Sachsens Polizeipräsident: "Mügeln hat mich überrascht"
Die Mügelner könnten Zivilcourage zeigen - indem sie gegen die Täter aussagen, meint der sächsische Polizeipräsident Bernd Merbitz.
taz: Herr Merbitz, wie oft kommt es vor, dass eine Menge gegen Polizisten vorgeht?
Bernd Merbitz: Bei Fußballspielen haben wir es ab und zu, dass Hooligans das tun. Bei Volksfesten ist das sehr selten.
BERND MERBITZ, 51, ist Landespolizeipräsident von Sachsen. Anfang der Neunzigerjahre baute er die Sonderkommission des Landes gegen Rechtsextremismus auf. Er ist Fraktionsvorsitzender der CDU im Kreistag des Muldentalkreises.
Wie verhält sich ein Polizist, wenn eine Meute vor ihm steht?
Man versucht, auf die Leute in der Menge sprachlich oder körperlich einzuwirken, die am aktivsten sind. Bei einem Pulk weißt du aber oft nicht, ob du den Richtigen ansprichst. Auf den einen wirkt die Uniform, auf den anderen gar nicht. Du merkst plötzlich, dass du einer Masse gegenüberstehst, und der Adrenalinspiegel steigt. Man konzentriert sich meistens zuerst darauf, die Opfer aus der Situation rauszubringen.
Wie haben sich die beiden Polizisten verhalten, die am Sonntag vor der Pizzeria standen, in die die Inder geflüchtet waren?
Sie haben deutlich gemacht, dass die Leute sich beruhigen sollen. Sie haben auch Pfefferspray eingesetzt, als die Leute trotzdem in die Pizzeria wollten. Das hat die Angreifer zumindest auf Distanz gehalten.
Wie schnell traf die Verstärkung ein?
Um 0.43 Uhr war die Auseinandersetzung, und eine knappe halbe Stunde später war die erste Gruppe der Bereitschaftspolizei da. Das ist eine optimale Zeit, dadurch begünstigt, dass Bereitschaftspolizei in Leisnig im Einsatz war.
Haben die acht Inder Glück gehabt?
Man muss auf jeden Fall sagen, dass die Bereitschaftspolizei Schlimmeres verhindert hat. Die zwei Polizeibeamten hätten sich gegen die 50 Mann nicht noch länger zur Wehr setzen können. Es wurden aber auch Kräfte aus der Polizeidirektion und aus dem Revier Oschatz zusammengezogen, auch Hundeführer. Nach einer Dreiviertelstunde waren 69 Beamte vor Ort.
Wenn es eine Stunde gedauert hätte, wüssten Sie nicht, was geschehen wäre?
Ich sage ganz unumwunden: Ich bin froh, dass es nicht länger dauerte.
Sie haben nach den ausländerfeindlichen Exzessen von Hoyerswerda 1991 die Sonderkommission Rechtsextremismus aufgebaut. Wie verhalten sich Neonazis gegenüber Polizisten?
Wenn wir die rund 16 Jahre betrachten, dann war in den ersten Zeiten der Soko Rex ein Respekt vor der Polizei da. Anfang der Neunzigerjahre haben rechts Orientierte anerkannt, dass wir für Sicherheit und Ordnung verantwortlich sind.
Und heute?
Sie gehen jetzt aggressiv gegen die Polizei vor. Ich war vor anderthalb Jahren dabei, als wir ein Skinheadkonzert in Döbeln aufgelöst haben. Die Polizei wurde mit Flaschen beworfen, und wir mussten eine Wand durchbrechen, um überhaupt in den Saal zu kommen. Die Sprache gegenüber der Polizei ist aggressiver geworden.
Waren in Mügeln Rechtsextreme dabei?
Die zwei Täter, die ermittelt wurden, haben keinen rechtsextremistischen Hintergrund, der irgendwo verankert ist. Wir können bisher nicht erkennen, dass eine rechtsextremistische Organisation, etwa eine Kameradschaft, dahintersteckt. Klar ist, dass es eine fremdenfeindliche Straftat ist. Durch das Rufen: "Ausländer raus, Deutschland den Deutschen!", wurde Hass geschürt. Die Situation ist eskaliert. Die Inder haben getanzt, es kam zu Rempeleien, und dann ging es aus dem Zelt raus. Dort sollen indische Staatsbürger mit Pfefferspray empfangen worden sein. Wir haben Verletzte indische Staatsbürger und auf der anderen Seite zwei Deutsche mit Stich- oder Schnittverletzungen im Rücken. Jetzt muss man differenzieren: Was sind Notwehrsituationen? Was hat mit Angriff zu tun?
Das heißt: Manche beschuldigen die Inder, dass sie zuerst gewalttätig wurden?
Das ist ja normal, dass beide Seiten sagen, die anderen haben angefangen. Die Inder waren allerdings in der absoluten Minderheit. Das müssen wir auseinanderklamüsern. Und es bleibt dabei: Es hat sich dort Ausländerhass entwickelt.
Aus einem Mügelner Jugendclub gibt es den Hinweis, dass Neonazis an dem Wochenende den Club angreifen wollten, woraufhin er geschlossen wurde. Kann es auf dem Volksfest zu einer Ersatzhandlung gekommen sein?
Es gab einen Hinweis, dem die Polizei auch nachgegangen ist. Dieser konnte jedoch selbst durch den Hinweisgeber nicht weiter konkretisiert werden. Eine sogenannte Ersatzhandlung im Rahmen des Volksfestes kann nach jetzigem Stand der Ermittlungen jedoch ausgeschlossen werden.
Wie gehen Sie weiter vor?
Wir haben bis Mittwoch 20 Zeugen gehört, aber wir müssen noch viel mehr befragen. Wir setzen insgesamt 26 Leute für die Ermittlungen ein. Wir drucken Handzettel, die an die Haushalte in Mügeln verteilt werden, mit dem Hinweis, sich als Zeuge zu melden. Die Mügelner können auch Zivilcourage zeigen, indem sie sich melden.
Hat Sie das Ereignis in Mügeln überrascht?
Mügeln hat mich überrascht. Die Stadt hat keine organisierte rechtsextreme Szene. Wir müssen nüchtern an den Fall rangehen. Aber wir müssen auch sagen: Es kommt doch vor, dass aus dem Nichts heraus eine Situation entsteht, die für so eine Stadt vernichtend ist.
INTERVIEW: GEORG LÖWISCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!