Debatte Wirtschaftskrise: Mehr Kapitalismus wagen
In Deutschland und der Welt grassiert der Feudalismus. Viele der heutigen Probleme wären gelöst, wenn ein echter Kapitalismus durchgesetzt würde.
W er den Raubtierkapitalismus für die Weltwirtschaftskrise und den Verfall von Rechts- und Sozialstaats anklagt, meint das Richtige und sagt das Falsche. Der richtige Name des gegenwärtigen Hauptübels unserer Gesellschaft lautet Feudalismus. Kapitalismus - konsequent umgesetzt - wäre die Rettung.
Strukturell gesehen, bedeutet Kapitalismus die organisatorische Trennung von Kapital und Arbeit. Daraus folgt nicht nur, dass Massenentlassungen selten einen Nachteil für den Aktienkurs einer Firma haben, sondern auch umgekehrt, dass der Bankrott von unfähigen Managern und Anteilseignern für die Beschäftigten nur von Vorteil ist.
Im Feudalismus hingegen besitzt ein abgewirtschaftetes Führungspersonal die rechtlichen Mittel und meist auch die Skrupellosigkeit, den eigenen Untergang durch das sinnlose Opfer von Abhängigen am Altar der eigenen Unfähigkeit endlos hinauszuzögern.
ist freier Wissenschaftsphilosoph und -historiker und lebt in Berlin. Unter anderem erschien von ihm: "Die Methode des Gedankenexperiments", Suhrkamp Verlag 2005.
Wenn Leistung nicht mehr zählt
Kapitalismus gründet auf dem Leistungsprinzip: Die Übertragung von Kapital an fachlich und charakterlich ungeprüfte Erben ist wohl die zynischste Verspottung des kapitalistischen Leistungsprinzips und der Hauptgrund für die periodisch auftretenden Katastrophen in feudalen Herrschaftsordnungen. Allein schon der egoistische Wunsch, einen über den Tod hinausreichenden Wert zu erschaffen, hält echte Kapitalisten davon ab, mit ihrem Erbe eine Dynastie von Schnöseln, die nie den Wert des Geldes gelernt haben, zu gründen.
Melinda und Bill Gates, beispielsweise, wollen weniger als ein Promille ihres Gesamtvermögens ihren drei Kindern vererben, jedem 10 Millionen Dollar - genug, um alle Freiheiten zu genießen, aber zu wenig, um das Vermächtnis ihrer Eltern zu ruinieren.
Leistung heißt, unter vorgegebenen Spielregeln und Marktbedingungen das Optimum zu erwirtschaften. Der Kapitalismus ist ein Kind der Aufklärung - er ist die Wirtschaftsordnung des demokratischen Rechtsstaats, der autonom und ohne Rücksicht auf die ererbten Privilegien der Reichen und Mächtigen die Spielregeln des Marktes festlegt. Aber die kapitalistischen Leistungskriterien verlangen nicht nur, dass die Tochter einer anatolischen Putzfrau die gleiche Chance auf einen Vorstandsvorsitz hat wie der Sohn des Unternehmensgründers.
Ein aufgrund von Leistung ausgewählter Manager, der Chef und Angestellter zugleich ist und wie alle übrigen Arbeitskräfte einem objektiven Controlling unterliegt, wird sich auch höchstens bei unfairen Wettbewerbsbedingungen politisch zu Wort melden. Öffentliche Klagen über die Höhe der Abgaben, cleveres Antichambrieren, um sich staatliche Privilegien und Subventionen zu erschleichen, Tricksereien mit Steuerschlupflöchern - das sind die jämmerlichen Übersprungshandlungen von Versagern, die mit den Spielregeln des Marktes nicht zurechtkommen.
Die Exzesse heutiger Banker sind ein sicheres Zeichen, dass sie sich vor keiner objektiven Leistungskontrolle verantworten, sondern hauptsächlich ererbtes Vermögen von Dummköpfen verwalten. Feudalerben waren schon immer von korrupten Finanzverwaltern und intriganten Strippenziehern umgeben.
Steuern für den Kapitalismus
Mit zwei relativ kleinen Sofortmaßnahmen ließe sich der Feudalismus angreifen und dem Kapitalismus wieder zur Geltung verhelfen.
Zum einen: Der "Fiskalpakt", mit dem sich die europäischen Staaten selbst das Schuldenmachen verbieten wollen, ist natürlich wertlose Absichtserklärung. Aber er wird funktionieren, wenn man die Höhe der öffentlichen Schulden - mit europäischem Verfassungsrang - an die Höhe einer progressiven Steuer auf Vermögen und Erbschaften koppelt. Jedes Land wird verpflichtet, diese Steuer mindestens so hoch anzusetzen, dass die Einnahmen daraus die Höhe der Zins- und Tilgungszahlungen des Vorjahres erreichen.
Die destruktive Länderkonkurrenz um die niedrigste Vermögenssteuer könnte also nur noch auf der Grundlage ausgeglichener Haushalte stattfinden und bekäme einen nachhaltigen, fairen Rahmen. Wenn der Freibetrag alle privat genutzten Vermögenswerte, selbst bewohnten Immobilien und Rentenpapiere bis zur Höhe der Durchschnittsrente, ausnimmt, wird das keine negativen Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Konsum haben.
Im Gegenteil: Darunter leiden würden vornehmlich die korrupten Eliten von besonders verschuldeten Staaten, aber durch die öffentliche Versteigerung ihrer als Steuerzahlung eingezogenen Aktien und Investitionsimmobilien entstünde dort ein Eldorado für Neuinvestoren und Unternehmensgründer.
Girokonten vom Staat
Als zweite Sofortmaßnahme sollte die Bundesbank jedem Bürger und jeder Firma ein kostenloses Girokonto auf Guthabenbasis bereitstellen. Die Einlagen auf diesen Konten werden staatlich garantiert und mit dem gleichen Satz verzinst, den bisher schon die Privatbanken bei der Bundesbank erhalten; in öffentlichen Gebäuden stünden die Geldautomaten. Dank längst vorhandener Standardtechnik wäre das alles kein wirklich großer Investitionsaufwand.
In der Konsequenz jedoch würden sämtliche Privatbanken ihr Erpressungspotenzial für staatliche Rettungsmaßnahmen verlieren. Die "Systemrelevanz" der Großbanken liegt ja nicht hauptsächlich an ihrer Größe, sondern daran, dass sie neben ihrem eigentlichen Kredit- und Anlagegeschäft auch die lebensnotwendigen Finanzströme der gesamten Wirtschaft abwickeln, und mit ihrer Pleite die Einlagen von Kunden verloren gingen, die nicht die geringste Absicht hatten, sich damit an spekulativen Investitionen zu beteiligen.
Wenn anschließend die ein oder andere Privatbank pleite geht, wäre das gesamtwirtschaftlich nicht weiter tragisch. Im Gegenteil, lähmend für die Wirtschaft ist es vielmehr, wie es heute läuft: Da man auch ohne Qualifikation und ohne unternehmerisches Engagement mit den Finanzprodukten von Spekulanten garantierte Profite erzielen kann, weil deren Pleiterisiko dank Staatsbürgschaften beseitigt wurde - welcher Geldanleger will da noch das Risiko in Kauf nehmen, in noch unerprobte Geschäftsideen junger Unternehmensgründer zu investieren?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück