Debatte über Protestformen: Kuchenbasar oder Sitzblockade?
Sind Sitzblockaden legitim, um rechte Aufmärsche zu verhindern? Brandenburgs Regierende finden sie kontraproduktiv, engagierte Bürger halten sie für notwendig
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Martin Osinski ist Sprecher des Bündnisses „Neuruppin bleibt bunt“, aber er hat sich vorgenommen, als einfacher Bürger zu sprechen. Als Bürger, der genug davon hat, dass regelmäßig Nazis in seine Stadt kommen, um zu demonstrieren. Im September 2011 blockierten 300 Neuruppiner einen Nazi-Aufmarsch. Die Polizei kesselte sie ein und hielt sie stundenlang fest. Die Staatsanwaltschaft will dieser Tage bekanntgeben, ob sie gegen die Blockierer Anklage erhebt.
Gegen Nazis sind sie alle, die am Donnerstag auf Einladung des Landespräventionsrats ins Landesverfassungsgericht nach Potsdam gekommen sind: VertreterInnen von Bürgerinitiativen, Bündnissen gegen Rechtsextremismus, der Landespolizeipräsident. Offen ist die Frage: Was darf man dagegen tun?
Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) stellt klar: „Auch Verfassungsfeinde haben das Recht, zu demonstrieren.“ Er halte das zwar für eine „Zumutung“, aber die Polizei müsse solche Demonstrationen schützen. Sein Credo: „Verhinderungsblockaden“ schaden der Sache. „Wir dürfen den zivilgesellschaftlichen Widerstand nicht durch Konfrontationen mit der Polizei schwächen.“ Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) springt ihm bei. Zwar sagt er: „Ich habe Hochachtung vor denen, die sich entscheiden, den Rechtsbruch zu begehen.“ Aber illegaler Protest behindere eben den legalen.
Das sieht Sascha Kahle vom Bündnis „Cottbus nazifrei“ anders. In Cottbus, wo es am 12. Mai einen Nazi-Aufmarsch geben soll, arbeiteten alle zusammen, von Antifa-Aktivisten bis zu Stadtbediensteten. „Da planen Menschen zusammen Aktionen, die bisher nie miteinander geredet haben.“ Man dürfe keine Spaltung herbeireden, fordern auch andere. Alle könnten gemeinsam gegen Nazis kämpfen, ob beim Bürgerfest mit Kuchenbasar oder eben bei der friedlichen Sitzblockade. So sieht es auch Martin Osinski: „Wir bewegen uns ganz deutlich im Rahmen der Zivilcourage und des zivilen Ungehorsams.“
Heinrich Hüttner meldet sich zu Wort, Bürgermeister von Schöneiche. Er spiele mit dem Gedanken, Nazidemos per Blockade zu verhindern, sagt er – obwohl er einen Eid auf die Verfassung geschworen habe. Aber muss man nicht etwas tun bei 150 Mordopfern seit der Wende? Die Nazis missbrauchten Verfassungsrechte, so Hüttner. Habe er da nicht das Recht, „mit einer Sitzblockade gegen diesen Missbrauch ein deutliches Zeichen zu setzen“?
Innenminister Woidke sieht diesen Notstand nicht: „Dieser Staat ist handlungsfähig, auch gegen die Feinde der Verfassung.“ Justizminister Schöneburg kann sich zumindest vorstellen, Gesetze zu ändern, um Proteste nicht zu kriminalisieren. Und er hat einen praktischen Tipp: Spätestens wenn die Polizei zum dritten Mal zum Räumen aufruft, sollte man gehen.
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