Debatte: Alltag in Mügeln
Mehr Geld für Programme gegen rechts werden die Dauerkrise in Ostdeutschland nicht beenden. Nötig sind eine neue Kultur der Anerkennung und ökonomische Perspektiven.
N och lässt sich nicht im Detail rekonstruieren, was sich am Sonntagabend auf dem Stadtfest im sächsischen Mügeln ereignet hat. Festzustehen scheinen folgende Fakten: Es floss eine Menge Alkohol, es gab Streit, und es folgte eine Schlägerei, bei der 14 Menschen, darunter acht Inder, verletzt wurden. Diese flohen in eine Pizzeria. Angegriffen wurden sie von etwa 15 Personen, die unter anderem "Ausländer raus!" grölten. Dutzende Festbesucher liefen dem Mob hinterher, ob sie nur neugierig waren oder auch mit den Tätern sympathisierten, das wird sich nicht mehr klären lassen.
Der Bürgermeister wiegelt dreist ab. Ausländerfeindliche Parolen könnten jedem mal über die Lippen kommen, bekundet er und sagt damit fast alles über den fremdenfeindlichen Alltag in seiner Stadt. Politiker und Berufsbetroffene hingegen verfallen in Rituale. Die einen geben sich mal wieder überrascht, die anderen fordern neues Geld. Ostdeutsche Christdemokraten hingegen wehren sich gegen pauschale Vorverurteilungen, auch die PDS, die jetzt Die Linke heißt, warnt davor, mit dem Finger auf den Osten zu zeigen.
Was denn sonst? Natürlich gibt es Ausländerfeindlichkeit auch im Westen. Aber nur im Osten gibt es eine hegemoniale völkische Jugendkultur. Nur dort sitzt die neonazistische NPD in zwei Landtagen, dazu die DVU in einem anderen. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer rassistischen Gewalttat zu werden, liegt dort um ein Vielfaches höher als im Westen. Nur im Osten gibt es No-go-Areas. Mügeln ist ostdeutscher Alltag.
Im Westen ist Ausländerfeindlichkeit noch weitgehend privatisiert und tabuisiert. Im Osten hingehen sind Rechtsextremisten und Rassisten einflussreiche gesellschaftliche Akteure, vor allem in Kleinstädten und ländlichen Regionen, die ethnisch homogen geblieben sind und ökonomisch abgehängt wurden. Neonazis dominieren dort lokale Diskurse, rechte Jugendcliquen bestimmen, wer sich auf dem Marktplatz aufhalten darf. Die lokalen Eliten, selbst die, die nicht wegschauen wollen, stehen dem hilflos gegenüber. Zumal ein Teil der Bevölkerung mit dem Mob sympathisiert. Manche sind selbst in der rechten Jugendkultur sozialisiert worden, haben sich mittlerweile aber etabliert. Diejenigen hingegen, die fantasievoll eine Gegenkultur prägen könnten, sind längst in den Westen oder die ostdeutschen Großstädte abgewandert.
Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig. Sie reichen bis in die DDR zurück, wo Ausländer gettoisiert wurden. Zudem war Gewalt im DDR-Alltag sehr viel präsenter, eine Tradition des Wegschauens weit verbreitet. Nach der Wende wurde es versäumt, zivilgesellschaftliche Strukturen von unten aufzubauen, gleichzeitig wurden die sozialen Strukturen zerstört. Die ostdeutsche Transformation wurde vom Westen bestimmt, dessen gesellschaftlicher Konsens bis heute im Osten nicht verankert ist.
Die NPD und viele militante Kameradschaften sind in diese Vertretungslücke hineingestoßen. Sie profilieren sich als Sprachrohr derjenigen, die von den westdeutsch sprechenden Eliten und ihren politischen Diskursen nicht mehr erreicht werden. Sie artikulieren die Ängste vieler Unterprivilegierter, Hartz-IV-Empfänger und gesellschaftlicher Verlierer. Sie geben ihnen erfolgreich eine antidemokratische und rassistische Antwort auf die soziale Frage und bestärken jene, die teils wohl kalkuliert, teils alkoholisiert zuschlagen, wenn sie auf Fremde stoßen. Natürlich ist jetzt mal wieder das Entsetzen groß, und der Ruf nach frischem Geld für zivilgesellschaftliche Initiativen ertönt laut.
Dabei ist die Strategie, die gesellschaftlichen Gegenkräfte zu stärken, gescheitert. Diese sind viel zu schwach, als dass sie den Rechtsextremismus und deren Jugendkultur in der ostdeutschen Provinz zurückdrängen könnten. Und die propagierte Strategie der Ausgrenzung gegenüber der NPD und ihren Anhängern erreicht dort eher das Gegenteil: die Selbstisolierung der Engagierten. Wer sich etwa in Vorpommern oder der Sächsischen Schweiz gegen Neonazis engagiert, wird von ihnen beschimpft, bedroht oder gar angegriffen. Er kann sich nicht darauf verlassen, dass sich die Kommune schützend vor sie stellt. Linke Initiativen gelten als aufmüpfig und unbequem oder gar als Nestbeschmutzer. Der kommunale Konformitätsdruck ist groß, die Parole "bunt statt braun" stößt vor Ort meist auf wenig Sympathie. Viele Betroffen halten Angst und Isolierung irgendwann nicht mehr aus und fliehen.
Hinzu kommt: Die NPD und ihre militanten Kader sind mittlerweile so selbstbewusst, dass sie von sich aus in die Öffentlichkeit drängen. Sie provozieren gezielt Eklats, und weil es unter Politikern und Gutmenschen als Commonsense gilt, dass man nicht mit Neonazis diskutiert, gerieren sie sich unter ihresgleichen anschließend als Opfer und Märtyrer. Immer häufiger stehen nicht die Provokateure, sondern die Zivilgesellschaft und ihre Akteure blamiert da.
Die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland braucht statt teurer Programme deshalb einen Paradigmenwechsel. An die Stelle der Strategie der Ausgrenzung muss eine Kultur der Anerkennung treten, nicht der NPD und ihrer Kader, auch nicht ihrer menschenverachtenden Ideologie. Wer den Rechtsextremismus und die Gewalt im Osten eindämmen will, muss aber endlich die fragilen Lebenswelten derjenigen, die die NPD erfolgreich mobilisiert, wahrnehmen und deren Ängste ernst nehmen. Der muss mit den Menschen in deren Sprache kommunizieren und ihnen soziale und demokratische Perspektiven aufzeigen. Das heißt letztendlich, die Menschen müssen wieder in die Gesellschaft integriert werden.
Dazu gehört erstens, dass es nicht mehr als normal gilt, wenn Menschen 3,50 Euro die Stunde verdienen. Zweitens muss die in Verruf geratene akzeptierende Jugendarbeit wiederbelebt werden, damit anfällige Jugendliche frühzeitig von den neonazistischen Kadern getrennt werden können. Drittens brauchen ostdeutsche Kommunen ein Klima, in dem die Menschen sich gerne engagieren. Allzu häufig gerieren sich Bürgermeister dort wie einst in der DDR als Repräsentanten des zentralistischen Staates und empfinden Eigeninitiative als störend. Und wenn NPD-Kader offensiv in der Öffentlichkeit präsent sind und Ängste schüren, dürfen sich Politiker, viertens, nicht länger wegdrehen, sondern müssen diesen lautstark und nachhaltig widersprechen.
Ausmerzen wird man Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit nie. Aber wenn es gelänge, diese im Osten einzudämmen, wäre schon viel erreicht. Beschränkt sich die Politik hingegen weiter auf ritualisierte Empörung und symbolische Sonderprogramme, dann gewinnt die rechtsextreme Szene weiter an Einfluss und die NPD noch mehr Wähler. Zudem wird Mügeln nicht die letzte ostdeutsche Kleinstadt bleiben, die mit rassistischen Exzessen Schlagzeilen macht.
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