Debatte im Abgeordnetenhaus: Kopftuch spaltet Koalition
Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) verteidigt das Neutralitätsgesetz. Bei der Grünen-Fraktion hingegen rührt sich dabei keine Hand zum Applaus.
Die Vorlage war einfach zu gut, als dass die CDU sie auslassen würde: Wie denn nun die Haltung des Senats zum Kopftuch nach der Niederlage am Gericht sei, wollte Vize-Fraktionschefin Cornelia Seibeld vom Regierenden Bürgermeister wissen. Denn gleich nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts am Dienstag hatte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) getwittert, das Neutralitätsgesetz müsse nun verfassungskonform gestaltet werden. Was sich las wie: Das von der SPD verteidigte Gesetz ist illegal.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte entschieden, dass der Senat einer Lehrerin dafür eine Entschädigung von rund 6.600 Euro zahlen muss, dass ihre Bewerbung wegen ihres Kopftuch abgelehnt wurde. Es war eine Berufungsverhandlung: In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Berlin die Klage noch abgewiesen und das mit dem Neutralitätsgesetz begründet. Denn das gibt vor, dass Lehrerinnen und Lehrer in öffentlichen Schulen keine religiösen Symbole tragen dürfen. Bereits Anfang 2017 hatte das Landesarbeitsgericht ein Urteil aus der ersten Instanz korrigiert und der klagenden Lehrerin damals 8.680 Euro zugesprochen.
„Der Konflikt um das Neutralitätsgesetz sollte nicht weiter auf dem Rücken der betroffenen Frauen ausgetragen werden“, schrieb Behrendt Dienstag via Twitter und Facebook und drängte auf eine Gesetzesänderung. Die prominente Rechtsanwältin und liberale Muslima Seyran Ateş kritisierte ihn daraufhin ebenfalls via Facebook: Er soll „seine Funktion und Rolle als Senator für Justiz überdenken“, er habe das Urteil „plump und populistisch“ kommentiert.
Nicht wie gewünscht Regierungschef Michael Müller, sondern Schulsenatorin Sandra Scheeres (beide SPD) antwortete auf die CDU-Frage, was bei diesen gegensätzlichen Aussagen von Grünen und SPD nun die Haltung des rot-rot-grünen Senats insgesamt sei. „Der Justizsenator hat dazu einen Facebook-Kommentar abgesetzt, was ich in dieser Form nicht getan hätte“, sagt Scheeres über ihren auf der Senatsbank des Parlaments drei Plätze neben ihr sitzenden Behrendt.
Die Schulsenatorin verteidigte das Neutralitätsgesetz vehement und sieht dabei auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Müller hinter sich. „Wir haben kein Kopftuch-Verbot in Berlin, wir haben ein Neutralitätsgesetz“, sagte sie. Ein neutrales Umfeld in der Schule sei äußerst wichtig: Eine junge Muslima etwa, die sich entscheide, kein Kopftuch zu tragen und dann in der Schule vor einer Lehrerin mit Kopftuch stehe, frage sich, ob sie nun eine gute oder schlechte Muslima sei.
„Ich fühle mich dem Gesetz verpflichtet“, sagte Scheeres, was die Meinung des Justizsenators angehe, „dazu kann er sich selber äußern“. Applaus gab es dafür bei der SPD und der Opposition – während sich beim grünen Koalitionspartner, soweit erkennbar, keine Hand zum Applaus rührte. Auch bei der Linksfraktion hielt man sich zurück. Offen blieb, ob der Senat das Urteil akzeptiert oder in Revision geht, also in die dritte Instanz zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Im Fall aus dem Jahr 2017 verzichtete der Senat darauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels