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Debatte staatliche StipendienZucker für die Privilegierten

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Was ist falsch daran, mehr staatliche Stipendien anzubieten? Gar nichts. Es sei denn, sie kommen vor allem Akademikerkindern zugute

Deutschland benötigt eine "Leistungselite". Davon ist CDU-Bildungsministerin Annette Schavan überzeugt, weswegen sie ein "nationales Stipendienprogramm" aufgelegt hat. Zehn Prozent aller Studierenden sollen künftig gefördert werden - und zumindest ein Büchergeld von 300 Euro erhalten. Es kann aber auch gern mehr sein.

Schavan weiß nicht nur, was sie will. Sie weiß auch, wer ihre Gegner sind. Das sind diese uninformierten "Kritiker", die sie mit dem "pauschalen Vorwurf" belästigen, sie würde nur eine privilegierte Elite fördern. Empört schrieb sie in der Financial Times Deutschland: "Sie zeichnen ein Zerrbild von Studenten aus reichen Elternhäusern, die ohnehin schon allzu gut betucht sind und zusätzlich noch staatliche Mittel abkassieren."

Bild: taz

Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Redakteurin der taz.

Schavan holt daher zum statistischen Gegenschlag aus. Die Universitäten seien sozial durchlässiger geworden! "Nahmen 2005 noch 36 Prozent eines Jahrgangs das Studium auf, waren es im Jahr 2009 schon 43 Prozent."

Damit begeht Schavan einen typischen Fehlschluss, der erneut den Leitsatz bestätigt: Glaube keiner Statistik, die du nicht überprüft hast. So ist zweifellos wahr, dass nun mehr Jugendliche studieren - aber das heißt eben noch lange nicht, dass sie es damit auch schon in die Stipendienprogramme geschafft hätten. Unverändert gilt: Die soziale Selektion ist extrem. Es werden fast nur Akademikerkinder gefördert.

In Deutschland gibt es zwölf staatlich unterstützte Begabtenförderungswerke. Darunter sind ganz unabhängige wie die Studienstiftung, konfessionell gebundene wie etwa das katholische Cusanuswerk oder aber parteipolitisch geprägte wie die Friedrich-Ebert-Stiftung. Obwohl es also an gesellschaftlicher Breite nicht fehlt, sind die Sozialerhebungen schockierend, die die Herkunft der Stipendiaten untersuchen. Denn 70 Prozent der Geförderten haben einen Vater oder eine Mutter mit Abitur, bei zwei Dritteln hat mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss. Bei den "normalen" Studierenden haben nur 62 Prozent Eltern mit Abitur - und nur bei 51 Prozent ist zumindest ein Elternteil Akademiker.

Noch aufschlussreicher ist, allein die "Studienstiftung des deutschen Volkes" zu betrachten, die als "heimliche Eliteuniversität" in einem Land gilt, das keine offiziellen Eliteuniversitäten kennt. Die Studienstiftung lebt von dem Nimbus, dass sie weder Parteien noch Konfessionen nahesteht, sondern allein vom Staat finanziert wird. Genau diese Unabhängigkeit macht sie zum elitären Gütesiegel: Während bei Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung oder der Hans-Böckler-Stiftung leicht der Verdacht mitschwingt, sie könnten auch wegen ihrer Nähe zur CDU oder zu den Gewerkschaften ausgewählt worden sein, scheinen die Studienstiftler allein kraft ihrer Intelligenz gefördert zu werden.

Weit gefehlt. Wie Sozialerhebungen zeigen, ist die soziale Selektion bei der Studienstiftung besonders extrem: Bei 80 Prozent der Stipendiaten besitzt mindestens ein Elternteil das Abitur und bei 79 Prozent haben zumindest Vater oder Mutter ein Hochschulstudium abgeschlossen. Zudem nehmen die Eltern häufig gehobene oder leitende Positionen als Angestellte, Beamte oder Freiberufler ein. Insgesamt wird die soziale Herkunft bei 64 Prozent der Studienstifler als "hoch" eingestuft, was nur für 42 Prozent aller Studierenden gilt. Die Oberschicht weiß also genau, welches Stipendiensiegel sich besonders lohnt.

Es ist daher politisch nicht harmlos, wenn der Anteil der Stipendiaten von bisher 2 auf künftig 10 Prozent steigen soll. Bisher mussten die Oberschichten damit leben, dass nicht ihr gesamter Nachwuchs gefördert wird, weil zu wenige Stipendien zur Verfügung standen. Doch nun sollen die Begabtenförderungswerke ja expandieren, so dass demnächst noch mehr Kinder aus akademischen Elternhäusern bescheinigt bekommen, dass sie zu den Hochbegabten zählen.

Solange es nur wenige Stipendien gibt, bedeutet es keine Schande, wenn man nicht gefördert wurde. Die Stipendien waren bisher ein Zusatzbonus, aber kein Ausschlusskriterium. Das wird sich künftig ändern: Wer nicht zu den obersten 10 Prozent der amtlich gestempelten Leistungsträger gehört, wird sich bei Bewerbungen der Frage stellen müssen, warum er es nicht bis ins Topsegment der Studierenden geschafft hat. Gerade durch die Ausweitung der Stipendien erreicht die Oberschicht ihr Ziel, sich nach unten abzugrenzen - und soziale Privilegien in eine offizielle Bescheinigung ihrer Hochbegabung umzudeuten.

Die ideologische Triebkraft ist stets der Gedanke, dass sich "Leistung lohnen muss". Auch Schavan spricht nicht umsonst davon, dass "Leistung" durch ein Stipendium "belohnt" werden müsse. Dieses Diktum ist schon deswegen ärgerlich, weil stets mitschwingt, dass nur Akademiker Leistung bringen würden, während etwa die Arbeit von Krankenschwestern oder Kindergärtnern nebensächlich wäre. Subtil wird jeder abgewertet, der keinen Hochschulabschluss hat, und einfach negiert, wie viele Tätigkeiten ein immenses Engagement und Einfühlungsvermögen erfordern. Zu gern würde man Manager oder Notare als Altenpfleger erleben. Wahrscheinlich würden diese selbst ernannten Leistungsträger frustriert scheitern.

Besonders seltsam aber ist der Leistung-muss-sich-wieder-lohnen-Satz, weil sich ein Hochschulabschluss längst lohnt. Die meisten Akademiker verdienen weit über dem Durchschnitt, was sich auch als "Rendite" ausrechnen lässt, die sich mit einem Studium erzielen lässt. Wie die OECD ermittelt hat, addiert sich der Einkommensvorteil bei männlichen Akademikern während ihres Berufslebens auf rund 160.000 Euro, wenn man sie mit einem Beschäftigten vergleicht, der eine normale Berufsausbildung besitzt.

Die "Leistungsträger", von Schavan auch gern als "Verantwortungselite" tituliert, benötigen also keine Unterstützung. Es handelt sich um den perfiden Versuch, die Privilegien der Herkunft zu Privilegien des Geistes umzuetikettieren.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

9 Kommentare

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  • A
    Andruide

    Ohne alle Kommentare gelesen zu haben, werfe ich jetzt einfach in den Raum, dass ich auch bescheinigter Hochbegabter bin. Das allerdings ohne amtliche Abitureltern. Ich werde wahrscheinlich auch kein Stipendium kriegen. Das ist mir letztendlich aber auch egal, denn ich finde es nicht als ungerecht, dass ich keine Zusatzleistungen kriege nur weil ich kein Privilegierter bin. Ich finde es gut das Stipendiengelder für Begabte bereit gestellt werden, weil das die Augen(den Fokus) auf diese Form des Andersseins lenkt. Ich finde es sehr schrullig wie D mit seinen Talenten umgeht. Da ist es abstrus, wenn man sich für Zahlen interessiert, oder ein gepflegtes Deutsch spricht. Daher ist es sinnvoll, diese Minderheit demokratisch zu fördern.

  • D
    Dycki

    "scheinen die Studienstiftler allein kraft ihrer Intelligenz gefördert zu werden.

     

    Weit gefehlt."

     

    Wie bitte? Wenn man mal das hinterlistige schüren von Neid außen vor lässt, so ist doch der naheliegendere Schluss, dass akademiker Kinder im Schnitt einfach bessere Leistungen bringen, oder!? Unabhängig davon, ob man das jetzt den Genen, oder der Erziehung und Umgebung zurechnet, klingt das doch plausibel!?

     

    Wenn wir diese Erkenntnis endlich mal akzeptieren und einsehen, dass Akademiker-Kinder IM SCHNITT bessere Leistungen in der Schule und im Studium bringen, was dann zu den entsprechenden Quoten auf dem Gymnasium und bei den Begabtenförderungswerken führt; so besteht auch endlich die Möglichkeit dagegen etwas zu tun. Man muss die Nicht-Akademiker-Kinder so früh wie möglich fördern, damit dieser Unterschied angeglichen wird. Die Behauptung "Ihr bringt es nicht weit, weil ihr ungerecht behandelt werdet" ist doch im höchstem Maße hinterhältig und kontraproduktiv und führt nur dazu, dass die "Oberschicht" etabliert wird.

     

    Man kann gerne dafür plädieren, dass die Zahl der Stipendien nicht erhöht werden soll. Aber doch bitte nicht auf diesem Niveau... Da der Autorin ja Besseres zuzutrauen ist, weckt das nur den Verdacht, dass sie sich hier nur profilieren möchte.

  • E
    EvoluSiN

    Obwohl ich diese Artikel (http://is.gd/dwSAD)bereits im Januar dieses Jahres, anlässlich eines Interviews von Fr. Schavan auf SpOn, schrieb, verliert er, angesichts der Beharrlichkeit mit der an der Mär des Leistungsgedanken festgehalten wird, nichts an Aktualität.

    Aber nur Ruhe, wer kein Stipendium bekommt, kann es ja mit Studentenkrediten probieren (http://is.gd/dwSBF).

  • A
    adam

    Oh mein Gott...da hat aber jemand richtig Probleme mit der angeblichen Elitebildung. Verschwörungstheoretiker anscheinend auch hier...!!!

    Als jemand der in der Studienstiftung ist kann ich nur sagen: Das Selektionskriterium ist LEISTUNG und nicht "Reiche Eltern".

  • IN
    Ihr Name kurt rollbiegel

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    ein klasse- artikel! guter research, klare fakten....

    Meine Eltern zb hatten nicht abitur, null Studium...waren hart eingewoben ins nackte Arbeitsleben... und versuchten mich zum besuch des gymnasiums zu motivieren als ich 11 war... ich hatte das ZEUG dazu... aber? Wir wohnten damals Brunsbüttel- Südseite des NOK- in SLH... Besuch des Gymnasiums in Marne- SLH hätte bedeutet... ich und Mama um 05.30 aus dem Bett, um Fähre und Schulbus zu erreichen... und das war eine tortur...

    Kinder der Brunsbüttel Südseite, die das Abitur im Gymnasium Marne schafften, gibt es nur kaum oder sehr wenige... Es waren die Kinder der "reichen Schweine" der Nordseite, die im Gymnasium Marne zur Schule gingen... Na jaa....

  • A
    Amos

    Mit der CDU/FDP - Regierung befinden wir uns schon längst im Klassenkampf. Das Prolitariat sollte die Brocken hin schmeißen, dann sehen wir mal wo Akademiker und ihre Brut bleiben.

  • R
    R.A.

    alles in allem ist diese Polemik nur ein unglaublich nerviges Geschwurbel.

     

    Ich bin es langsam leid, daß man sich in den Augen von einigen taz-Autoren anscheinend ständig für sein Studium rechtfertigen muss. Das man damit tatsächlich mehr Geld verdient als eine Friseuse. Aber wieso ich ich deshalb zur Oberschicht zählen soll, erschliesst sich mir nicht mal ansatzweise.

     

    Irgendwie hat die Autorin (und einige andere hier) eine sehr kranke Vorstellung davon, was Lehrer, Softwareentwickler, normale Ingeneure, Naturwissenschaftler ohne C4 so verdienen. Zur Beruhigung: es sind extremst selten die 60.000€/jahr&familie, die als "Besserverdiener" eingestuft werden. und von den mehr als 120000€/Jahr&Familie sind die meisten soweit entfernt wie Guido Westerwelle von Kompetenz.

     

    Dieser Sozialneid einiger Autoren hier ist einfach nur noch zum Kotzen. Beschwert euch wieder, wenn ihr zusätzlich zu 45% - 50% Abgaben auch ständig die Höchsätze an Miete, Kita-Gebühren, Schulgebühren, ohne Wohngeld & Ermässigungen habt. Und ihr dann mal seht, was von dem ach so guten Gehalt netto bleibt. Nicht die Akademiker sind das Problem, sondern diese Asoziale Bande um ackermann und co, die sich auf Kosten der Unter- und Mittelschicht bereichert.

  • M
    Myrrel

    Ich muss Hesperu in gewisser weise zustimmen. Meine Eltern haben beide das Abitur, dennoch kratzen wir am Ende jedes Monats an den Roten zahlen auf dem Konto. Wie mein bevorstehendes Studium finanziert werden soll, wissen wir alle nicht.

    Und nur mit Zahlen anzukommen ist in deisem falle nich mehr objektiv weil durchaus auf die intelligenz oder die begabung geachtet wird in den auswahlverfahren. Wenn nun die sog. Oberschicht (dielängst keine mehr ist) in diesen Tests besser abschneidet so liegt der fehler nich bei den Stipendienstiftungen sondern hat ihren Ursprung in der Selektion nach der Grudnschule. Dort wird meiner Meinung nach zu wenig für die Gleichheit unter Einwandererfamilien oder Kindern aus Arbeiterfamilien getan. Zudem liegen viele Probleme bezüglich Bildung bei den Familien selber, wenn diese ihren Kindern den Fernseher als Erziehungsapparat vorgesetzt wird. An diesen Stellen sollten bessere Reformen durchgeführt werden, nicht unbedingt bei der Vergaben von Stipendien.

  • H
    Hesperu

    Die Tatsache, dass ein Elternteil Abitur hat, qualifiziert den Studenten zur Oberschicht?? Ist das Alles noch ernsthaft? Oder nur noch linke Wahvorstellung?