz - mit Abstand vor dem ägyptischen Staatschef Mubarak, der nur auf einem ungebührlichen 16. Platz landete.
Als "neuer Held" von Sunniten wie Schiiten aus dem Libanonkrieg hervorgegangen, hatte Nasrallah in der arabischen öffentlichen Meinung kurzfristig eine Brücke zwischen den Konfessionen geschlagen. Doch der Bürgerkrieg im Irak, der entlang konfessioneller Grenzen verläuft, hat die Atmosphäre vergiftet. Der alte arabische Nationalismus war stets gegen die US-Politik in der Region und gegen Israel gerichtet. Doch langsam weicht er einer sunnitisch-schiitischen Feindschaft.
Genau hier möchte Washington ansetzen - gegen den schiitischen Iran und die Hisbollah im Libanon sowie gegen deren Bündnispartner Syrien und Hamas. Durch die Konfessionalisierung der Konflikte soll der Nahe Osten nun doch noch unter Kontrolle gebracht werden. Das koloniale "Teile und herrsche" funktioniert dabei in beide Richtungen: Die schiitische Mehrheitsregierung im Irak braucht Washington, um sich vor den sunnitischen Aufständischen zu schützen. Und die arabischen Staaten am Golf suchen amerikanische Unterstützung, um sich vor der "schiitischen Gefahr" und den Iran abzusichern. So können sich die USA in der Region erneut als Spielmacher präsentieren.
Damit das Spiel funktioniert, muss Washingtons Regierung jedoch immer wieder Öl ins sunnitisch-schiitische Feuer gießen. Dabei riskiert sie allerdings einen nahöstlichen Flächenbrand, der die jetzigen Krisen noch in den Schatten stellen könnte. Wie im Irak dürfte es schwierig sein, den Geist konfessioneller Feindschaften wieder zurück in die Flasche zu holen. Das Schüren der konfessionellen Gegensätze stellt auch geradezu eine Einladung an all jene dar, gegen die Bush nach dem 11. September eigentlich in den Antiterrorkrieg gezogen ist. Die anti-schiitische Stimmung in den sunnitischen arabischen Ländern ist ein fruchtbarer Nährboden für al-Qaida. Sunnitischer Extremismus gegen Schiiten treibt fast alle Arten von Dschihad-Ideologien an. Er macht am Ende aber nicht bei den Schiiten halt.
Im Nahen Osten stehen die USA mit dem Rücken zur Wand. Bush und die neokonservativen Ideologen scheinen zum gefährlichen Abenteuer der Konfessionalisierung bereit. Das es auch anders gehen kann, hat die vom ehemaligen US-Außenminister James Baker geleitete Irak-Studiengruppe Ende letzten Jahres aufgezeigt. Als Ausweg aus der Misere hatte die Kommission vorgeschlagen, gemeinsam mit dem Iran und Syrien eine Befriedung des Irak zu versuchen.
Baker hatte erkannt, dass den nationalen Sicherheitsinteressen dieser regionalen Mächte Rechnung getragen werden muss. Ein geregelter US-Abzug aus dem Irak ist nur möglich, wenn der Iran und Syrien Garantien erhalten, nicht als nächstes auf der US-Abschussliste zu stehen. Außerdem schlug die Kommission vor, die Schaffung eines palästinensischen Staates mit Zukunftsperspektive in Angriff zu nehmen. Das würde sowohl Hamas als auch Hisbollah das ideologische Wasser abgraben.
Doch bei Bush sind all diese Vorschläge auf taube Ohren gestoßen. Stattdessen scheint er die Flucht nach vorn anzutreten. Eine Konfessionalisierung der Konflikte wird die Region aber nur näher an den Abgrund treiben. KARIM EL-GAWHARY
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