piwik no script img

Debatte über WeltausstellungExpo alla milanese

Vom Fortschrittsversprechen der Weltausstellungen sind nur Wurst und Käse übrig geblieben. Es geht um fette Bauaufträge und öffentliche Gelder.

„Foody“ das Expo-Maskottchen auf einer Parade in Rho nahe Mailand. Bild: dpa

Was eint Genua, Daejeon, Lissabon, Hannover, Bienne, Aichi, Saragossa? Ich wette, dass niemand die Antwort aus der Tasche zaubert: Diese Städte beziehungsweise Bezirke waren Gastgeber der Expos 1992, 1993, 1998, 2000, 2002, 2005, 2008. Dies, um zu zeigen, wie schnell die Spuren verwischt sind, die die letzten Weltausstellungen hinterlassen haben.

Und wo eigentlich liegt Bienne (Expo 2002)? Und welchen Eindruck hat Yeosu hinterlassen? Auch keinen? Dabei fand dort die letzte Expo 2012 vor der aktuellen in Mailand statt. In welchem Land man Yeosu zu suchen hat, frage ich erst gar nicht.

Diese Anmerkungen genügen vielleicht, um die pathetische Provinzialität einzurahmen, mit der der italienische Medienbetrieb die Trommel schlug und die Eröffnung der Expo in Mailand feierte.

„Die Welt schaut auf uns“, „Mailand ist wieder eine Weltstadt“, „20 Millionen Besucher“, „Zehntausende neue Arbeitsplätze“ und so immer weiter mit den Übertreibungen – während der Rest der Welt dann doch mit anderen Dingen beschäftigt ist und unserem heimischen Epochalereignis nur hier und da mal eine Glosse widmet, wenn die Proteste gegen die Expo außer Kontrolle geraten oder auf dem Gelände mal wieder ein Stand zusammenbricht.

taz.am wochenende

Wie verarbeiten Kinder den Krieg? Dass Freunde gehen, weil sie für die andere Seite sind? Dass Verwandte sterben? Im Osten der Ukraine bringen Schüler ihr Leben auf die Bühne. Eine Reportage in der taz.am wochenende vom 16./17. Mai 2015. Außerdem: Seit über 20 Jahren hört Radiomoderator Jürgen Domian den Menschen der Nacht zu. Er spricht mit Mördern, Nonnen und Frauen aus dem Wald. Bald will er aufhören. Ein Gespräch Und: Wie Millionäre mit dem eigenen Boot Flüchtlinge retten. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Aber das kümmert uns wenig, wir sind schließlich nicht geboren, um mit Superlativen sparsam umzugehen. La Repubblica sieht „Mailand im Zentrum der Welt“. Und während La Stampa sich sicher ist, „für sechs Monate blickt die Welt auf Italien“, fragt sich die katholische Tageszeitung L’Avvenire ernsthaft, ob ein paar Stände auf einem Ausstellungsgelände „die Welt gerechter machen“!

Am verblüffendsten ist aber, dass unter all den gelehrten Leitartiklern und Exegeten sich niemand die Mühe gemacht hat, mehr als Anekdotisches über die Geschichte der Weltausstellungen zusammenzutragen.

Patentwesen und Industriegeheimnis

Was bedeuten sie, und warum sind sind sie so irrelevant geworden? Wozu wurden sie einst erfunden? Warum gestehen wir an der Schwelle zum dritten Jahrtausend einer Idee so große Bedeutung zu, die durch und durch im 19. Jahrhundert verhaftet ist – nicht nur weil die erste Weltausstellung 1851 in London stattfindet, sondern weil das 19. Jahrhundert die Industriegesellschaft erfindet, zu deren Kernelement die Ware wird, die nach Konsumenten giert. 1935 schrieb Walter Benjamin in einer großartigen Passage seines Essays „Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts“: „Weltausstellungen sind Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware. ’L’europe s’est déplacé pour voir des marchandises‘, sagt Taine 1855.“

Bild: Gianfranco Gallucci
Marco d'Eramo

lebt als Journalist in Rom. Auf Deutsch liegt von ihm vor: „Das Schwein und der Wolkenkratzer. Chicago - Eine Geschichte unserer Zukunft“. An dieser Stelle erschien in der taz zuletzt sein Essay über den Ersten Weltkrieg und das Ende des proletarischen Internationalismus, „Das letzte Gefecht“.

Aber es handelt sich eben nicht um beliebige Ware, die die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts präsentieren. Gezeigt wird der Fortschritt selbst, der sich in ihnen manifestiert. 1851 wird zum ersten Mal vulkanisierter Kautschuk, sprich Gummi vorgestellt sowie die mechanische Mähmaschine; 1855 in Paris sorgt Singers Nähmaschine für Aufsehen; 1867, wiederum in Paris, verblüffen Aufzug und Stahlbeton die Besucher; 1876 feiert in Philadelphia das Telefon seine Premiere – und Ketchup.

Im Anschluss nahm dann das Patentwesen und mit ihm das Industriegeheimnis überhand, man ging mit seinen Erfindungen nicht mehr naiv hausieren. Die Weltausstellungen verloren nach und nach ihren ursprünglichen Charakter als Basar der Wunder der modernen Wissenschaft und Technik, auch wenn es noch Nachklänge davon gab, so bei der Expo 1958 in Brüssel, bei der die UdSSR ein Exemplar des „Sputnik“ zeigte, des ersten Raumschiffs; und dann noch einmal bei der Expo in Osaka 1970, als Japan den ersten Hochgeschwindigkeitszug präsentierte.

Der Fetisch Fortschritt war aber nicht nur einer der Waren, sondern einer, der die gesamte Gesellschaft in seinen Bann Schlug, ihre Nutzung des Raums, ihre Architektur. Nicht zufällig war das Symbol der ersten Weltausstellung in London 1851 der Kristallpalast (in Wirklichkeit aus Eisen und Glas), der zum Vorbild einer ganzen architektonischen Epoche wurde. Und wie könnte man nicht auf den Eiffelturm zu sprechen kommen, Symbol der Weltausstellung 1889 in Paris, auf das Brüsseler Atomium (1958) und die Space Needle von Seattle. Sogar der Palast der italienischen Zivilisation für die 1942 im Rom des Faschismus geplante Ausstellung EUR hatte den Anspruch, die fortschrittlichsten Tendenzen der Zeit zu verkörpern.

Rassistische Menschenzoos

Aber Ende der 1950er Jahre hatte die Ideologie des Fortschritts deutlich an Attraktivität eingebüßt, und Weltausstellungen, die sich auf sie beriefen, verloren ihren Sinn. Seitdem hat keine Expo mehr die Wunder des Möglichen ausgebreitet, nicht mal den Computer. Und auch die Architektur verlor ihre Symbolkraft, die so schnell aufgebauten wie zerlegten Pavillons stehen unter dem Zeichen der Vergänglichkeit.

Zur Nostalgie besteht jedoch kein Anlass. Denn diese „fortschrittlichen“ Ausstellungen zeigten auch das, was der unsägliche Rudyard Kipling white man’s burden getauft hatte. Um zu demonstrieren, wie der Westen dem Rest der Welt die Zivilisation schenkte, mussten die Wilden herangekarrt werden. Die Menschenzoos sind eine Erfindung der großen Weltausstellungen. Es wurde normal, in Pavillons zu gehen und afrikanische oder indonesische Familien bei ihrem „artgerechten“ Verhalten zu beobachten – das natürlich mit den besten Absichten, schlicht die zeitgemäße Idee eines „humanitären Imperialismus“ widerspiegelnd. Den letzten Menschenzoo gab es 1958 bei der Expo in Brüssel.

Und so fragt man sich doch, welchen Sinn es heute haben soll, eine Weltausstellung auszurichten, wenn nicht den, ein paar fette Bauaufträge zu vergeben und öffentliche Gelder loszueisen in einer Zeit, da alle sinnvollen öffentlichen Ausgaben (für Bildung, für Gesundheit, für die Sozialsysteme) bei allen Troikas dieser Welt unter dem Generalverdacht der Verschwendung stehen. Deswegen oszilliert die Expo-Rhetorik immer zwischen großem Epos und Wurst-und-Käse-Verkäufer.

Das Epische kennen wir gut, es ist die nationalistische Rhetorik, die wie im Faschismus der Welt den „Genius der italienischen Zivilisation“ präsentieren möchte. 80 Jahre liegen diese Prahlereien des Regimes nun zurück, in Italien sind sie nie aus der Mode gekommen. Unerträglich dumpf steigt der Chor der Einheitsmedien auf, mit dem Unterschied, dass das heutige Regime sich nicht mit dem markanten Kiefer Benito Mussolinis an der Spitze der Nationalen Faschistischen Partei schmücken kann, sondern mit dem pausbäckigen Gesicht Matteo Renzis und seinem Projekt der Partei der Nation: Der Kontext hat sich verändert, kritiklose Zustimmung und Enthusiasmus sind gleich geblieben.

Das Modell Eataly

Aber es wird noch unangenehmer: Denn von der faschistischen Weltausstellung 1942 sind ja wenigstens bedeutende Spuren geblieben, die heute noch ihren festen Platz in den Architekturlexika haben. Was aber wird von der Expo in Mailand bleiben? War einst in pompöser Manier vom „italienischen Genius“ die Rede, von einem „Volk von Poeten, von Künstlern und Helden, von Heiligen und Denkern, von Seefahrern und Entdeckern“, so entfaltet der Genius von Mailand sich, indem er die ganze Welt auf das Modell der Gourmetkette Eataly herunterbricht: Was ist die Expo anderes als eine Eatworld?

In diesem Detail ist sie aber auch bemerkenswert nah an ihren Vorgängerinnen aus dem 19. Jahundert. Benjamin hält fest, die spécialité sei „eine Warenbezeichnung, die um diese Zeit in der Luxusindustrie aufkommt“. Auf den Weltausstellungen verwandle sich „die ganze Natur in Spezialitäten“. Und was sind die Gastro- und Lebensmittelstände anderes als eine Spezialitätenmesse?

Lardo di Colonnata, Amaretti di Saronno, Kapern aus Pantelleria – sie bilden den unüberwindlichen Horizont unserer Epoche.

Hier kommen wir auf den Wurst-und-Käse-Verkäufer zurück, der an seinem Stand nicht einfach Bresaola und piemontesische Tomini anbietet, sondern drängend darauf hinweist, welch großes Geschäft sich durch den Erwerb hier und heute seiner ganz besonderen „Spezialitäten“ doch machen ließe. Und ebendieser abgestandene Charme des Kolonialwarenhändlers bewirkt, dass jeder Italiener seine ganz persönliche, kleinliche Kalkulation macht, was bei dieser Expo für ihn herausspringen könnte.

Die einen, wie in der Zeitung La Provincia nachzulesen, glauben die Chancen der eigenen Hotellerie bejubeln zu dürfen: „Mit der Expo hebt Como ab“ – hallo! Die anderen wie Il Secolo XIX aus Genua sind so pikiert, dass sie den Zorn auf der Titelseite rauslassen müssen: „Ligurien auf der Expo verhöhnt: Keine Pestoverkostung – aber Pizza gratis!“

Aus dem Italienischen von Ambros Waibel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Genau deshalb hat es ja auch geknallt, wohl noch zu gering, aber immerhin!