Debatte um Karl-Heinz Kurras: Schönes am rechten Denken
Der Mord an Benno Ohnesorg beschleunigte die Ausbreitung der Studentenrevolte, war aber nicht deren Ursache.
D as schlug tatsächlich ein. Doch nach der ersten Aufregung über die jetzt entdeckte Stasiakte des Polizisten Kurras wäre eine sorgfältige Berichterstattung auf der Grundlage des Aktenfundes angezeigt gewesen. Die rechtslastige Publizistik nutzte dagegen die Kurras-Akte auf vorhersehbare Weise.
Statt sich die neuen Akten anzusehen und sich ein begründetes Urteil zu bilden, statuierte sie kurzerhand, die Geschichte der studentischen Revolte müsse neu geschrieben werden, denn sie sei wesentlich von der Staatssicherheit der DDR beeinflusst oder sogar gelenkt worden. Wer sich dieser Forderung widersetze, sei ein halsstarriger Doktrinär, der um jeden Preis am überkommenen Mythos des 2. Juni als Geburtsstunde der Studentenbewegung festhalten wolle.
Reiches Anschauungsmaterial für diese Geisteshaltung bietet der Leitartikel von Thomas Schmid in der Welt vom 27. 5. Schmid macht zwei Tabus aus, an der die linken "Orthodoxen" im Fall Kurras nicht rütteln lassen wollten: die Verantwortlichkeit der politischen Führung im Westberlin des Jahres 1967 für die polizeiliche Unterdrückung einschließlich der Tötung von Benno Ohnesorg; und die Rolle des Springer-Konzerns, die in der Bevölkerung blinden Hass gegen die Studenten ausgesät habe. Diese beiden Gewissheiten der Linken, so Schmid, müssten jetzt, nach der Entdeckung der Kurras-Akte, überdacht werden.
Das Schöne an Schmids Ausführungen besteht darin, dass sie ohne Argument und ohne die Berücksichtigung von Tatsachen auskommen. Es waren - unter anderen - die Autoren der taz, die anhand der Stasiakten die Unwahrscheinlichkeit eines Auftragsmords der Staatssicherheit an Ohnesorg nachwiesen. Die taz schloss sich insoweit der Beweisführung des Historikers Müller-Enbergs an, der zusammen mit Cornelia Jabs die Kurras-Akte entdeckt hatte. Gerade der Auftragsmord der Stasi war aber von Blättern der Springerpresse teils insinuiert, teils, wie bei Bild, einfach behauptet worden. Und diese Behauptung diente der Forderung der rechten Publizistik, die Geschichte der Studentenbewegung umzuschreiben, als Grundlage. Darum ging es, das war der Ausgangspunkt des Streits. Hiervon bei Schmid kein Sterbenswörtchen.
Gewiss, der 2. Juni und der Mord an Benno Ohnesorg erwiesen sich als ein ungeheures Ereignis. Es beschleunigte die Ausbreitung der Studentenrevolte, war aber nicht deren Ursache. Seit Mitte der 60er-Jahre erfochten die linken Studierenden gegen erbitterten Widerstand die Demokratisierung der Hochschulen. Zeitgleich begann die internationale Solidarität mit der kämpfenden Bevölkerung Vietnams, wiederum gegen den erbitterten Widerstand der Westberliner politischen Eliten und des Springer-Konzerns. Diese Bewegungen waren nicht auf Deutschland begrenzt, sondern schon vor dem 2. Juni vielfach international vernetzt. So sieht es auch der Historiker Norbert Frei in seiner Arbeit zu 68 vom letzten Jahr. Über diesen gesamten Tatsachenkomplex muss Schmid hinweggehen, um vom 2. Juni als angeblichen Geburtsmythos der Linken reden zu können.
Schmid gibt sich als Aufklärer, als kritischer und (im Gegensatz zu den linken "Orthodoxen") auch selbstkritischer Intellektueller. Wie weit dieser kritische Impuls reicht, kann man an Schmids heutiger Bewertung der Rolle des Springer-Konzerns in den späten 60er-Jahren ablesen. Schmid schreibt in seinem Leitartikel, "dass sich in den überhitzten Jahren 1967 und 1968 einige Blätter dieses Hauses im Ton vergriffen und die Demonstrierenden auch verunglimpften". Vor einer solchen servilen Apologetik des Springer-Konzerns würden heute selbst die Werbeleute zurückschrecken, die zurzeit mithilfe von Prominentenstatements das Image der Bild-Zeitung aufzupolieren versuchen. Um die Bedeutung seiner Konversion zum Springer-Journalisten herauszustreichen, ist Schmid genötigt, das Feindbild derer zu beschwören, die aus schierem Altersstarrsinn immer noch an der Verantwortung des Springer-Verlags für die Hassproduktion in den späten 60er-Jahren festhalten. Schmid, dem Mythentöter, geht es nicht darum, an die Stelle des Mythos den Logos zu setzen. Er will seine eigene "große Erzählung", den Weg Deutschlands zur Demokratie ganz ohne studentischen "Budenzauber", als einzig angemessene etablieren. Das harmonische Geschichtsbild in Zeiten der Krise, ganz ohne die produktive Wirksamkeit widerständiger Aktionen. Dies ist die Kernbotschaft eines Autors, der alle linken Tugenden abgelegt hat, um alle linken Laster beizubehalten.
Um dieser Kampagne zur Delegitimierung der Linken entgegenzutreten, reicht es nicht aus, sowohl an der taz wie am Springer-Verlag Kritik zu üben, scheinbar neutral über den fortdauernden Kulturkampf um die Deutungshoheit der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte zu reden und mit dem Anschein wissenschaftlicher Haltung den Fakten auszuweichen.
So schreibt Wolfgang Kraushaar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. Mai zunächst zur Bild-Zeitung, sie sei "wie kaum eine andere Zeitung an die Person des 81-jährigen Kurras geheftet, als wolle sie nun ihr damaliges Schreckbild vom ,Hetzblatt' dementieren". Eine matte, halbherzige Charakterisierung, die noch dazu den gegenwärtigen Kern der Kurras-Kampagne der Springer-Zeitungen verfehlt. Zur taz aber schreibt Kraushaar: "Die tageszeitung lässt als Spätprodukt der 68er-Bewegung nichts unversucht, um die Rolle der Staatssicherheit zu relativieren und das alte Bild vom Polizeistaat aufrechtzuerhalten." Beweise für diese Behauptung, wir ließen "nichts unversucht", wenigstens ein klitzekleines Zitat - null. Diesen Behauptungen gegenüber ist festzuhalten: Weder hat die taz seit der Entdeckung der Stasidokumente zum Fall Kurras vom bundesrepublikanischen oder Westberliner "Polizeistaat" als altem Bild gesprochen, das aufrechtzuerhalten sei, noch hat sie irgendwo die Tätigkeit der Stasi relativiert. Sie hat sich im Gegensatz zu Kraushaar nur an den Befund der Akten gehalten. Was Kraushaar hier betreibt, ist rechte Propaganda in wissenschaftlicher Verhüllung. Die Anerkennung Thomas Schmids ist ihm sicher. Aber sie wird teuer erkauft sein.
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