Debatte um "Kill Switch": Knopf gedrückt, Internet aus
In Ägypten wurde einfach mal das ganze Internet abgeschaltet. Eine kurze und hektische Debatte gab es auch in Österreich und in Deutschland.
WIEN/BERLIN taz/dpa | Im österreichischen Bundeskanzleramt wurde heftig dementiert, an Plänen für einen "Kill Switch" zu arbeiten. Und auch das deutsche Bundesinnenministerium ließ erklären, dass es keine Bestrebungen nach einem "Not-Aus-Schalter" für das Internet gebe. Auch nicht in der EU. Mit einem "Kill Switch" könnte das landesweite Internet- und Handynetz mit einem Knopf abgeschaltet werden. Bisher gibt es dafür aber in beiden Ländern keine gesetzliche Grundlage.
Die Diskussion um den "Kill Switch" war durch eine Entscheidung des ägyptischen Präsidenten Mubarak stark angeheizt worden. Er ließ seine Behörden die Mobilfunk- und sonstigen Internetzugangs-Provider anweisen, die Internet-Router abzuschalten. Daraufhin brach die Internet-Kommunikation weitgehend zusammen.
Das Newsportal Futurezone berief sich auf Timo Mischitz, einen Verantwortlichen des GovCERT (Government Computer Emergency Response Team) im österreichischen Bundeskanzleramt, als es meldete, dass EU-weit an einem Kill-Switch gearbeitet werde und daher auch Österreichs Regierung bald über einen derartigen "Not-Aus-Schalter" verfügen könne. "Wir treiben diesen Punkt schon seit geraumer Zeit voran", so Mischitz. Man werde sich im Rahmen internationaler Abkommen bewegen, wenn man festschreibt, wo und wann das Internet im Falle von Attacken gekappt wird und wo es aufrecht erhalten bleibt. Diese Abschaltung werde dann aber nicht national, sondern auf EU-Ebene getätigt.
"Wenn man das Kriegsrecht ausruft, geht es wahrscheinlich schon", meint Hans Zeger, Chef und Gründer der ARGE Daten, die über den Datenschutz in Österreich wacht. Technisch sei das allerdings schwierig, so Zeger zur taz. Knapp 95 Prozent des digitalen Datenverkehrs laufen über einen einzigen Knoten, den Vienna Internet eXchange (VIX), einen im Prinzip neutralen, Hochleistungs-Internet-Exchange-Point (IXP) mit nationalen und internationalen Teilnehmern aus Mittel- und Osteuropa.
Doch die großen Anbieter könnten binnen weniger Minuten ausweichen und wieder online gehen, gibt sich Zeger optimistisch. Wenn die großen Handy- und Internetanbieter aber mitspielen, dann würden nur Leute, die sich gut auskennen, alternative Wege finden. "Twitter und Facebook kann man relativ leicht blockieren, das bekommt man in den Griff", so der Datenschutzexperte.
Das in Wien registrierte Internet-Portal Gulli zitiert Roland Ledinger, Leiter der Informations- und Kommunikationstechnologien-Strategie des Bundes im österreichischen Bundeskanzleramt (IKT), der in Zusammenhang mit dem "Kill Switch" von einem Missverständnis spricht. Ziel der neuen Pläne zum Schutz kritischer Infrastrukturen sei nicht die Abschaltung der Kommunikations-Infrastruktur, sondern vielmehr das Sicherstellen einer maximalen Verfügbarkeit auch im Krisenfall.
Er nannte den Conficker-Ausbruch in Kärnten, als die Landesregierung sich selbst offline genommen habe um eine Weiterverbreitung des Schädlings zu verhindern. Das aggressive Virus hatte vor zwei Jahren die Krankenhäuser in Kärnten befallen und drohte, sich weiter auszubreiten.
Auch die EU-weite Abschaltung der Emissionszertifikate-Börsen sei ein solcher Anlassfall, meinte Ledinger gegenüber Gulli. Ob und welche Sanktionen einem Provider drohen, der in einem solchen Fall nicht kooperiert, konnte Ledinger nicht sagen. Dass es Sanktionen geben wird, sei aber wahrscheinlich.
Obwohl das deutsche Bundesinnenministerium jegliche Entwicklung eines "Kill Switch" abstreitet, sieht Andreas Bogk vom CCC "mit Sorge Bestrebungen in Deutschland, einen ,Internet-Kill-Switch' einzuführen.
Bogk verwies in einem Interview mit dem Fernsehsender 3sat auf die kürzlich verabschiedete Novelle des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes in Rheinland-Pfalz. Demnach können nach richterlicher Anordnung künftig in besonderen Gefahrenlagen Mobilfunkverbindungen unterbrochen werden, etwa um das Fernzünden von Bomben durch Handys zu verhindern.
Allerdings, so Bogk gegenüber taz.de, wäre ein "Kill Switch" bisher noch nicht möglich. "Technisch wäre der Bau einer entsprechenden Vorrichtung aber denkbar. In der Praxis ist der einfachste Weg jedoch der ägyptische Weg: die Provider per Gesetz einfach zur Abschaltung zwingen."
In den USA gibt es bereits seit Sommer 2010 eine Diskussion über eine Gesetzesinitiative, die dem Präsidenten die Möglichkeit geben soll, im Fall eines akuten Notstands wesentliche Teile des Netzes stillzulegen. Der Gesetzentwurf mit der Bezeichnung "Protecting Cyberspace as a National Asset Act" (Gesetz zum Schutz des Cyberspace als Nationalvermögen) wurde unter anderem von dem konservativen, parteilosen Abgeordneten Joe Liebermann eingebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht