Debatte Wachstumsgrenzen: Symptom Boni-Banker
Was wir "Finanzkrise" oder auch "Schuldenkrise" nennen, sind schlicht die Grenzen des Wachstums. Endlich wird das für alle einmal sichtbar.
U nbestritten: Das heutige Spekulationsgewerbe ist schlicht pervers. Klar also, dass die Bankenwelt mit ihren zum Teil absurden Finanzkonstruktionen hervorragend als Projektionsfläche für Wirtschaftskritik taugt; der Protest der Occupy-Bewegung vor den Tempeln des Geldes ist allemal verständlich.
Und dennoch greift die öffentliche Verachtung der Banker und ihrer Zockerei zu kurz - weil nämlich die Nervosität der Finanzmärkte mehr Symptom der Krise ist als deren Ursache.
Ohne hiermit den Zynismus des ungehemmten Kapitalmarkts schmälern zu wollen: Wer mit seiner Kritik mehr will als nur Frust abbauen will gegenüber blasierten Boni-Bankern, wer wirklich tragfähige Lösungen für eine Ökonomie der Zukunft sucht, sollte den legitimen Protest mit ökonomischen Analysen verbinden.
Diese müssen zwingend damit beginnen, dass man die Finanzkrise von 2008 in einen entscheidenden, aber bislang häufig verdrängten Kontext stellt.
Finanzmarkt war kein Auslöser
Rückblick in den Sommer vor drei Jahren: Die Weltwirtschaft boomt, der Ölpreis steigt auf fast 150 Dollar pro Barrel. Die weltweite Ölförderung hat, so viel ist heute auch rückblickend klar, kurz zuvor ihren Peak überschritten.
ist freier Journalist in Freiburg und Träger des Deutschen Solarpreises 2010. Im Frühjahr erschien im Picea Verlag sein Buch "Solare Zeiten - die Karriere der Sonnenenergie".
Weil die globalen Märkte aber mit anhaltendem Wirtschaftswachstum und weiter anschwellender Energienachfrage rechnen, steigt der Preis aller Energieträger unablässig. Und auch andere Rohstoffe, von Metallen bis zum Getreide, erreichen Spitzenwerte. Der Markt rechnet mit Verknappung allenthalben.
Und dann passiert es: Unter der Last der Rohstoffpreise kollabiert als Erstes das auf maximaler Verschwendung aufgebaute US-amerikanische Wirtschaftsmodell. Immobilienkäufer, die sich ihr Haus ohnehin nie leisten konnten, werden durch die hohen Energiekosten endgültig in den Ruin getrieben.
Weil dies nun in Massen geschieht, implodiert der Häusermarkt. Die Banken, die diesen finanziert haben, weil sie panisch nach Wachstum gierten - und sei dieses noch so absurd auf Pump finanziert -, werden mitgezogen in die Tiefe.
So erweist sich die Finanzwirtschaft am Ende zwar als die Sollbruchstelle eines Systems, das nicht auf Dauer funktionieren konnte, aber der alleinige Auslöser der Krise ist sie nicht. Die Ursachen liegen vielmehr im wachstumsfixierten System selbst.
Wer die Krise nüchtern betrachtet - also weder mit Abscheu gegenüber dem kompletten Finanzsektor noch aus der Sicht eines Wachstumsfetischisten -, muss schlicht konstatieren: Bei 150 Dollar pro Barrel Rohöl geht den Konsumgesellschaften der heutigen Machart offenkundig die Puste aus.
Kurzum: Was heute gerne wahlweise "Finanzkrise" oder auch "Schuldenkrise" heißt, das sind faktisch die Grenzen des Wachstums. Es sind die Erosionen eines Wirtschaftsmodells, das bis heute ignoriert, dass die Erde nur über limitierte Rohstoffressourcen verfügt. Naturgesetze lassen sich eben nicht aushebeln. Nicht mit noch so speziellen Fonds und auch nicht mit Hebelzertifikaten.
Angst vor der Wirklichkeit
In den frühen siebziger Jahren, als die Grenzen des Wachstums noch fern waren, wurde der Ausdruck zum Titel eines Weltbestsellers. In Deutschland stand das Werk - vom Spiegel seinerzeit zum "Statistik-Thriller" geadelt - anderthalb Jahre lang ganz oben auf der Verkaufsliste, weltweit wurde das Buch in 30 Sprachen übersetzt und zwölf Millionen Mal verkauft.
Heute jedoch, wo die Grenzen des Wachstums deutlich fühlbar werden, wird das Thema von den angeblich so führenden Ökonomen und den Wirtschaftszeitungen beharrlich ignoriert. Auch EU, EZB und IWF bilden eine Troika der Naivität, weil auch sie das Wort Wachstumsgrenzen nicht im Munde führen.
Die besseren Ökonomen
Zwar gibt es Ideen für die Gestaltung der Postwachstumsgesellschaft - unter anderem in einem unter diesem Titel erschienenen Buch. Das lesenswerte Werk kommt aber weniger aus der Ökonomie denn aus der Ökologie. Aber so war es schon immer: Das Denken in Gesamtzusammenhängen war stets zuvorderst in den Umweltwissenschaften zu Hause - womit die Ökologen dann in der Praxis zu den besseren Ökonomen wurden.
So ist es, um bei den aktuellen Finanzturbulenzen zu bleiben, auch kein Zufall, sondern nur folgerichtig, dass ausgerechnet jene Banken, die ihr Geld nach ökosozialen Kriterien investieren, hervorragend durch die Krise kommen. Systemisches Denken, der Blick für Zusammenhänge, zahlt sich erkennbar auch ökonomisch aus.
Und dieses Denken muss endlich raus aus der Nische. Denn dass die Postwachstumsgesellschaft kommt, daran kann - zumal in der aktuellen Weltlage der inflationierenden Rettungspakete - niemand mehr ernsthaft zweifeln.
Nur die Frage, auf welche Weise sie kommt, ist offen. Entweder kommt sie so, wie wir sie aktiv gestalten, also "by design". Oder sie bricht über uns herein mit unübersehbaren wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen, also "by desaster".
Banalökonomie im Fernsehen
Nun wäre es vermessen, an dieser Stelle das neue Wirtschaftsmodell präzise definieren zu wollen. Niemand hat dies bisher im Detail getan. Aber es gibt immerhin interessante Ansätze, deren Umsetzung vor allem eines erfordert: die Abkehr vom herrschenden Konsumismus, den vernünftigeren Umgang mit Naturressourcen.
Die Suche nach einem neuen Wohlstandsindikator abseits des Bruttoinlandsprodukts wäre nun immerhin ein symbolträchtiger Anfang, aber dabei kann es natürlich nicht bleiben. Was wir brauchen, ist eine intensive öffentliche Debatte darüber, wie unsere Wirtschaft zu strukturieren ist in einer Welt, die kein quantitatives Wachstum mehr zulässt.
Immerhin gibt es derzeit eine Enquetekommission des Bundestags, die unter dem Namen "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" genau darüber nachdenkt. Aber auch sie agiert noch in der Nische, wenig beachtet von den Wortführern der deutschen Wirtschaft, die lieber in Talkshows Banalökonomie ventilieren.
So bleibt am Ende nur der Appell an all jene, die sich zur Spitze der internationalen Ökonomenzunft zählen: Positioniert euch zum Thema "Grenzen des Wachstums". Oder schweigt für immer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen