Debatte um Baseball-Ruhmeshalle: Problematische Verehrung
In den USA wird kontrovers diskutiert, welche Baseball-Profis in die Hall of Fame gehören. Es geht um Doping – und vor allem um Moral.
Der Kommentator des Sport-Senders ESPN diagnostiziert „ein Versagen“. Der Kollege von der landesweiten Tageszeitung USA Today sieht einen „schrecklichen Fehler“. Und der Experte von The Nation geht noch einen Schritt weiter, wenn er „eine groteske Heuchelei“ zu erkennen glaubt. Es geht gerade hoch her auf den Sportseiten amerikanischer Zeitungen, in den vielen Sport-Podcasts und Talk-Shows. Das Land ist wieder tief gespalten. Der Anlass: ein Museum.
Vergangene Woche verkündete die Hall of Fame des Baseball, welche ehemaligen Spieler in diesem Jahr in die Ruhmeshalle des Nationalsports aufgenommen werden. Dass David „Big Papi“ Ortiz als einziger von den abstimmenden Sportjournalisten ausgewählt wurde, machte weit weniger Schlagzeilen, als wer den Sprung nicht schaffte. Denn mit Barry Bonds, Roger Clemens, Manny Ramirez, Alex Rodriguez oder Sammy Sosa wurden wiederholt ehemalige Größen verschmäht. Der Grund: Sie alle wurden des Dopings überführt.
Vor allem an Bonds scheiden sich die Geister. Der mittlerweile 57-Jährige ist einerseits, das sagen seine Statistiken nach 22 Profijahren in der Major League Baseball (MLB), der beste Schlagmann aller Zeiten: Niemand hat so viele Homeruns über den Zaun befördert, niemand wurde öfter zum besten Spieler der Liga gewählt, niemand wurde so regelmäßig zur ersten Base durchgewunken, weil der Pitcher Angst vor Bonds Schlagkraft hatte. Aber Bonds ist auch das Symbol für die sogenannte Steroid Ära, die erst 2005 endete, als die MLB Dopingtests einführte. Bis dahin wurden die Spieler immer aufgeblähter, die Homeruns immer zahlreicher, und Bonds war der Posterboy dieser Phase.
Trotzdem wird die Frage, ob jemand, dessen Statistiken durch Muskelaufbaupräperate aufgepeppt sind, etwas in der Hall of Fame in Cooperstown im Staate New York zu suchen hat, kontrovers diskutiert. Dass Bonds nun zum zehnten Mal in Serie durchgefallen ist, damit von der offiziellen Auswahlliste verschwindet und ihm nur noch die Chance bleibt, von einem Sonderkomitee ausgewählt zu werden, ist lange nicht so unumstritten, wie man denken sollte.
Teil der Geschichte
Es gibt vor allem ein Argument, das die Bonds-Fans anführen: Die Hall of Fame lügt sich in die eigene Tasche. Wer den größten Hitter aller Zeiten und die anderen Doper ausschließt, obwohl sie aufgrund der nackten Zahlen eigentlich aufgenommen werden müssten, verschließt die Augen vor einem Teil der Geschichte, die ein solches Museum auch abbilden sollte.
Dagegen setzen andere wie Doug Glanville, selbst früher Profi und heute Journalist: Die Doping-Ära gehört unbedingt ins Museum, muss sogar in einer eigenen Ausstellung aufgearbeitet werden, aber die Hall of Fame ist mehr als Museum – und für die Aufnahme in eine Ruhmeshalle müssen auch moralische Kriterien zählen.
Da spätestens dreht sich die Diskussion im Kreis. Denn ginge es um Moral, könnte man die halbe Hall of Fame leer räumen. Lange schon hängen dort Bronzetafeln von überzeugten Rassisten, von Exprofis, die Spiele verschoben, oder von Trainern, die ihre Ehefrau krankenhausreif geprügelt haben. Und Doping? Gab es schon immer in der MLB. Um 1880 manipulierte Hall-of-Fame-Mitglied Pud Galvin seinen Körper mit Affen-Testosteron, nach dem Zweiten Weltkrieg schluckte nahezu die gesamte Liga Amphetamine. Und nicht zuletzt ist auch Bud Selig, Chef der MLB in den 90er Jahren und hauptverantwortlich dafür, dass die Liga viel zu spät gegen Doping vorging, in der Hall of Fame vertreten.
Angesichts solcher Ungereimtheiten fragen sich manche, ob der Schwarze Baseball-Star Bonds, der in seiner aktiven Zeit als schwieriger Charakter galt und es sich dank seiner Arroganz mit vielen der in der Mehrheit weißen Baseball-Schreiber verscherzte, die heute über die Aufnahme in die Hall of Fame abstimmen, nicht auch noch Opfer einer rassistisch eingefärbten Retourkutsche geworden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Türkei und Israel nach Assad-Sturz
Begehrlichkeiten von Norden und Süden
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“