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DebatteGeneral unter Zugzwang

Kommentar von Bernard Imhasly

Pakistan droht ein Bürgerkrieg. Dem Geheimdienst von Militärdiktator Musharraf entgleiten die Taliban, auch die demokratisch orientierte Bevölkerung formiert sich

I n den letzten Monaten tauchte in Pakistan immer wieder das böse Wort auf, das man einst Preußen nachgesagt hat: "Andere Staaten halten sich eine Armee, in Pakistan hält sich die Armee einen Staat." Der Spruch stammt aus dem Buch "Military Inc.", indem die Autorin Ayesha Siddiqa zeigt, dass die pakistanischen Streitkräfte über ein Netz von Stiftungen und Trusts heute die größte Wirtschaftskraft des Landes darstellen. Ein Drittel der Schwerindustrie gehört ihnen, rund hundert hauseigene Firmen produzieren alles, von Frühstücksflocken bis Zement. Und riesige Flächen öffentlichen Landes sind über Wohnkooperativen zu Wegwerfpreisen an pensionierte Offiziere verkauft worden.

Dass eine solche Studie in einem Land mit einem General als Präsidenten erscheinen durfte, spiegelt das Selbstverständnis der Streitkräfte - dass sie als wichtigster Pfeiler der Nation das Recht haben, von dieser zu profitieren. Die wirtschaftliche Machtakkumulation gründet auf der Fähigkeit der Armee, über den militärischen Geheimdienst ISI ebenso willkürlich in die politischen Prozesse des Landes einzugreifen, wenn sie dies in ihrem und im Landesinteresse lag. Diese zwei Begriffe sind für sie deckungsgleich.

Als Benazir Bhutto zu stark wurde, baute der ISI den unbekannten Lokalpolitiker Nawaz Sharif als Rivalen auf. Und bei den Wahlen von 2002 hielt Präsident Musharraf die demokratischen Massenparteien nur durch massive Wahlfälschungen von der Machtübernahme ab.

Ähnlich wie bei der Förderung ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen manipulierte die Armee auch die Entstehung von islamischen Untergrundgruppen. Sie wurden, mit Billigung des Westens, gegen die sowjetischen Besatzungstruppen in Afghanistan eingesetzt. Danach vollbrachte der ISI sein vermeintliches Meisterstück: Er züchtete aus der verlorenen Generation der jungen Männer, die in den Flüchtlingslagern aufgewachsen waren, die pakistanischen Taliban heran.

Die permanente Kontrolle der Streitkräfte über das politische Leben des Landes blieb nicht ohne Widerstand. Bereits in den frühen Achtzigerjahren wuchs eine zivile Protestbewegung und zwang die Armee, zumindest nach außen die Macht abzugeben. Und als sich Musharraf in diesem Frühjahr mit der Suspendierung eines kritischen Richters den Weg für eine weitere Amtszeit in der verfassungswidrigen Doppelrolle als Präsident und Oberbefehlshaber ebnen wollte, kam es zu einer erneuten breiten Protestbewegung.

Auch die Jehadis begannen gegen die Manipulationen des ISI aufzubegehren, die sie aus taktischen Gründen akzeptiert hatten. Der elfte September brachte dann aber die Wende. Musharraf schlug sich auf die Seite der USA. Damit wurde er in den Augen des Untergrunds zum Verräter am Islam, eine Auffassung, die durch al-Qaida gefördert wurde. Sie erklärte nicht nur dem Westen, sondern auch dessen islamischen Helfershelfern den Krieg. Zwar blieben die Gruppen weiterhin im Sold des ISI. Sie wurden unter dem Druck der USA verboten und durften dann unter anderem Namen wieder auftreten, ihre Führer kamen bestenfalls unter Hausarrest. Doch die politischen Kosten für dieses immer durchsichtigere Doppelspiel sind allmählich untragbar für beide Seiten geworden. Die andauernden Attentatsversuche auf Präsident Musharraf zeigen, dass der Staat auch für den Untergrund endgültig zum Feind mutiert ist.

Die Krise um die "Rote Moschee" hat den Bruch zutage gefördert. Die Militärmacht wurde im Herzen der Hauptstadt offen herausgefordert. Drei Monate lang wurde das Doppelspiel weitergeführt - der Stürmungsplan war bereits am 10. Februar fertig, dennoch wurden, unter den Fenstern des ISI-Hauptquartiers, weiterhin Waffen und Brennstoff in die Moschee gelassen. Medienaufrufe, wenigstens das Wasser und den Strom abzuschalten, ignorierte die Regierung. Doch zum ersten Mal hielt sich der radikale Geistliche Rashid Ghazi nicht mehr an die Regieanweisungen seiner ISI-Führungsoffiziere. Er kapitulierte nicht, um später durch die Hintertür wieder freizukommen. Mit seinem "Märtyrertod" hat er Musharraf und die Streitkräfte gezwungen, endlich Farbe zu bekennen. Die Stürmung der Moschee vor zwei Wochen hat die geheimen Verbindungen des Geheimdienstes zu den Islamisten jäh zerrissen. Wie die pakistanische Zivilgesellschaft am einen Ende des Spektrums sind auch die Jehadis am anderen nicht mehr bereit, die Schiedsrichterrolle der Armee zu akzeptieren.

Präsident Musharraf steht isoliert da. Die Öffentlichkeit, das zeigen die Demonstrationen für den Obersten Richter Iftikhar Chaudhry, verweigert der Armee die Legitimität, sich weiterhin als Retter der Nation aufzuspielen. Und die jüngsten Attentate auf Militärkonvois beweisen, dass die Islamisten nun auch die Streitkräfte in ihr Feindbild aufgenommen haben.

Diese Konstellation zwingt Musharraf, seine Kriegserklärung gegen den Extremismus endlich einzulösen. Sie ist aber auch eine Chance, seiner Verfassungsrolle als Präsident den Vorrang vor jener des Diktators zu geben und eine große Koalition anti-jehadistischer Kräfte hinter sich zu scharen.

Dazu gehören in erster Linie die Generäle, die nun, wie ein Kommentator es bildhaft ausdrückte, den heißen Atem des Frankenstein-Monsters im Nacken spüren, das sie so lange am Gängelband führten. Dazu gehören aber auch die demokratischen Parteien, namentlich jene von Benazir Bhutto, die bereit wäre, als Premierministerin an der Seite von Präsident Musharraf zu stehen, falls dieser die Uniform ablegt. Sogar die islamische Parteienkoalition MMA ist eine "objektive" Verbündete, obwohl sie dies nie offen sagen wird. Denn der radikale Jehadi-Islamismus droht auch ihre ideologische Basis auszuhöhlen. Schließlich kann Musharraf mit der schweigenden Zustimmung der Öffentlichkeit rechnen, die eine weitere Islamisierung des Landes ablehnt.

Bei einem solchen Vorhaben könnte Musharraf auch auf den Westen und namentlich die USA zählen, die bisher unfähig waren, ihn fallen zu lassen, und unwillig, ihn zu stärken. Sie sehen in ihm immer noch das kleinere Übel. Den notorisch schwachen demokratischen Parteien traut Amerika nämlich nicht zu, dem militanten Islamismus wirksam entgegentreten zu können. Den USA wäre es daher am liebsten, wenn Musharraf zusammen mit der demokratischen Opposition eine Regierung bilden würde - umso mehr, als jede demokratische Regierung auf die Armee angewiesen bleiben wird. Bisher hat sich Musharraf taub gestellt, wenn es darum ging, seine demokratischen Intimfeinde ins Land zurückzulassen. Er glaubte, mit der Herausforderung der Jehadis ohne sie besser fertig zu werden. Die derzeitige explosive Lage in Pakistan ist eine Chance für den Westen, auf eine echte demokratische Öffnung zu drängen. Doch selbst wenn diese Öffnung gelingt, bleibt die Frage, ob der Zug Richtung Irak nicht bereits abgefahren ist.

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