Debatte um Zentral- und Landesbibliothek: Zielloses Zeitverplempern
CDU-Kultursenator Joe Chialo hält eisern an der Idee fest, das Gebäude der Galeries Lafayette für die ZLB anzukaufen. Er verschwendet seine Zeit.
W er dachte, die „Jahrhundertchance“ für Berlins Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) sei längst begraben, wurde jetzt durch Kultursenator Joe Chialo eines Besseren belehrt. Kein Geld? Kein Problem. Wie der CDU-Politiker im Abgeordnetenhaus erklärte, setzt er bei der Suche nach einem neuen Super-Standort für die ZLB einfach weiter auf die tot geglaubte Idee, mit den aus allen Nähten platzenden Dependancen in Mitte und Kreuzberg in das demnächst leerstehende Luxuskaufhaus Galeries Lafayette an der Friedrichstraße zu ziehen.
Bereits im August vergangenen Jahres hatte Chialo dafür geworben, die ZLB in dem 1996 eröffneten und seit langem darbenden Konsumtempel unterzubringen. Die Bibliotheksszene war elektrisiert. Im Gegensatz zu den Haushaltspolitiker:innen, denen sich bei dem vom Eigentümer des Gebäudes aufgerufenen Kaufpreis von fast 600 Millionen Euro der Magen umdrehte. Letztere setzten sich durch. Chialos Lafayette-Wiederverwertungs-Plan findet sich mit keiner Zeile im wenige Monate darauf verabschiedeten Doppelhaushalt 2024/2025.
Der Eigentümer will zwar immer noch fast 600 Millionen sehen oder ansonsten das Kauf- in ein Bürohaus umbauen lassen. Dafür zauberte die Kulturverwaltung nun neue und, so Chialo, „kreative“ Finanzierungsideen aus dem Hut: Die ZLB zieht ins Lafayette, vermietet aber zwei der sieben Etagen an die vom Bund finanzierte Staatsbibliothek. Die nutzt die ehemaligen Kaufhausstockwerke während der geschätzt bis zu 15 Jahre dauernden Sanierung ihres Haus 2 an der Potsdamer Straße – und über die Mieteinnahmen kann das Land Berlin wiederum den Kauf des Gebäudes irgendwie mitstemmen.
Es klingt alles so vernünftig und einfach. Aber wie das so ist mit dem Vernünftigen und Einfachen: Es ist schwer zu machen. In dem Fall tendieren die Chancen für Chialos Jahrhundertchance wie im vergangenen Jahr allerdings auch jetzt wieder gegen Null.
Wenig Begeisterung bei Staatsbibliothek und SPD
Da ist zunächst die Staatsbibliothek als Einrichtung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und damit des Bundes. Richtig ist, dass deren 1978 fertiggestellter Standort an der Potsdamer Straße, der prosaisch Haus 2 genannte Scharoun-Bau, zwar seit Jahren ebenso dringend wie aufwendig saniert werden muss. Allerdings gibt es hierfür bislang weder eine offizielle Kostenprognose noch einen verlässlichen Zeitplan.
Und dann ist da der Koalitionspartner SPD. Schon beim ersten öffentlichen Vorstoß Chialos vor neun Monaten erklärten die Sozialdemokrat:innen hinterher, dass sie erstens nichts davon wussten und zweitens nichts davon hielten. Das wiederholten sie nun. Die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion sprach erneut von „einer charmanten Lösung“, um dann hinzuzufügen, dass ihr aber „wirklich die Phantasie“ fehle, „wo wir das Geld hernehmen wollen“.
Was in der Begeisterung über Chialos neue Kreativität tatsächlich unterschlagen wird: Der Bund würde mit seinen Mietzahlungen für die zwei Etagen allenfalls einen Teil zur Finanzierung des Lafayette-Ankaufs beitragen. Vor allem aber dürfte er versucht sein, die Kosten möglichst weit zu drücken. Das eigene Großprojekt wird genug verschlingen.
Zu den Avancen des Kultursenators ließ die Stiftung Preußischer Kulturbesitz dann auch kühl mitteilen, dass die Prüfung eines geeigneten Standorts für eine Interimslösung während der Grundinstandhaltung des Haus 2 „noch nicht abgeschlossen“ sei. Begeisterung klingt anders.
Selbst wenn der Bund mitspielt: Den Rest des Kaufbetrags für das Lafayette-Gebäude müsste Berlin weiterhin allein tragen. Schon kursieren Vorschläge, das ebenfalls sanierungsbedürftige ZLB-Haus an der Breiten Straße in Mitte an einen Immobilieninvestor zu verscherbeln. Auch von Sponsoring ist die Rede. Na dann, herzlich Willkommen in der Zalando-Zentral- und Uber-eats-Landesbibliothek an der Friedrichstraße!
Das Projekt am Blücherplatz
So wird ziellos Zeit verplempert, während die eigentlichen Pläne für einen neuen Zentralstandort am Kreuzberger Blücherplatz neben der Amerika-Gedenkbibliothek in der Ecke verschimmeln. Zur Erinnerung: Es gibt Machbarkeitsstudien von 2015, Wirtschaftlichkeitsstudien von 2016, einen Senatsbeschluss von 2018, schließlich 2019 noch ein Dialogverfahren. Grünes Licht allerorten. Trotzdem ruht seit Jahren still die See.
Auch das ist zu nicht unwesentlichen Teilen der SPD und der von ihr seit 2021 (wieder) geführten Senatsbauverwaltung zu verdanken. In regelmäßigen Abständen ventilieren die Sozialdemokrat:innen neue alte Monsterbau-Ideen. Mal soll die ZLB ins Tempelhofer Ex-Flughafengebäude ziehen, mal ins ICC. Beide sind baulich wie bibliotheksfachlich zwar gänzlich ungeeignet. Aber egal. Sie stehen nun mal da und weitgehend leer und gehören dem Land.
Das Projekt am Blücherplatz wird in der Zwischenzeit auch durch die generellen Baukostensteigerungen teurer und teurer. Schon 2022 waren aus ursprünglich 350 Millionen fast 500 Millionen Euro geworden, mittlerweile sind es über 600 Millionen. Wenn Chialo jetzt sagt, jeglicher Um- oder Neubau werde „teurer als das Angebot, was wir jetzt anpeilen“, trifft das nach Jahren des Nichtstuns leider zu. Dass der Neubau dereinst nur über Kredite zu finanzieren sein wird, ist klar. Es ist aber allemal besser als der Verkauf landeseigener Liegenschaften.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Nachnutzung aus der Zeit gefallener Kaufhäuser als Orte nichtkommerziellen Gemeinwohls ist unbedingt zu begrüßen, allein unter ökologischen Gesichtspunkten. Und, ja, es wäre überaus hübsch, wenn die ZLB in die Galeries Lafayette einzöge. Nur ist das angesichts der aktuellen Berliner Kassenlage und der sozialdemokratischen Blockadehaltung wenig realistisch. Doch genau das ist es, was die ZLB braucht: eine realistische, eine echte Perspektive. Und die liegt am Blücherplatz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag