Debatte um Pressekodex: Eine Frage der Ethik
Der Presserat diskutiert die Berichte über die Gewalt zu Silvester in Köln. Es geht darum, ob Medien die Nationalität von Tätern nennen sollen.
Knickt der Journalismus ein und gibt er dem Druck „auf der Straße“ nach? Diese Frage beschäftigt an diesem Mittwoch den Presserat, die von Verlagen und Gewerkschaften getragene Selbstkontrolle der Branche. Auf seiner Sitzung in Berlin will das Gremium die Berichterstattung nach der Silvesternacht mit seinen hässlichen Übergriffen auf Frauen reflektieren.
Konkret geht es darum, ob die Richtlinie 12.1 des Pressekodex überarbeitet wird. Hier heißt es zur Berichterstattung über Straftaten, „die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten [wird] nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“.
Klingt logisch, zumal die Benennung vor allem ausländischer Tatverdächtiger leicht Stimmen aus dem ganz rechten Spektrum provozieren kann. Seit den Vorfällen in Köln ist der Paragraf aber umstritten.
Bild-Chefredakteurin Tanit Koch zum Beispiel positioniert sich als 12.1-Gegnerin. Die Richtlinie stehe für „ungerechtfertigte Selbstzensur“ und belege, „wie unmündig Leser in den Augen des Presserats“ seien, sagte Koch dem Medium Magazin. Außerdem schüre 12.1 das Misstrauen gegenüber der journalistischen Arbeit: „Menschen merken, wenn ihnen relevante Informationen vorenthalten werden.“
Mehrheit der Chefredakteure will überarbeiten
Gut, könnte man sagten, Tanit Koch ist Boulevardjournalistin. Als solche würde sie sich sicher über laxere Standards freuen. Doch sie ist mit ihrer Position nicht allein. Auf einer Konferenz, zu der Ende Februar die Nachrichtenagentur dpa die Chefredakteure ihrer Abonnenten geladen hatte und auf der auch die Lehren aus der Silvesternacht Thema waren, war laut Teilnehmern sogar die Mehrheit dafür, 12.1 mindestens zu überarbeiten, wenn nicht sogar komplett abzuschaffen. Der Chefredakteur der Nordwest-Zeitung, Rolf Seelheim, soll gesagt haben, der Kodex sei ein „regelrechter Verhaltenskatalog“, den er „für übel“ halte.
Dem Fachdienst epd Medien sagte Seelheim vor der anstehenden Diskussion zudem: „Das Schlimmste ist doch, wenn Leser, die für ihre Zeitungen und Illustrierten Geld bezahlen, sich im kostenlosen Internet besser informiert fühlen, weil die Presse Ross und Reiter nicht nennt.“
Genau das ist das Dilemma der Journalisten: Pressemitteilungen der Polizei mit teils detaillierten Angaben zu dem Hintergrund von Tätern kursieren heute im Netz. So war das – nach dem anfänglichen PR-GAU – auch nach Köln. Fast unisono heißt es dazu von Journalisten: Das Geschehen auf der Domplatte und im Hauptbahnhof sei ein gesellschaftliches Phänomen gewesen und die Benennung der Herkunftsregionen der mutmaßlichen Täter daher okay. „Den nationalen beziehungsweise ethnischen Hintergrund der Tatverdächtigen danach nicht zu nennen, wäre Nachrichtenunterdrückung gewesen“, sagte Bild-Chefin Koch.
Kein Verbot, sondern vage
Gleichwohl hat die Pressekodex-Richtlinie 12.1 auch ihre Fans, denn: Der Passus ist kein Verbot, sondern vage gehalten. Er ruft zum Abwägen auf – und zur permanenten Reflexion. Kölner Medienmacher etwa wollen an 12.1 festhalten.
Kritiker fürchten die Richtlinie allerdings auch, eben weil sie vage gehalten ist. Für sie ist die Unverbindlichkeit der Passage ein Problem. Sie haben Angst davor, sich falsch zu entscheiden und dann – nach Beschwerden der Leser und der Einzelfallprüfung durch den Presserat – eine Rüge zu kassieren und als Idioten dazustehen.
Der Presserat wird am Mittwoch unter anderem mit einem Medienpsychologen, mit Medienkritikern und ausgewählten Chefredakteuren diskutieren. Dazu hat das Selbstkontrollgremium etwa 30 Beschwerden zu Köln auf dem Tisch: Hinweise von Lesern, denen die Berichterstattung zu weit ging. Messen wird sie der Presserat zuletzt an der Richtlinie 12.1 – vielleicht ja ein letztes Mal.
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