Debatte schwarz-gelbe Regierungskrise: Hiergeblieben!
Viele wünschen ein Ende der schwarz-gelben Regierung herbei. Es gibt aber keinen Grund, sie gerade jetzt aus der Verantwortung zu entlassen.
Kurz ist das Gedächtnis des politischen Betriebs. Erst zwei lange Wochen ist es her, dass Horst Köhler als Bundespräsident zurücktrat. Es ist ihm nicht gut bekommen. Selbst Politiker und Journalisten, die das Wirken des Staatsoberhaupts zuvor mit Wohlwollen betrachtet hatten, äußerten nun Unverständnis. Köhler, der an diesem Dienstag mit einem Zapfenstreich verabschiedet wurde, sei desertiert. Hieß es.
Nun wünschen dieselben politischen Beobachter die Fahnenflucht Angela Merkels und ihres ungeliebten Vizekanzlers Guido Westerwelle. Mitten in einer tiefen Krise des weltweiten Finanzsystems, kurz nach der drohenden Staatspleite Griechenlands, kurz vor einer möglichen Zahlungsunfähigkeit Spaniens und kurz bevor das auseinanderbrechende Belgien die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, soll die Regierung des größten Mitgliedslands der Europäischen Union also das Weite suchen. Und das gilt, vierzehn Tage nach Köhlers Rücktritt, auf einmal als Ausdruck verantwortungsvoller Politik?
Die Forderung entfaltet ihren Charme nur deshalb, weil die Frage nach möglichen Alternativen nicht gestellt, geschweige denn beantwortet wird. Soll etwa, nachdem der Prozess der gewaltsamen Annäherung der FDP an die politischen Realitäten kurz vor dem Abschluss steht, derselbe Erziehungsvorgang unter umgekehrten Vorzeichen an der Linkspartei exekutiert werden? Oder soll Westerwelles Partei das, was sie im schwarz-gelben Bündnis nicht vermochte, nun mit SPD und Grünen vollenden?
leitet das Parlamentsbüro der taz. Er studierte Geschichte, Politik und Öffentliches Recht in Tübingen, Bologna und an der Humboldt-Universität Berlin. Zuletzt veröffentlichte er "Reform. Ein deutscher Mythos" (wjs-Verlag).
Selbst diese beiden Perspektiven ließen sich nur durch vorgezogene Neuwahlen verwirklichen, die ein weiteres Mal mit dem Makel des Verfassungsbruchs behaftet wären. Es mag sein, dass selbst einem Staatsrechtler das fragile Dreiparteienbündnis von CDU, FDP und CSU als nicht tragfähig erscheint. Aber eine regierungsfähige Mehrheit im Bundestag gibt es. Union und SPD verfügen über eine zwar geschrumpfte, aber noch immer breite Basis an Mandaten, deren Belastbarkeit sie im Krisenherbst 2008 unter Beweis stellten. Darauf wird sich die SPD nicht einlassen - und sie tut gut daran. Jedenfalls, solange sich Währungs- und Schuldenkrise nicht zum akuten Staatsnotstand auswachsen.
Dass Angela Merkel das schwarz-gelbe Bündnis einst als "Wunschkoalition" bezeichnete, war von Anfang an unaufrichtig. Aber sie hat es getan. Deshalb gibt es keinen Grund, sie jetzt aus ihrer Verantwortung zu entlassen.
Diese Verantwortung trifft in erster Linie Merkel, auch wenn Guido Westerwelle das wohlfeile Opfer ist. Deshalb ist es an der Zeit, eine Ehrenrettung für die FDP auszusprechen. Westerwelle hat getan, was die Mehrheit der Wähler und Journalisten in der Theorie stets verlangt. Er ist bei der Wahl mit politischen Inhalten angetreten - und er hat nach der Wahl versucht, sie in die politische Wirklichkeit umzusetzen.
Merkel hingegen führt, wenn auch taktisch nachvollziehbar, spätestens seit dem Jahreswechsel 2008/09 ein Leben in der Camouflage. Nachdem sie unter wachsendem nationalen und internationalen Druck ihren Widerstand gegen eine Politik der grenzenlosen Staatsverschuldung aufgegeben hatte, nahm sie die Forderung nach einer Steuersenkung ins Repertoire ihres Bundestagswahlkampfs auf.
Meisterleistung der Intrige
Die Kampagne führten Union und FDP mit der gemeinsamen Forderung nach niedrigeren Steuersätzen. Die Finanzkrise war damals bereits ausgebrochen, die höchste Neuverschuldung in der Geschichte der Republik absehbar, die Prognosen über Wirtschaftsentwicklung und künftige Staatseinnahmen sogar schlechter als heute. Der Beinahe-Bankrott Griechenlands hat an dieser Lage nichts geändert, er hat sie nur ins öffentliche Bewusstsein gehoben.
Wie es Merkel gelang, sich für die Abkehr von ihrem Wahlversprechen feiern zu lassen, während Westerwelle wegen eines Mangels an politischer Biegsamkeit in die Rolle des Buhmanns der Nation geriet, war eine Meisterleistung der Intrige. Zu allem Überfluss blieb an der FDP auch noch die Verantwortung für eine Hotelbesteuerung hängen, die der Herzenswunsch der CSU gewesen war.
Auf Demütigung der FDP aus
Aus Sicht der Kanzlerin war das Regierungsbündnis von Anfang an auf die Demütigung der FDP angelegt. Die Partei sollte entzaubert und vom Sockel ihrer 14,6 Prozent geholt werden. Anders als im Bündnis mit der SPD war der Koalitionsvertrag nicht auf einen fairen Ausgleich der Interessen orientiert. Personell wurde die FDP mit unwichtigen oder undankbaren Ministerien abgespeist, inhaltlich mit wachsweichen Formulierungen etwa über eine Steuersenkung, die "möglichst" im Jahr 2011 zu erfolgen habe.
Das Drama des Köhler-Rücktritts besteht für Merkel vor allem darin, dass sie die FDP für die Wahl eines Nachfolgers jetzt noch einmal braucht. Von der Sparklausur bis zur Gesundheitsreform war die Agenda der Regierung mit Blick darauf terminiert, dass solche Rücksicht nach der NRW-Wahl nicht mehr nötig sei.
Unklar bleibt, was der Ruf nach einem kraftvollen schwarz-gelben Durchregieren politisch bedeuten soll. Hätten all jene, die jetzt die Handlungsunfähigkeit der Koalition beklagen, rasche Steuersenkungen befürwortet? Wünschen sie die schnelle Einführung der Kopfpauschale? Haben sie, im Gegensatz zu Westerwelle, an solche inhaltlichen Fragen jemals einen Gedanken verschwendet?
Die Union soll die Folgen ihrer koalitionspolitischen Entscheidung ruhig ausbaden, die FDP endgültig zur Vernunft bringen und es nicht wieder einer Linksregierung überlassen, die Staatsschulden einzuhegen. Wer, wenn nicht die FDP, sollte einen solchen Kurswechsel weg von konservativ-liberaler Defizitpolitik glaubwürdig vertreten. Es wäre Gerhard Schröders Agenda 2010, nur unter umgekehrten parteipolitischen Vorzeichen.
Merkel mag von anderen Koalitionspartnern träumen, von einer Rückkehr der SPD oder einem Wechsel zu den Grünen. Beides Bündnisse, in denen ihre Politik des Mainstreams konfliktärmer zu gestalten wäre als mit der FDP. Doch dafür muss sie, um den Preis des politischen Überlebens, durch das schwarz-gelbe Debakel erst hindurch.
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