Debatte: Staatliche Angstproduktion
Für Schäuble trohnt über allen Grundrechten ein "Supergrundrecht" auf Sicherheit. Um das durchzusetzen, braucht er die Terrorbedrohung.
G leicht der CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble wegen seiner neuen Vorschläge zur inneren Sicherheit einem Amokläufer, wie SPD-Fraktionschef Peter Struck meint? Ein Opfer der Pflicht wie weiland James Forrestal, der US-Verteidigungsminister zu Beginn des Kalten Krieges, der aus Angst vor der Allgegenwart der kommunistischen Bedrohung den Verstand verlor und sich aus dem Fenster eines Hospital-Hochhauses stürzte?
Vorsicht mit Ferndiagnosen! Der deutsche Innenminister scheint im Besitz seiner vollen Geisteskräfte. Das macht seine Pläne umso gefährlicher. Folgt man der Argumentation Schäubles, so ist nicht er es, der laufend Bedrohungsängste angesichts des islamistischen Terrorismus produziert, sondern es sind seine politischen Gegner, die ihn als Architekten eines orwellschen Überwachungsstaates schmähen und damit völlig unbegründete Ängste in der Bevölkerung schüren. Dabei geht es doch nur darum, den Rechtsstaat, den von Schäuble "glühend" verehrten, an eine veränderte Gefährdungslage anzupassen.
Unsere Verfassung bildet stets die rote Linie - "die man", so Schäuble, "allerdings verändern kann". Dies erfordert Wagemut, einen Vorstoß zu neuen verfassungsrechtlichen Ufern. In dieser Kühnheit sieht sich der Innenminister von der Bundeskanzlerin unterstützt. Man dürfe, so Angela Merkel, bei der Suche nach Sicherheit keinen Dogmen und keinen Denkblockaden aufsitzen. Sich rüsten, cool bleiben und, so Schäuble im Spiegel-Interview, auch nach einem schweren Anschlag "das notwendige Maß an Gelassenheit bewahren". Hysterisch reagieren nach Schäuble nur seine Gegner, die selbst ernannten Verteidiger des Rechtsstaats. Sie sind die eigentlichen Angstmacher.
Sind die Deutschen heutzutage übermäßig ängstlich? Beharren sie aus schierem Immobilismus auf dem guten alten Grundgesetz? Weigern sie sich deshalb, der terroristischen Gefahr ins Auge zu sehen und solche überholten Rechtsgarantien wie das Verbot des präventiven Totschlags oder der vorsorglichen Internierung von "Gefährdern" abzuschaffen? Zunächst die Faustregel: Keine Angst zu haben, heißt, ein Idiot zu sein!
Umfragen zufolge nahm in der Bundesrepublik zwischen 2001 bis 2005 die Angst um den Arbeitsplatz, um die Rente, um den erreichten Lebensstandard kontinuierlich zu. Ähnliche höchst realistische Ängste sehen wir jetzt bei der Klimakatastrophe und vorher schon bei dem Gefahrenpotenzial der Atomkraftwerke am Werk.
In den genannten Fällen gibt es klare Ursachen, Verantwortliche und vernünftige Projekte zur Beseitigung der Übel. Es existieren mögliche kollektive Formen des Engagements, in denen die Angst verarbeitet und politisch aufgehoben werden kann. Wie aber verhält es sich mit der Angst vor der terroristischen Gefahr? Leider, so Schäuble "neigt die Öffentlichkeit dazu zu glauben, wir seien nicht bedroht". Dabei sei die Wahrscheinlichkeit eines terroristischen Anschlags "so hoch wie nie zuvor". Es könne uns "jederzeit treffen".
Mit diesem Beispiel ist ein typische Form staatlicher Angstproduktion dingfest gemacht. Der islamistische Terrorismus wird als allgegenwärtig dargestellt, kann überall und jederzeit zuschlagen. Die Terroristen sind, so das Geheimdienstwissen, netzwerkartig organisiert, aber darüber, wie dieses Netz funktioniert, erhalten wir leider keine Auskünfte. Im Gegensatz zur klassischen Kriegsführung, wo alles seine Ordnung und seinen Namen hat, bleibt der terroristische Feind anonym, erzeugt die "terroristische Kriegsführung" durch ihre Undurchsichtigkeit Verunsicherung und Angst.
Das ist das Material, aus dem die kollektiven Ängste geformt werden. Der Feind lauert hier an der Schnittstelle von drinnen und draußen. Dieses "Draußen", das ist der unbefriedete internationale Naturzustand der Hobbesschen Staatsphilosophie, nur dass die Bedrohung jetzt nicht mehr von feindlichen Staaten ausgeht, sondern von nicht fassbaren amorphen Organisationen. Während ein Krieg idealtypisch den eingrenzenden Regeln des Kriegsvölkerrechts folgen muss, fallen im Kampf gegen den Terrorismus solche Einschränkungen weg. Diese Regellosigkeit im Kampf gegen den "internationalen Terrorismus" wendet sich ins Innere der vom Terror bedrohten Staaten. Die Zweideutigkeit des Begriffs Krieg im Zusammenhang mit dem Terrorismus wird jetzt aufgeklärt. Krieg, das ist die Metapher, die jede Einschränkung von Grundrechten rechtfertigt.
Über allen Grundrechten thront das Grundrecht auf Sicherheit als Supergrundrecht. Man hat Schäubles Sicherheitspolitik oft ein rein taktisches Kalkül unterstellt. Er stelle Maximalforderungen, um das Minimum - hier das neue BKA-Gesetz samt Onlineüberwachung - durchzubringen.
Mag sein, aber die Konzentration auf diese These verstellt den Blick auf Schäubles Vorstellung vom Sicherheitsstaat - und lenkt ab von der Sicherheitsgesellschaft, genauer von dem Sicherheitsdispositiv, das alle Poren der Gesellschaft durchdringen und das Verhalten der Bürger bestimmen soll. Gerade jetzt, vor dem Eintritt der Terrorkatastrophe, können Risikoanalysen in Umlauf gebracht werden, die von konkret benennbaren, zeitlich eingegrenzten Gefahren abgekoppelt sind. An die Stelle der defensiven Gefahrenabwehr tritt die aggressive Prävention.
Der Philosoph Giorgio Agamben spricht von einer heimlichen Komplizenschaft zwischen der staatlichen Sicherheitspolitik und den terroristischen Gruppen. "Am Ende", schreibt er, "kann es so weit kommen, dass Sicherheit und Terror ein einziges, tödliches System bilden, innerhalb dessen beider Handlungen sich wechselseitig rechtfertigen und legitimieren." Agamben schreibt in der Möglichkeitsform. Wie wirksam können die Technologien der Angst eingesetzt werden? Sind wir, spätestens nach dem ersten blutigen Attentat auf deutschem Boden, alle deren Opfer?
Für die Antwort auf diese Fragen ist es sinnvoll, zwischen Furcht als Reaktion auf eine konkrete, benennbare Gefahr und der Angst als einem seelischen Affekt angesichts unbekannter, diffuser, neuer Gefahren zu unterscheiden. Die Konstrukteure des Sicherheitsstaates benötigen eine Atmosphäre allgemeiner Ängstlichkeit, nicht aber den möglichen Ausbruch von Massenpanik als Folge eines Attentats. Schäubles Sicherheitsprojekt profitiert davon, dass die Rahmenbedingung der Angstproduktion bereits existieren. Denn der islamistische Terrorismus ist ja nicht eingebildet. Er muss nur für die Ziele des Sicherheitsstaates handhabbar gemacht, im Kollektivbewusstsein verankert werden.
Diese Arbeit stellt sich als außerordentlich hart heraus. Denn Schäuble sieht sich nicht einer gestaltlosen, nur durch die Angst uniformierten Masse gegenüber. Sondern einer buntscheckigen, durch vielfältige Interessen, Ängste und Hoffnungen geprägten Gesellschaft, die sich wehren wird, in den Angstraum des Sicherheitsstaates eingesperrt zu werden.
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