Debatte Umweltprojekt in Ecuador: Das Gute Leben
Die Yasuní Initiative verkörpert den Quantensprung in eine neue Entwicklungslogik. Immer mehr Südamerikaner wollen eine grüne Zukunft, doch Gegner sitzen auch in Deutschland.
D irk Niebel mag sich nicht für Ecuadors visionäres "Dschungel statt Öl"-Projekt erwärmen. Kein Wunder: Für den Entwicklungsminister sind die Länder des Südens in erster Linie Rohstofflieferanten und Absatzmärkte für deutsche Produkte - deshalb hat er sich vor Jahren für die Abschaffung jenes Ministeriums eingesetzt, dem er jetzt vorsteht. Sein Wunschpartner in Südamerika ist ausgerechnet das Bürgerkriegsland Kolumbien.
Zum Glück spricht einiges dafür, dass die Ära Niebel in der deutschen Nord-Süd-Politik Episode bleibt. Zu den Vorbehalten des Ministers gegen Ecuadors Klimavorstoß, den der Bundestag noch 2008 einstimmig begrüßte, hat Alberto Acosta, einer der Väter der Yasuní-ITT-Initiative, an dieser Stelle das Nötige gesagt.
Wenn man den FDP-Minister aber zum Alleinblockierer des "Dschungel statt Öl"-Projekts hochstilisiert, ist das zu viel der Ehre. Auch die Union agiert konfus: Letzte Woche sprach sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch für Yasuní aus, bei einer Ausschusssitzung am Mittwoch duckte sie sich weg. Und Angela Merkel, die vormalige "Klimakanzlerin", schweigt dazu.
ist Südamerikakorrespondent der taz. Die Beiträge von Dirk Niebel und Alberto Acosta erschienen am 23. und am 24. September und können auf taz.de nachgelesen werden.
Zur Erinnerung: Millionenbeiträge aus aller Welt sollen die Ölförderung im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks überflüssig machen. ITT steht für die Namen der zu erschließenden Ölfelder. Das artenreichste Gebiet Amazoniens und die dort lebenden Urvölker blieben so erhalten. Das Projekt bringt frischen Wind in die verfahrene, marktfixierte Klimapolitik. Vor allem jedoch könnte es den dringend notwendigen Übergang zu einer postfossilen Wirtschaftsweise einleiten.
Linke Wachstumsträume
Gerade deshalb tun sich verantwortliche Politiker mit Yasuní nicht nur in Berlin schwer, sondern auch im überwiegend progressiv regierten Südamerika - angefangen bei Ecuadors Präsident Rafael Correa, der schon 2007 von seinem damaligen Freund und Energieminister Acosta eher überredet als überzeugt wurde.
Seitdem scheint der linke Staatschef hin- und hergerissen. Als Correa vor einer Woche in New York die jüngsten ermutigenden Beiträge aus Europa und Amerika zum Yasuní-Treuhandfonds bekannt gab, betonte er wieder, was aus klassischer volkswirtschaftlicher Sicht für die Ölförderung im östlichen Teil des Yasuní-Parks spricht: Einnahmen in Milliardenhöhe, die er in die "Entwicklung" Ecuadors stecken möchte. Es ist dieselbe Logik, die Hugo Chávez von Venezuelas Ölvorräten schwärmen oder die Argentinierin Cristina Fernández de Kirchner auf Agrarexporte setzen lässt: Devisen für Sozialprogramme.
Immer monströsere Bergbauprojekte, enorme Eukalyptus- und Kiefernplantagen, Soja- oder Rindfleischproduktion in riesigen Dimensionen: So sieht in Südamerika das vorherrschende Wirtschaftsmodell aus. Seine Wurzeln reichen bis in die Kolonialzeit zurück: Wie eh und je werden die Ressourcen auf Kosten von Mensch und Umwelt meist unverarbeitet und daher unter Wert verscherbelt.
Daran ändert sich auch kaum etwas, wenn jetzt Konzerne aus Asien jenen aus den "alten" Industrieländern als Abnehmer und Investoren Konkurrenz machen. Die dringend nötige Reindustrialisierung des Subkontinents auf modernstem Niveau kommt nach dem neoliberalen Tsunami der letzten Jahrzehnte nur schleppend voran, die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt enorm. Entwicklung für alle sieht anders aus.
Die Hoffnung wächst von unten
Um die Handelsströme weiter zu intensivieren, setzen sämtliche Regierungen auf den Ausbau der Infrastruktur. Diese "physische Integration" Südamerikas wurde im Jahr 2000 in Brasília ausgerufen, Gastgeber war Lula da Silvas liberaler Vorgänger Fernando Henrique Cardoso. Die jetzige Präsidentin Dilma Rousseff setzt diese Linie fort.
Das volkswirtschaftlich wie umweltpolitisch unsinnige Megakraftwerk Belo Monte am Amazonasnebenfluss Xingu etwa drückt sie gegen nationales und internationales Recht durch - natürlich im Namen einer "Entwicklung", an der in Wirklichkeit vor allem Konzerne und Politiker verdienen. Eine große Koalition zwischen Neoliberalen, Sozialdemokraten und den großen Medien weiß sie hinter sich.
Auch der heftige Konflikt um eine Überlandstraße von Amazonien an den Pazifik, der gerade in Bolivien das progressive Lager zu spalten droht, ist eine Folge dieser kapitalistischen Wachstumslogik um jeden Preis. Die bolivianische Regierung argumentiert ebenfalls mit "Entwicklung", und auch dieses Großprojekt liegt im Interesse weniger.
Wohl wahr: Kleinere Länder wie Ecuador, Bolivien oder Chile haben noch weniger Spielraum als etwa Brasilien oder Argentinien, um sich dem Sog der konzern- und finanzmarktgetriebenen Globalisierung zu widersetzen. Und doch zeigt sich gerade dort, dass nur eine aktive "Zivilgesellschaft" neue Perspektiven eröffnet - und zwar gegen den Pragmatismus und die Machtfixiertheit der Regierungen.
Das System steht in Frage
Anders als Lula/Rousseff in Brasilien oder auch Chávez in Venezuela ist es Evo Morales nie gelungen, jene sozialen Bewegungen, denen er seinen Aufstieg zu verdanken hat, restlos gefügig zu machen - sei es mit echten Fortschritten und neuen Freiräumen, sei es mit Posten und Geldern. Nur deshalb besteht die Chance, dass die Fernstraße nun doch nicht durch ein gefährdetes Amazonas-Naturschutzgebiet geführt wird.
In Chile gingen den monatelangen Schüler- und Studentenprotesten, die das neoliberale System an sich in Frage stellen, Massenkundgebungen gegen Großstaudämme in Patagonien voraus. Die Forderungen nach echter Partizipation und sozialem Ausgleich bewegen dort Millionen Jugendliche. In Ecuador schließlich ist Präsident Correa eine ökologisch ausgerichtete Linksopposition erwachsen, die Yasuní-ITT-Initiative ist populärer denn je.
Immer mehr SüdamerikanerInnen wollen nicht nur eine soziale, sondern auch eine grüne Zukunft, manche nennen es das "Gute Leben". Dafür gibt es kaum ein besseres Symbol als Yasuní. Es liegt an der deutschen Umweltbewegung, die Bundesregierung zum Einlenken zu zwingen und dem wegweisenden Entwurf aus Ecuador mit zum Durchbruch zu verhelfen.
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