Debatte über Rechtsstaat: Freiheit oder Sicherheit?
Eine Podiumsdiskussion in der Baumwollbörse widmete sich der drängenden Frage, was in Zeiten des Terrorismus eigentlich aus dem Rechtsstaat wird
Der Kampf gegen den Terror wird an vielen Fronten geführt. Dabei gerät auch der Kampf für den Rechtsstaat in den Blick oder für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die in Deutschland das Grundgesetz festschreibt. Unter dem Eindruck der jüngsten Anschläge in Großbritannien plädierte Premierministerin Theresa May vor der Presse zuletzt für eine Einschränkung der Menschenrechte. Dieser Reflex sei verständlich, sagte Ingeborg Zerbes zu Beginn der Podiumsdiskussion „Radikalisierung und Rechtsstaat“ in der Bremer Baumwollbörse, am Mittwochabend.
Allerdings, so die Leiterin des Bremer Instituts für Kriminalwissenschaften, führe er zu einem Paradigmenwechsel im Strafrecht und letztlich zur Aufweichung rechtsstaatlicher Prinzipien, die doch eigentlich gegen den Terrorismus verteidigt werden sollten. „Zielen nicht die Terroranschläge genau darauf“, fragte Zerbes in ihrem Eingangsstatement, „dass freiheitliche Gesellschaften sich zurückziehen in ihrer Freiheitlichkeit?“
Als Beleg führte sie den Paragrafen 89a des Strafgesetzbuchs an: Der stellt unter anderem die Ausreise aus Deutschland unter Strafe, sofern das Ziel eine terroristische Ausbildung im Ausland ist. Damit erfolge, so die Bremer Professorin, eine Vorverlagerung der Strafbarkeit: „Damit machen wir einen Schritt zum Gesinnungsstrafrecht“, bei dem schon strafbar sei, „was der Täter im Kopf als Plan“ habe.
Dem hielt Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) einige Zahlen entgegen: Seit 2014 seien aus Bremen 28 Erwachsene und elf Kinder ausgereist. Elf dieser Personen seien bislang zurückgekommen, weitere fünf bei Kämpfen des IS getötet worden. „Das war alles andere als eine Wallfahrt, zu der die aufgebrochen sind“, so Mäurer. Insgesamt 440 Salafisten zählt der Innensenator derzeit in Bremen. Man höre immer nach Anschlägen, die Täter seien der Polizei bekannt gewesen. „Das ist kein Wunder“, so Mäurer, denn: „Die Grenzen sind fließend.“ Die Frage sei aber: „Wann wird jemand vom Salafisten zum Djihadisten?“
Den Paragrafen 89a empfindet er im Gegensatz zu Zerbes nicht als problematisch, und überhaupt: „Die Leute begehen inzwischen keine Vorbereitungen mehr, sie kaufen keinen Sprengstoff, sondern machen ihre Anschläge mit einfachen Mitteln“. Mit dem LKW, dem Auto oder dem Messer.
Eine größere Diskussion entwickelte sich über die von Innensenator Mäurer postulierte „Kurskorrektur“: „Ich habe meine Position völlig revidiert“, sagte der Innensenator zur Frage, ob es mehr Polizei und mehr Verfassungsschutz bedürfe. „1971 hätte ich keinen Cent für den Verfassungsschutz gegeben, heute bin ich froh über jeden Mitarbeiter, den ich habe.“
Einer davon, Referatsleiter Hilal Öztürk, saß ebenfalls im Publikum und warnte vor einer allzu pauschalen Bewertung des Paragrafen 89a: „Dass jemand Moslem ist, ist überhaupt kein Kriterium“ in der Bewertung durch die Sicherheitsbehörden. Wenn aber jemand Sprengstoff kaufe, Terrorprpaganda im Internet anschaue und weiterverbreite oder sich mit anderen zu einem Anschlag verabrede, dann seien das Kriterien für die Anwendung des Paragrafen.
Richtig kontrovers wurde es bei der Frage, inwieweit das Ausländerrecht zur Abschiebung von Gefährdern herangezogen werden dürfe. „Bei Ausländern können wir etwas über das Ausländerrecht machen“, sagte Mäurer dazu, „bei Deutschen sind wir im Strafrecht.“ Das trug ihm einen empörten Zwischenruf einer Frau aus dem Publikum ein („Das ist Rassismus!“) sowie eine Nachfrage der ebenfalls im Publikum sitzenden Abgeordneten Sofia Leonidakis (Die Linke): Inwiefern das Problem durch Abschiebungen gelöst werden solle, beantwortete Mäurer so: „Dadurch, dass man diese Menschen nach Algerien abschiebt, macht man sie nicht zum besseren Menschen.“ Aber, so der Senator: „Wir sind dafür zuständig, es hier sicherer zu machen.“ Daher gebe es den „festen Vorsatz, dass wir uns massiv von diesen Personen trennen“.
Eine weitere Frage aus dem Publikum betraf das Label „Gefährder“ und vor allem, wie man es – einmal so eingeschätzt – wieder loswerden kann: Dazu erklärte Hilal Öztürk, die Gefährderlisten würden regelmäßig überprüft, und wer sich nichts weiter zuschulden kommen lasse, könne jederzeit wieder „ausgestuft“ werden.
Der Rechtsstaat im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit – wie dieses Problem künftig gelöst werden kann und ob überhaupt, blieb auch an diesem Abend unklar. Die Podiumsdiskussion war allerdings Auftakt eines neuen Forschungsprojekts am Institut für Kriminalwissenschaft, das sich genau dieser Problemlage stellen will. Während die Rechtsanwältin und Spezialistin für Terrorismusstrafrecht Anna Oehmichen klarstellte, „die schlimmste Form des Terrorismus ist der Staatsterrorismus – weil der noch weiter gehen kann“, vertrat der Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Gerwin Moldenhauer, die Sicht der Ermittlungsbehörden: „Wir müssen an die Bande gehen, aber wir dürfen das Spielfeld nicht verlassen.“ Allein, wo genau das Spielfeld endet, bleibt die ungelöste Frage.
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