piwik no script img

Debatte Zukunft des FußballsDer Fifa-Skandal als Chance

Kommentar von Claudia Roth

Krise, welche Krise? Der organisierte Fußball steht am Abgrund – es braucht Reformen. Mehr Frauen in der Fifa-Spitze wären ein Anfang.

Wie wäre es mal mit einer Frau? Foto: dpa

Z ugegeben, es fällt nicht leicht, das Positive zu sehen, wenn es um die Zukunft des organisierten Fußballs geht. Was die Vergangenheit betrifft, ist es sogar ziemlich unmöglich. Zu tief sind die Abgründe, die sich in den letzten Jahren bei Fifa und DFB aufgetan haben, und zu gering der Glaube, dass sich daran auf absehbare Zeit etwas ändern könnte. Als Fußball-Fan frage ich mich, ob der Sport unbeschadet bleiben kann von den Skandalen, für die seine Funktionäre verantwortlich sind. Nur wenn die Gegenwart zur Selbstreinigung genutzt wird, besteht in der Krise des organisierten Fußballs eine echte Chance für den Sport.

Seit Jahrzehnten sind wir es gewöhnt, dass die Fifa scheinbar losgelöst von jeglicher Rechtsprechung agiert, egal wie hoch der Preis ihrer Entscheidungen für Demokratie, Menschenrechte oder die Bevölkerung vor Ort auch war. Knebelverträge, Ausgabenrekorde, sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse, Häuserräumungen, Einschränkung von Bürgerrechten, Umweltzerstörung, gnadenloser Kommerz – die Fifa fühlte sich nie zuständig und war doch immer die Ursache all dieser Fehlentwicklungen, die meist die Austragung von Weltmeisterschaften begleiteten.

Jede Kritik, ob an den korrupten WM-Vergabeverfahren, den mörderischen Bedingungen auf den WM-Baustellen in Katar, der Menschenrechtslage in Russland oder den Umweltzerstörungen in Brasilien, wurde in Zürich schulterzuckend abgeblockt. Stattdessen kümmerte man sich dort vor allem um die finanzielle Vorteilsnahme der eigenen Funktionäre und den eigenen Machterhalt.

Erst durch die hartnäckigen Ermittlungen US-amerikanischer und Schweizer Justizbehörden, die Anklage gegen mehrere Fifa-Funktionäre in den USA wegen Korruption, Geldwäsche und Betrug sowie den folgenden öffentlichen Druck scheint die ungestörte Ruhe vorbei zu sein. Selbst die ehedem noch als reines Feigenblattinstrument installierte hauseigene Ethikkommission zeigt der Fifa und dem Immer-noch-Präsidenten Blatter nun offen die Zähne. Nach einem Hausverbot verhängte sie eine achtjährige Sperre gegen ihn. Blatters Tage an der Spitze des Fußballweltverbandes sind damit endgültig gezählt, sein Rückzug vom eigenen Rückzug nach einer umstrittenen Wiederwahl im Mai endgültige Makulatur.

Verbandskultur grundlegend ändern

Doch damit darf sich die Fußballwelt nicht zufriedengeben. Gerade als Fußballfan will ich es nicht zulassen, dass korrupte Funktionäre den Sport, den Fußball weiter kaputt machen können. Dass sie es gar so weit treiben können mit ihrem Traum einer jenseits des Gesetzes stehenden Macht, dass sich Menschen angewidert abwenden von den sportlichen Wettbewerben. Aber ich und Millionen andere Fans weltweit wollen uns nicht abwenden, sondern feiern, mitfiebern und leidenschaftlich sein. Wir wollen genau hinschauen, was auf und neben dem Platz passiert. Und wir wollen darüber reden.

Es darf uns nicht egal sein, dass sportliche Erfolge wie der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 auf Kosten von Umweltzerstörungen, Menschenrechtsverletzungen und der Einschränkung von Bürgerrechten errungen werden. Wenn Fußball seine gesellschaftliche und friedensbildende Kraft behalten soll, dann dürfen die Umwälzungen in der Fifa, aber auch bei uns zu Hause beim DFB nicht auf halber Strecke steckenbleiben.

Die Verbandswelt des Fußballs darf keine männliche Parallelwelt bleiben

Angesichts des gigantischen Ausmaßes an Korruption und eines über Jahrzehnte gewachsenen Systems gegenseitiger Vorteilnahme ist völlig klar, dass es weitreichende Reformen braucht. Es geht um eine wahre Demokratisierung der nationalen und internationalen Sportverbände. Allen voran muss es Aufklärung geben, gefolgt von strukturellen Reformen, die dafür sorgen, dass sich die Fehler der Vergangenheit in der Zukunft nicht wiederholen.

Es braucht vor allem eine grundlegende Änderung in der Kultur der Verbände. Denn strukturelle Reformen allein bringen noch keine Wende im Denken. Sie sind die Grundlage dafür, dass Fehlentwicklungen behoben und ein Neustart möglich wird. Aber ohne eine neue Kultur getragen von Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit und transparentem Handeln bei den Funktionären wird es nicht gehen. Nur so könnte der Fußball am Ende stärker aus der Krise hervorgehen.

Korrupte Funktionärsklüngel

Es geht nicht an, dass die Verbandswelt des Fußballs weiterhin eine männliche Parallelwelt bleibt, die auf Kumpeleien, Pfründenvergaben und Schweigekartellen basiert und sich nicht um rechtsstaatliche Normen, demokratische Verfahren und klare Verantwortlichkeiten kümmert. Führende Köpfe, die in dieser Umgebung als Teil des „Systems Fifa“ sozialisiert wurden, werden die Chance zur Reform, die in dieser Krise steckt, kaum glaubwürdig nutzen können.

Die 60-Jährige ist Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und Fußballfan.

Deswegen ist es ein Problem, wenn mit Issa Hayatou jemand Interimsnachfolger von Blatter werden konnte, der vom IOC bereits wegen Bestechlichkeit verwarnt wurde, oder wenn mit Michel Platini ein Vertreter des korrupten Funktionärsklüngels sich ernsthaft und von den Europäern getragen um das Amt des Präsidenten bewerben wollte. Da kann man nur von Glück reden, dass die Sperre der Ethikkommission Platinis Plänen nun zuvorkommt.

Notwendig wäre, dass endlich viel mehr Frauen in die Führungsgremien der Fifa aufrücken, am besten festgelegt durch eine Quote. Und warum kann man nicht künftig alle Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees nur nach gründlicher Integritätsprüfung in das Gremium einziehen lassen? Auch sollten sie einer Ämterzeitbeschränkung unterliegen, und es müssen verbindliche Transparenzrichtlinien sowie klare Richtlinien in Bezug auf die gesellschaftliche Verantwortung der Fifa gelten.

Einige dieser Vorschläge liegen nun auf dem Tisch, wenn am 26. Februar beim Fifa-Kongress alle 209 Nationalverbände über eine neue Struktur und einen neuen Präsidenten des Weltverbandes abstimmen. Wenn eine Zustimmung zu den vorgeschlagenen Reformen gelingt und mit einem neuen Präsidenten auch eine neue Kultur eine Chance in der Fifa bekommt, könnte das Jahr 2015 im Rückblick als Wendepunkt für den internationalen Fußball gesehen werden. Aber nur, wenn jetzt nichts bleibt, wie es war. Viel Zeit zur Umkehr bleibt nicht mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wenn nach anfänglichen vorsichtigen Verdächtigungen von sehr mutigen Redakteuren bereits vor vielen Jahren nun so richtig die gewählten anscheinend vertraulichen „ in sich völlig verfilzten Kinder aus den verschiedenen Ländern in den Brunnen fielen und nun absolut nicht mehr zu retten, sondern noch zusätzlich heftig zu bestrafen sind, offenbaren sich die auch in der Wirtschaft und Politik bekannten Schwächen: die fehlende Kontrolle!

     

    Wenn ich das Wort „Aufsichtsrat“ höre oder lese, schwillt mir der Kamm! Warum? Weil es meistens bei diesem nur auf dem Blatt stehenden Gremium in der Realität dabei weder eine Kontrolle, noch Beratung gibt, weil sie selbst oftmals anteilig integriert sind und ihre eigenen Produkte vermarkten! Die vermutete und zum Teil schon nachgewiesene längst über den Topfrand hinaus sprudelnde und fast schon festgebackene Korruption, wie bei den drei größten Fußballverbänden, haben nicht die vielseitigen verkappten künstlichen Kontrollmechanismen, sondern fremde Justizbehörden bestätigt, die folglich errungene Erfolge aus der Vergangenheit regelrecht wertlos erscheinen lassen.....

     

    Ob nun ausgerechnet mit einer von der Politik angedachten zahlenmäßig vorgegebenen Installation von Weiblichkeit in den Kontrollorganen eine gesunde Sozialisierung in den Verbänden und Vereinen erreicht werden kann, bleibt allerdings hingestellt! Es wäre vorstellbar, dass sich für diese Ämter u.a. auch die Redakteurin dieses Artikels, ihre komplette politische Namensvetterin, die immer für ähnliche Posten liebäugelt, die Ex-Radsportpräsidentin, Sylvia Schenk, usw. bewerben!