Debatte: Eine moderne Protestpartei
Die deutsche Mitte rückt nach links. Das hat sogar die CDU gemerkt. Die Linken sind nun die führende Oppositionspartei, nicht mehr die Grünen.
D ie neu fusionierte Linke hat eine wunderbare Zukunft vor sich. In den Umfragen liegt sie stabil bei 9 bis 11 Prozent, was mitten in einer Hochkonjunktur überrascht. Eigentlich dürfte eine Protestpartei jetzt keine Chancen haben, da es wirtschaftlich aufwärtsgeht. Aber offenbar sind die Zeiten nicht normal.
Fast zwei Jahre sitzt die Linkspartei im Bundestag - und es waren zwei seltsame Jahre für Deutschland. Um die Ereignisse kurz zu rekapitulieren: Noch im April 2005 hätte niemand gedacht, dass es vorgezogene Neuwahlen geben würde. Oder dass eine Linkspartei über die 5-Prozent-Hürde springt. Oder dass alsbald eine große Koalition regieren würde.
Ein Jahr später, im April 2006, waren die Erwartungen ähnlich trügerisch: Niemand hätte damals zu prognostizieren gewagt, dass die große Koalition schon 2007 in die Krise gerät - schließlich stehen keine wichtigen Landtagswahlen an. Es wäre die Zeit für große Reformen gewesen, doch stattdessen wird jetzt auch noch die Pflegereform verschoben und ansonsten offen über das Ende der rot-schwarzen Ehe spekuliert. Die Hochkonjunktur hat Deutschland übrigens genauso überraschend getroffen: Im Frühjahrsgutachten 2006 wurde noch damit gerechnet, dass die Wirtschaft 2007 dümpelt und nur ein Plus von 1,2 Prozent erreicht. Stattdessen dürften es in diesem Jahr mindestens 2,3 Prozent sein. So kann man sich irren.
Langzeitdiagnosen scheinen also wenig verlässlich zu sein. Doch inmitten aller Ungewissheit zeichnet sich ein stabiler Trend ab: Seit 1998 wählt die Mehrheit links der Mitte. Auch in der jüngsten Umfrage von dieser Woche kommen Union und FDP gemeinsam nur auf 46 Prozent. Beiden Parteien hilft es nicht, dass Kanzlerin Merkel inzwischen beliebt ist und derzeit glanzvolle Auftritte als EU-Präsidentin und G-8-Vorsitzende erlebt. Jenseits der Tagespolitik heißt das deutsche Thema schlicht: soziale Gerechtigkeit.
Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz
Dieses Dauerthema der Gerechtigkeit basiert auf dem zweiten stabilen Trend: Seit mehr als zehn Jahren erleben die Durchschnittsverdiener, dass ihre Realeinkommen sinken. Auch die jetzige Hochkonjunktur bedeutet keine Wende, sondern nur eine Pause beim Lohnverzicht.
Mit jahrelanger Verspätung hat nun sogar die CDU bemerkt, dass soziale Ungleichheit ein dringendes Thema ist. Die geplante Früherziehung in Kinderkrippen wird auch als Förderprojekt für die Unterschichten verkauft. Der Kampf um die Mitte verlagert sich nach links. Ging es 1998 noch um die "neue Mitte" und 2002 einfach nur um die "Mitte", so wird nun die "linke Mitte" anvisiert. In dieser Konstellation ist es geradezu genial, den simplen Namen "Die Linke" zu tragen. Da muss nicht mehr diskutiert werden, wer das Original und wer die Kopie ist.
Die Linke selbst hat zu ihrem Erfolg wenig beigetragen. In den letzten zwei Jahren hat sie im Bundestag vor allem als Zuschauerin gesessen. Diese Rolle war nicht unbedingt gewählt, sondern auch aufgezwungen. Von den Medien wurde die Linke weitgehend ignoriert und von den anderen Parteien tabuisiert. Man kann der Linkspartei jedenfalls nicht vorwerfen, dass sie keine Presseerklärungen produziert hätte. Wer ihren Mediendienst abonniert, wird derart bombardiert, dass selbst die Linkspartei vor ihrem eigenen Aktionismus warnt. Auf der Homepage heißt es, Rechtschreibfehler inklusive: "Bitte beachten Sie das pro Tag bis zu 15 Pressemitteilungen veröffentlicht werden."
Trotz dieser Informationsflut hat die Linkspartei nicht eigentlich agiert, sondern profitiert. Aber das ist ja keine schlechte Rolle. Die Grünen kennen sie bestens. In den 80er-Jahren kursierte dort die wahre Selbsterkenntnis, dass man auch einen grün angestrichenen Besenstil zum Spitzenkandidaten küren könnte - er würde trotzdem gewählt. Diese Funktion der Protestpartei haben die Grünen nach jahrelangen Koalitionen verloren und nun an die Linkspartei abgegeben.
Diese neue Rolle der Linken wird gerade von den Medien häufig missverstanden. So erwarten viele Kommentatoren noch immer ein Fiasko, weil eine Volkspartei des Ostens mit einer gewerkschaftsnahen Splittergruppe des Westens fusioniert. Wieso bloß? Zur Rolle der Protestpartei gehört, dass es weitgehend egal ist, wer dort Mitglied wird. Die linken Wähler entscheiden sich nicht für einzelne Abgeordnete und schon gar nicht für eine Regierung. Sie wünschen sich ein Sprachrohr für ihre Nöte, was die beiden Parteichefs Gregor Gysi und Oskar Lafontaine gekonnt bedienen.
Absurd ist auch die viel gelesene Mahnung, die Linkspartei könnte in große Turbulenzen geraten, wenn sie nächstes Jahr nicht in den Landtag von Hessen oder Niedersachsen einzieht. Damit wird unterstellt, dass die Wähler zu dumm seien, um zwischen Bundes- und Landesebene zu unterscheiden. Auch die FDP ist nicht in jedem Landesparlament vertreten, aber im Bundestag noch nie ausgeschieden.
Beliebt ist schließlich der Vorwurf, die Linke sei so traditionalistisch und einfallslos. Wo bleibt der Fortschritt? Und wo ist das eigene Projekt? Nostalgisch wird an die Grünen erinnert, die mit ihren Themen Umwelt, Frauen und Frieden die Gesellschaft modernisiert hätten. So wichtig die Grünen waren - sie sind eine Partei der akademischen Mittelschicht. Jede neue Partei an ihnen zu messen ist pure Ideologie, die eigene Interessen maskieren soll. Es muss Wählern erlaubt sein, soziale Gerechtigkeit wichtiger zu finden als Solarenergie - zumal wenn sie aus der Unterschicht stammen.
Was hingegen von den Kritikern häufig übersehen wird: Die Linke beruft sich zwar auf die sozialistischen Traditionen des 19. Jahrhunderts - aber sie tut es leider unvollständig. So gehört es zur uralten Einsicht aller Sozialisten, dass sich die Unterschichten nur durch Bildung befreien können und dass Umverteilung allein nicht reicht. Deswegen wurden schon im 19. Jahrhundert Zeitungen, Druckereien und Arbeiterbildungsvereine gegründet. Aber von der heutigen Linken ist ausgerechnet zu Pisa wenig zu hören. Sie schweigt weitgehend zu dem Skandal, dass kaum Arbeiterkinder ins Gymnasium oder gar auf die Universität gelangen. Das wäre ihren Vorfahren nicht passiert.
Kurz: Der Linken geht es bestens als Protestpartei. Sie kann nur hoffen, dass sie nicht allzu oft mitregieren muss. Das Beispiel Berlin zeigt, wie gefährlich eine rot-rote Koalition für die Linken sein kann. Bei der Wiederwahl legten Bürgermeister Klaus Wowereit und seine SPD zu, die PDS hingegen verlor fast die Hälfte ihrer Stimmen und erreichte nur noch 13,4 Prozent.
Doch eine Regierungsbeteiligung muss die Linkspartei vorerst nicht fürchten. Die SPD ist dumm genug, jede Koalition auf Bundesebene auszuschließen. Damit verschafft sie den Linken die absolute Deutungshoheit, was links ist in einem Land, in dem die Mitte nach links rückt. Die Sozialdemokraten hingegen scheinen zu glauben, ihr Boykott sei bedrohlich für die Linke. Was für ein Missverständnis.
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