Debatte Wahlen im Iran: Dialog der Patriarchen
Ein neuer Präsident könnte den Iranern kleine Freiheiten bringen. Die islamische Staatsdoktrin und das Atomprogramm werden bleiben.
G rün ist die Hoffnung. Mit grünen Fahnen und Stirnbändern warben die Anhänger Mir Hussein Mussawis auf den Straßen der iranischen Städte für ihren Präsidentschaftskandidaten, der die größten Chancen gegen den Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad hat. Es sah aus wie ein richtiger Wahlkampf, sogar in den offiziellen Medien wurde kontrovers debattiert, die Kandidaten warfen einander Lügen, Korruption und allerlei andere Verfehlungen vor.
Doch nur in dieser Hinsicht folgt der iranische Wahlkampf dem westlichen Vorbild: Je geringer die politischen Differenzen sind, desto härter werden die persönlichen Angriffe. Der Wächterrat ließ nur jene Kandidaten antreten, deren Treue zur "Islamischen Republik" außer Frage steht.
Die Iraner, die für Mussawi stimmen, erhoffen sich vor allem eine Erweiterung der kleinen Freiheiten, die den Alltag erträglicher machen. Zwar wurden sie schon von dem "Reformer" Mohammed Chatami enttäuscht, doch selbst wenn sonst nichts dabei herauskommt - immerhin ist der Wahlkampf eine Gelegenheit, die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen auf der Straße zu zeigen. Ob der Sieger der Wahl tatsächlich die Mehrheit der Stimmen gewonnen hat oder nur die Mehrheit der Bürokraten, die sie auszählen, wird vorläufig niemand erfahren. Sicher ist jedoch, dass es keine Reformen geben wird, die der islamistischen Staatsdoktrin widersprechen.
Auch für zahlreiche ausländische Politiker und Experten ist die Hoffnung grün. Doch wer über das iranische Atomprogramm oder andere Streitfragen verhandeln will, mag sich aus Höflichkeit zunächst an den Präsidenten wenden, sollte sich aber klar darüber sein, dass nur Ali Chamenei eine Entscheidung treffen kann. Als religiöser Führer ist er der Vorgesetzte des Präsidenten. Die republikanischen Institutionen im Iran dienen dem Interessenausgleich zwischen verschiedenen Fraktionen des Regimes, die Grundlage des politischen Systems bleibt die Doktrin Chomeinis. "Islamische Republik" ist nicht nur eine unverbindliche Floskel.
Die Schiiten sind in vielerlei Hinsicht die Katholiken der islamischen Welt, ihr Erlöser ist der "verborgene Imam", mit dessen Erscheinen auf Erden die Geschichte endet. Der religiöse Führer ist sein Statthalter, er hat eine heilsgeschichtliche Funktion und soll nicht nur die Iraner, sondern die ganze Menschheit auf die Erlösung vorbereiten. Chamenei mag als Mensch für seine einschläfernden Predigten berüchtigt sein, als religiöser Führer kann er göttliche Rechtleitung und somit absolute Befehlsgewalt in Anspruch nehmen. Welche konkrete Bedeutung diese Lehre für die iranische Politik hat, ist schwer zu klären. Es gibt Indizien dafür, dass Ahmadinedschad sich einer apokalyptischen Randströmung der Schia zugehörig fühlt, die das baldige Ende der Welt erwartet. Durch eine gezielte Indiskretion wurde im Jahr 2006 bekannt, dass er im Gespräch unter Geistlichen die Ansicht äußerte, bei seiner Rede vor der UNO habe sich eine grüne Aura um seinen Kopf gebildet. Mussawi begnügt sich immerhin mit grünen Fahnen.
Wenn der zukünftige iranische Präsident darauf verzichtet, den Holocaust zu leugnen, ist das erfreulich. Allerdings besteht die Gefahr, dass, wie während der Regierungszeit Chatamis, ein milde lächelnder Präsident im Ausland den Eindruck erweckt, es gebe einen fundamentalen Wandel im Iran. Eben diese Erwägung könnte Mussawi bei den Wahlmanipulationen einen Vorteil verschaffen, denn auch viele Geistliche sind der Ansicht, dass Ahmadinedschad mit seinen überflüssigen Provokationen unnötige Probleme schafft. Das militärische Atomprogramm zu beenden, steht allerdings nicht zur Debatte.
Wenn sich die US-Geheimdienste ausnahmsweise nicht irren sollten, wird im Iran derzeit Uran nur zu dem für die Produktion von Brennstäben erforderlichen Grad angereichert. Eine nukleare Infrastruktur aufzubauen, die sich im Bedarfsfall für die Atombombenproduktion nutzen lässt, ist der klügere Weg zur Nuklearmacht.
Denn es gibt kaum legale Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Die juristische Basis für Sanktionen sind allein Verstöße gegen die Vereinbarungen mit der internationalen Atomkontrollbehörde IAEA. Lässt der Iran Kontrollen seiner Anlagen zu, verpflichtet der Atomwaffensperrvertrag zum "größtmöglichen Austausch von Ausrüstung, Material sowie wissenschaftlichen und technologischen Informationen für die friedliche Nutzung der Nuklearenergie". Das iranische Regime kann also sogar Hilfe beanspruchen.
Dies ist neben der Sturheit der Ajatollahs das zweite große Hindernis bei Verhandlungen mit dem Iran. Die gesamte Politik der Nonproliferation beruht auf der Fiktion, dass zivile und militärische Nutzung der Atomenergie voneinander zu trennen sind. Doch die Schlüsseltechnologien sind für militärische wie zivile Zwecke Urananreicherung und Wiederaufarbeitung, der Atomwaffensperrvertrag ist binnen drei Monaten kündbar. Derzeit weiß niemand, wie das iranische Atomrüstungsprogramm ohne einen militärischen Konflikt mit unabsehbaren Folgen beendet werden kann. Sich das einzugestehen, könnte der Anfang einer Politik sein, die sich ausnahmsweise einmal denen zuwendet, die neben den Israelis am stärksten durch den Militarismus der Ajatollahs gefährdet werden: den Iranern.
Westliche Politiker verstehen unter einem Dialog vornehmlich das Gespräch mit Geistlichen, Politikern und anderen Honoratioren und scheinen zu glauben, die Iraner müssten vor allem darüber aufgeklärt werden, dass niemand ihnen den Gebetsteppich unter den Füßen wegziehen will. Real existierende Iraner prügeln sich unterdessen mit Tugendwächtern, führen illegale Streiks und treffen sich zum Gruppensex. Eine zweite Revolution ist zwar noch nicht in Sicht, und es gibt Millionen von überzeugten Anhängern des Regimes. Doch letztlich können nur die Iraner den Geistlichen den Weg zurück in die Moschee zeigen und damit auch das Atomprogramm beenden. Am 26. Juni findet ein von mehreren Gewerkschaftsverbänden organisierter globaler Solidaritätstag mit den iranischen Arbeitern statt. Eine gute Gelegenheit, statt des Dialogs der Patriarchen einmal den Dialog der Dissidenten zu führen.
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