Debatte um Schriftsteller Simon Strauß: Kultureller Clash
Kein Wunder, dass die Debatte um den Autor Simon Strauß so hochgekocht ist. Hier zeigt sich eine politische Spaltung im jungen Literaturbetrieb.
An irgendeine Wunde muss sie dann wohl doch rühren, die Debatte um den Schriftsteller und FAZ-Feuilletonredakteur Simon Strauß. Eine Woche lang haben sich Literaturredaktionen, Blogger, Verleger und Literaturinteressierte nun an dessen Roman „Sieben Nächte“, an einzelnen Artikeln des Autors zur politischen Großwetterlage und dem von ihm mitinitiierten „Jungen Salon“ in Berlin abgearbeitet, mit der Frage: Macht Strauß rechte und nationalistische Positionen im deutschen Literaturbetrieb (wieder) salonfähig?
Man könnte auf die Idee kommen, diese Frage voreilig zu bejahen. Da ist der Schriftsteller Strauß, dessen gegenwartsmüder Erzähler sich in ein heroisches Zeitalter zurücksehnt, in dem Männer mit Argumenten wie mit Schwertern fochten, ihr Steak blutig aßen und für eine Sache brannten. Der in seinen Roman Sätze einstreut wie: „Oben über dem alten Backsteingebäude weht die Deutschlandfahne im Wind und fragt sich, wofür. Warum sich jeden Tag aufs Neue hochziehen lassen, wenn doch keiner zu ihr aufschaut.“
Da ist der Journalist Strauß, der in der FAZ die passende Reportage dazu liefert und das Bild eines dahinsiechenden, unter Merkel verkommenen Landes skizziert, in der der geschundene autochthone Bürger und Bildungsbürger nichts mehr zählt. Und da ist der Salonbetreiber Strauß, der schon mal Götz Kubitschek auf einen Plausch einlud.
Natürlich kann man sich aus Strauß einen „Wegbereiter der Rechten“ zusammenbasteln, wie Volker Weidermann, der ihn zunächst abgefeiert hatte, es nun tat. Strauß verstreut die Puzzleteile, die man sich dafür zusammensuchen muss, allzu großzügig, spielt mit den aus der Literaturgeschichte bekannten antidemokratischen Strömungen („Wer von Wut spricht, gerät unter Verdacht, wird zum Antidemokraten abgestempelt“, sagt sein Erzähler).
Das Zerwürfnis zweier literarischer Zirkel
Wobei man, wenn man genau wäre, auch dann sagen müsste, Strauß repräsentiere schlicht nur ein – gerade recht populäres – politisches Denkmuster in der Literatur. Es haben bestimmt keine Alexander Gaulands und Jörg Meuthens auf den hoffnungsvollen Jungredakteur und Messias Simon Strauß gewartet, auf dass er ihnen den Weg ebne. Das schaffen die schon ganz gut alleine.
Insofern waren es die sehr erwartbaren Reiz-Reaktions-Schemata, die man in dieser Woche beobachten konnte. Die einen sehen einen neuen Faschismus in der Literatur aufziehen, weil einem 29-Jährigen vor der Tastatur ein bisschen langweilig war und er nichts mit seinem Leben anzufangen weiß. Die anderen verteidigen den Autor und sehen „Gesinnungsprüfer“ (Welt) am Werk.
Der Furor der Debatte verwundert aber nicht, denn es schwingt mehr mit als nur die erfolgreichen Provokationen von Strauß. Am deutlichsten zeigt sich das Zerwürfnis zweier literarischer Zirkel, die sich zunächst neugierig beschnupperten und sich im Verlauf dieser Debatte heillos zerkrachten: Der Strauß’sche Kreis auf der einen Seite und die Berliner Literaturgruppe „Rich Kids of Literature“, die sich rund um den Korbinian Verlag und die Redaktion des Magazins Das Wetter gebildet hat, auf der anderen Seite.
Berliner Mischung, Bohemeanstrich
Beide sind aus der gleichen Generation, um die 30, und beide beziehen sich irgendwie auf die Romantik. Nur die einen nennen es Neoromantik (Strauß) und die anderen „Ultraromantik“. „Ultraromantik“ heißt ein von Korbinian herausgegebenes Manifest, in dem Autor Leonhard Hieronymi sich in Manier der Dadaisten und Futuristen eine Synthese von Romantik und Science-Fiction herbeifantasiert. Strauß hatte es als Inspirationsquelle genannt, der Guardian – und dann die taz – stellten einen Zusammenhang zwischen beiden her.
Eigentlich war aber klar, dass das nicht zusammengehen konnte: Hier die „Rich Kids“ und der Korbinian Verlag, ein popkulturnaher Verlag, Hipsterverdacht, in Kreuzberg und gefühlt in Neukölln zu Hause, irgendwie links, völlig unterschiedliche soziale Hintergründe, Berliner Mischung, Bohemeanstrich.
Dort der Kreis um Strauß, der der Sohn von Botho Strauß ist, dessen „Junger Salon“ sich bei Weißwein in Berlin-Wilmersdorf zum privaten Gespräch trifft. Mit den Bezugspunkten Deutsche Klassik und Romantik, dem Ruch des Elitären, irgendwie bildungsbürgerlich, sich auf einen vorgeblich unpolitischen, reinen Ästhetizismus berufend.
Auch auf die Väter gucken
An der Frage des Politischen clashte es. Auf Facebook. Da bekämpfen sich beide Seiten nun. Die „Rich Kids“ schrieben eine lange Stellungnahme, sie und ihre „Ultraromantik“ wollten nicht länger mit Strauß in Verbindung gebracht werden. Vor allem Strauß’ journalistische Texte glichen „in seiner Vergangenheitsverklärung dem romantisch-nationalistischen Sprech der Identitären“, schrieben Sascha Ehlert und Katharina Holzmann, Betreiber des Korbinian Verlags.
Als ich diese Woche mit Ehlert telefonierte, sagte er: „Wir spüren ein Unbehagen gegenüber einer Literatur, die mit martialischen Formulierungen arbeitet und die sich auf ein Männlichkeitsbild des frühen 20. Jahrhunderts bezieht, das viel Unheil hervorgebracht hat.“Strauß’ Reaktion: Ein ebenso langer Post. „Ängstliche Heuchler ohne Rückgrat“ seien sie, „unlauter und verlogen“.
Nimmt man nur mal die unterschiedlichen Klassenhintergründe des Ultraromantikers Hieronymi und des Neoromantikers Strauß hinzu, wird es noch spannender. Es wurde oft darauf hingewiesen, man dürfe Simon Strauß nicht in Sippenhaft nehmen, was natürlich richtig ist. Aber wie man sich eine Sprecherposition als Autor erarbeitet oder nicht erarbeitet, ist schon eine interessante Frage.
Hieronymi distanziert sich inzwischen auch von Strauß, er schreibt in einem amüsanten, bislang unveröffentlichten Text in Bezug auf die Debatte: „Ich will, wenn man sich schon Strauß’ Vater ständig anschaut, dass man sich auch meinen anschaut. Mein Vater ist ein humpelnder, zwei Meter großer Gas-und-Wasser-Installateur, der in den letzten zehn Jahren nur ein Buch gelesen hat: ,Das Manifest der Ultraromantik'! Und er sagte zu mir: ‚Witzig!‘ Er hat die bisher beste Interpretation meines Buchs geliefert.“
Faschismusverdacht ist ein Gefallen
Das ist mehr als nur ein Nebenkriegsschauplatz , sagt aber nichts aus über Strauß’ politische Haltung. Da ist die Frage: Geht es nicht eine Nummer kleiner, als gleich die Nazikeule rauszuholen? Denn es ist schon richtig, wenn einige nun insistieren, man könne auch mal auf andere Facetten von Strauß eingehen. Da würde man dann feststellen, dass er von einem Björn Höcke immer noch meilenweit entfernt ist, wenn er sich etwa an einem Rolf-Joseph-Preis beteiligt, der an den Schoah-Überlebenden gleichen Namens erinnert.
Und mangelnden Pluralismus kann man dem „Jungen Salon“, der sich zwischen 2013 und 2016 traf, nicht unbedingt vorwerfen, eingeladen waren zum Beispiel auch Autor und Schauspieler Hanns Zischler und Schriftstellerin Nora Bossong, die man politisch nicht rechts verorten würde.
Darauf verweist auch Robert Eberhardt, Mitbetreiber des „Jungen Salons“, mit dem ich diese Woche telefonierte. Bei Kubitschek sei es eben so gewesen, dass man seine Argumentationsmuster habe verstehen wollen, erklärt Eberhardt – im Übrigen sei man im Streit auseinandergegangen. Die meisten Salonmitglieder hätten linke Ansichten vertreten, versichert er. Verwundert ist man dann über seine Aussage, der Salon sei ein „unpolitischer Zusammenschluss“. Wollte man auch mit Götz Kubitschek mal gänzlich unpolitisch diskutieren?
Wenn man sich als progressiv und egalitär denkender Mensch versteht, kann man es natürlich unappetitlich finden, wie Strauß und Co. mit Ressentiments und der gesellschaftlichen Stimmung spielen. Den Faschismusverdacht sollte man aber zurückstellen. Damit tut man den Rechten nur einen großen Gefallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure