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Debatte VerkehrspolitikVergesst den Benzinpreis!

Kommentar von Weert Canzler

Zum Weg in das postfossile Zeitalter gibt es keine Alternative. Wir brauchen eine Revolution, für die es noch kein revolutionäres Subjekt gibt.

Reden wir nicht über die Benzinpreise zu Ostern. Reden wir über den zukünftigen Verkehr. Auch wenn man trefflich darüber streiten kann, wann "Peak Oil" erreicht ist: Die Ära des billigen Öls ist definitiv vorbei. Zugleich zwingt der Klimawandel dazu, eher schneller als später aus der Kohlenstoffwirtschaft auszusteigen. Doch wer sind die Bannerträger des neuen postfossilen Zeitalters? Wo stecken ihre Interessenvertreter und weitsichtigen Stakeholder?

Es kann nicht weitergehen wie bisher. Vor allem die nachholende Modernisierung in den aufstrebenden Wirtschaftsnationen dieser Erde verbietet es, den fossilen Verkehrspfad weiter zu verfolgen. Der Strukturbruch ist nicht zu vermeiden, soll es gelingen, ökonomisch und ökologisch nicht gegen die Wand zu fahren. Zentrale Elemente postfossiler Mobilität sind ebenfalls bekannt: eine drastisch höhere Effizienz, eine Energieversorgung auf Basis regenerativer Quellen und die intelligente Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger.

Widerspruch zu dieser Analyse findet man wenig. Selbst die Lobbyisten von Mineralölindustrie und Kohlelieferanten sind in der Defensive, ja fast kleinlaut. Es ist mittlerweile politisch unkorrekt, wenn man darauf hinweist, dass es noch für viele Jahre genügend - schmutziges - Öl und klimagefährdende Kohle gibt. So viel antifossile Grundstimmung gab es - zumindest in der westlichen Welt - noch nie.

Das Problem ist jedoch: Wie gelingt der Übergang in eine postfossile Ära? Dieser Übergang kommt einer Revolution gleich: Kapital und Wissen werden entwertet, Märkte trocknen aus, Arbeitsplätze sind gefährdet. Teurer wird es für die meisten auch noch, ja, sogar demokratische Teilhabe und sozialer Aufstieg könnten in einer neuen Weise ins Stocken geraten, gesellschaftliche Legitimität würde darunter gefährlich leiden. Es sind mächtige Interessen bedroht, zugleich sind Lebensstile und soziale Integration in Gefahr. Sehr viele Menschen haben etwas zu verlieren, und wenn es "nur" lieb gewordene Gewohnheiten sind.

Bisher ist es so, dass es kurzfristig wenige Gewinner und damit kaum energische Fürsprecher der Transformation gibt. Wir brauchen eine Revolution, für die es kein historisches Subjekt gibt. Eine autoritäre Lösung ist zumindest in demokratischen Gesellschaften unwahrscheinlich. Aber auch die soft power guter Informationen und flächendeckender Public-awareness-Kampagnen ist begrenzt. Vermutlich wirkt mehr als alle Aufklärung und moralische Appelle, wenn postfossile Mobilität an gelebte (Alltags-)Praxis anknüpfen kann.

Dabei gibt es sie bereits, die neuen Formen der Verkehrsorganisation. Besonders eindrucksvoll ist die Erfolgsgeschichte des Fahrrades, sei es als privates Fortbewegungsmittel in modernen Metropolen oder auch die Public-bike-Systeme, die in den letzten Jahren an vielen Orten an Attraktivität gewonnen haben. Wohl niemand hätte es noch vor kurzem für möglich gehalten, dass Paris zur Fahrradstadt wird und die Stadtregierung für eine offensive Fahrradförderpolitik Beifall von allen Seiten bekommt. Sogar die Bürgermeister aus chinesischen Boomtowns gucken deshalb interessiert auf das alte Europa. Doch Ansätze zu einer neuen Verkehrskultur finden sich nicht nur in Paris oder London, sondern auch in Schanghai, Bangkok oder Mumbai, in den urbanen Ballungsräumen der Welt.

Auch die Elektromobilität ist ein Kandidat für eine neue Verkehrskultur. E-Autos sind auf die Kooperation mit dem Nah- und Fernverkehr auf der Schiene angewiesen, weil sie eben nur eine beschränkte Reichweite haben und für die Aufladezeiten nicht zur Verfügung stehen. Der Batterieantrieb eignet sich nicht für das überkommene Universalauto, mit dem man (fast) alles machen konnte. E-Mobile sind Kurzstreckenfahrzeuge und verträglicher für die Stadt als ihre ungehobelten Vorgänger, weil sie lärmarm und abgasfrei fahren. Kleine leichte Stadtmobile statt unästhetischer Geländefahrzeuge und "lackierter Kampfhunde": das sind doch charmante Aussichten für urbane Automobilisten, die es in individualisierten Gesellschaften auch künftig geben wird.

Fraglos sind E-Mobile nur dann sinnvoll, wenn sie ihre Energie aus regenerativen Quellen beziehen. Intelligent mit anderen Verkehrsmitteln verknüpft, sind elektrische Stadtautos keine Verzichtsvarianten des klassischen Autos, sondern vielmehr Bausteine eines integrierten Mobilitätsangebotes. Mit mehr Optionen, mit mehr Effizienz und mit mehr Prestige.

Public-bike-Systeme und E-Mobilität sind vielversprechende Bausteine eines zukunftsfähigen urbanen Verkehrsangebots. Sie sind außerdem der Hinweis darauf, dass "postfossile Mobilität" zu einem lukrativen Markt werden kann. Public bike ist schon heute ein Millionen-Geschäft. E-mobility dagegen ist derzeit mehr Marketinggeklingel und offensichtliches Greenwashing von Energieversorgungsunternehmen, die ob ihrer fossilen Obsessionen unter Legitimationsdruck stehen.

Ein Markt entsteht dort nur, wenn er politisch generiert wird. Anschaffungsbeihilfen und steuerliche Vorteile könnten dabei helfen. Noch viel wirksamer sind wahrscheinlich nichtmonetäre Privilegien für Elektrofahrzeuge: die Befreiung von Einfuhrverboten etwa, die Nutzungsrechte für Busspuren oder eigene Parkplätze im öffentlichen Raum. Vereinzelt gibt es diese bereits: In London beispielsweise sind Nullemissionsfahrzeuge von der City-Maut befreit. Werden in absehbarer Zeit nur in einem Dutzend Metropolen ähnliche Bevorteilungen von E-Fahrzeugen verfügt, ist ein neuer Markt da. Ganz schnell wird dann nach E-Fahrzeugen verlangt.

Was treibt also zur postfossilen Mobilität an? Sicherlich ist das in marktgesteuerten Gesellschaften in erster Linie die Aussicht auf Gewinne. Paradoxerweise sind es politische Entscheidungen, die neue Märkte schaffen können: Technology forcing policies heißt das in den USA treffend. Intelligente Industriepolitik könnte man es auch nennen oder ökologische Modernisierung. Egal, wie der Titel lautet: Maßgeblich ist der politische Wille. Kunden, Nutzer und Käufer folgen dann fast von selbst.

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5 Kommentare

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  • J
    Joky

    Der Individualverkehr, die Freiheit zu jeder Zeit selbstbestimmt und unter Wahrung einer gewissen Privatsphäre von A nach B zu kommen, scheint das Feindbild einer ganzen Öko-Lobby zu sein. Es geht selten um die ökologische(re) Gestaltung des Individualverkehrs. Fast immer lautet die Diskussion ÖPNV gegen Auto. Wenn sich das nicht endlich ändert, wird die Diskussion noch zwanzig Jahre so weiter gehen, ohne dass sich wirklich viel ändert. Es gibt viele Menschen, für die individuelle Mobilität der letzte Ausdruck von wirklich empfundener Freiheit in diesem einengenden Land voller Verbote geworden ist. Du darfst nichtmal Dein Zelt irgendwo aufbauen um zu übernachten, aber Du darfst immer noch überall hinfahren! Und abseits der Freiheitsliebenden gibt es noch mehr Menschen, denen die aufgezwungene Privatsphäre lauter, ungehobelter, pöbelnder, manchmal beängstigender und nicht zuletzt auch häufig schlicht unhygienischer Begleiter im Ballungsraum-ÖPNV auf Dauer absolut unerträglich erscheint. Diese Menschen wird man mit wirtschaftlichen Vergleichen nicht in den ÖPNV locken und oftmals ist es auch einfach nicht praktikabel. Es wäre deshalb auch für Umweltschützer einfach viel sinniger den Individualverkehr durch intelligente Verkehrsleittechniken und ökologische Antriebe zu verändern, statt jahrzehntelang gegen vermeintliche Windmühlen anzukämpfen und anzuprangern, dass sich bezgl. ihres Wunschtraums, der Abschaffung des Individualverkehrs, einfach nichts tut. Die Menschen wollen es nicht, es ist schlichtweg ihr Grundbedürfnis selbstbestimmt mobil zu sein! Helft Ihnen, dass das umweltfreundlich geht. Aber räumt den Pranger weg, an den der Individualverkehr immer wieder gestellt wird!

  • C
    claudia

    >>Was treibt also zur postfossilen Mobilität an? Sicherlich ist das in marktgesteuerten Gesellschaften in erster Linie die Aussicht auf Gewinne. Paradoxerweise sind es politische Entscheidungen, die neue Märkte schaffen können

  • A
    Armin

    Sicherlich stimme ich zu, dass das fossile Zeitalter überwunden werden muss, aber über das "Wie?" macht sich der Autor natürlich keinerlei Gedanken.

    40 Tonnen über 1000km lassen sich nicht wirklich gut mit dem Drahtesel transportieren.

    Der Artikel suggeriert für mich den Eindruck, als wolle die Gesellschaft nicht nach einer möglichen Lösung greifen, sondern lieber aus Trotz beim bisherigen Lebensstil bleiben.

  • X
    xonra

    Gelobt sei, was sich von A nach B bewegt. 37 Jahre nach dem ersten Autofreien Sonntag in Deutschland, bewegt sich die Diskusion über die Mobilität von Morgen immer noch beinahe ausschließlich um das Auto. Egal ob elektrisch oder fossil, besser ist, man geht zu Fuß, oder bewegt sich mit dem Fahrrad. Eine verkehrsvermeidende Stadtplanung hätte also Priorität. Kurze Wege und Nulltarif beim ÖPNV. Sie gehören nun schon zur dritten Generation von Mobilitätsforschern. Es freut mich natürlich, das sie die alten Forderungen nun frisch in die Medien bringen. Leider fehlt bei allen Initiativen in Deutschland eine gemeinsame Wendestrategie. Hier kocht jeder sein eignes Mobilitätskonzept.

  • C
    chris

    Ein sehr schöner Kommentar, der die Sache auf den Punkt bringt! Ist der politische Wille zum Gestalten da, wird der Markt seinen Weg finden. Die technischen Möglichkeiten, die wir heute schon haben, sollten mit den sozial-ökologischen Notwendigkeiten verglichen und in Übereinstimmung gebracht werden. Eine technische Idee als Fetisch, Konsumförderung und Machterhalt bringt uns nicht grundlegend weiter (siehe die "E-Rennautos" oder die "CO2-Endlagerung"). Stets ist zu fragen: Helfen uns die alternativen Apparaturen tatsächlich, die Unabhängigkeit von fossilen Ressourcen zu vergrößern? Das wird die Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts! Und da droht gerade die Elektromobilität als "Taschenspielertrick" zu enden, wenn es nicht gelingt, sie fest und überzeugend an regenerative Stromgewinnung zu koppeln. Nur dann macht sie politisch Sinn.