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Debatte Umweltbetrug bei VWDie Perspektive der Täter

Manfred Kriener
Kommentar von Manfred Kriener

Im Diskurs um „Dieselgate“ dominiert die Ökonomie, die Opfer kommen nicht vor. Umweltgesetze waren schon immer das Feindbild der Autobauer.

Das Ausmisten im Volkswagenkonzern hat erst begonnen Foto: dpa

D ie Schweiz stoppt den Verkauf von VW-Dieselmodellen. Die Umweltbehörden von Südkorea, Indien, Mexiko, Litauen, Singapur und vielen anderen Ländern ermitteln gegen VW. Die ganze Welt ist alarmiert und überzieht den Wolfsburger Konzern mit einer Flut von Klagen. Die „übergrünen Deutschen“ stehen am Umweltpranger, erwischt ausgerechnet von den US-Ökoschurken.

Reflexartig gilt bei uns die erste Sorge der Wirtschaft mit VW als Aushängeschild der Deutschland AG. Verschwindet das Gütesiegel „Made in Germany“ hinter stinkenden Abgaswolken? Was macht der VW-Börsenkurs? Wie soll es jetzt weitergehen, wo doch jeder sechste deutsche Arbeitsplatz – in Wahrheit jeder zwanzigste – an der Autoindustrie hängt?

Auch die taz stimmt die ökonomische Jeremiade an. Umstandslos wird der Umweltslogan der 80er Jahre – erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch – umgedichtet zur neuen Formel: Erst stirbt VW, dann stirbt Deutschland.

Wer wirklich stirbt, sind exakt sieben Millionen Menschen weltweit, die nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation Jahr für Jahr Opfer der Luftverschmutzung werden. Luftverpestung ist „die wichtigste Einzelursache für Umweltsterblichkeit“, bilanziert die WHO. Der Verkehr hat einen großen Anteil daran.

Die Autoindustrie als Killer? Gesundheitsbelange kommen in der Aufarbeitung dieses Skandals ebenso wenig vor wie die Opfer. Allergiker und Asthmatiker, Umweltsensitive und Lungenkrebskranke, Alte und Kleinkinder, deren Nase knapp über Auspuffhöhe liegt – sie alle sind nur Statisten. Der Hinweis auf die Leidtragenden wird als grüne Moralsoße diffamiert. So bestimmt ausschließlich die Perspektive der Täter den Diskurs.

Grausliche Talkrunde

Kann VW das alles schultern?, fragt besorgt die sonntägliche Talkrunde. Und Grünen-Vorsteher Anton Hofreiter wird von Günther Jauch angeblafft, ob er denn die europäische Automobilindustrie in den Ruin treiben wolle. „Wollen Sie das!“ Ganz so, als hätten die Niedersachsen-Grünen sich nächtens in Wolfsburg eingeschlichen und sich an den Drosselklappen von Millionen Motoren zu schaffen gemacht.

Einer der wenigen, der aus der wirtschaftlichen Logik ausbricht und den Skandal nüchtern juristisch betrachtet, ist Jakob Augstein. Er bezeichnet die „Tricks“ und „Schummeleien“ von VW als das, was sie wirklich sind: ein Verbrechen.

Es wurde vorsätzlich, heimtückisch und mit hoher krimineller Energie über viele Jahre begangen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Ex-VW-Chef Winterkorn.

Dass die Verantwortlichen ins Gefängnis gehören, trauen sich bisher nur US-Politiker zu fordern. Aber sie haben recht. Seit dem BP-Skandal im Golf von Mexiko ist dies der heftigste Umweltfrevel. Doch während bei BP jeder sah, wie das Öl wochenlang ins Meer strömte, verteilen sich die Umweltgifte aus den Dieselfahrzeugen weitgehend unsichtbar.

Gegen grüne Latzhosenbrigaden

Wie konnte es dazu kommen? Softwaremanipulationen besorgt ja nicht der Praktikant mal nebenbei. Da sind Software-Entwickler und Motorenabteilungen involviert. Da muss getestet, gemessen und ausprobiert werden, ob der Betrug auch funktioniert. Das war keine Einzeltäterschaft oder das Werk einer kleinen Gruppe, da war der halbe Konzern beteiligt.

Die Täter hatten offenbar keinerlei Unrechtsbewusstsein. Warum auch? Es ging ja darum, die Umweltvorschriften der grünen Latzhosenbrigaden auszuhebeln, sich gegen den „ganzen Umweltzirkus“ zur Wehr zu setzen. Die deutsche Automobilindustrie hat die Umweltgesetzgebung immer als Feind und nie als Fortschritt betrachtet. Sie wurde dabei von der Bundesregierung stets vorbehaltlos und nach Kräften unterstützt.

Das gezähmte, das zivilisierte, das zukunftsfähige Auto, die Abrüstung in der Tiefgarage – es war nie das Ding der Autobauer. Schon gegen den Katalysator hatte sich die Branche mit massiver Lobbyarbeit jahrelang gewehrt. Derselbe Abwehrkrampf war im Brüsseler Poker um den CO2-Ausstoß zu beobachten. Und auch jetzt, während der VW-Skandal tobt, versuchen Autoindustrie und Bundesregierung weiter in bewährter Eintracht die für 2017 vorgesehene Änderung des realitätsfremden EU-Prüfzyklus zu verschieben. Ökologie wird nur zum Greenwashing gebraucht, wenn es darum geht, den Käufern sagenhafte Verbrauchswerte vorzugaukeln, an die nicht mal die eigenen Händler glauben.

Als mit dem VW Lupo endlich das Dreiliterauto kam, bestand sein einziger Sinn darin, aller Welt zu zeigen, dass König Kunde so was nicht kauft. Wie sollte er auch, wenn die Marketingmaschinen der Hersteller mit aller Macht die Erotik des Rallyestreifens, Dynamik, Beschleunigung und chromglitzernde PS-Manie favorisieren.

Recht auf Rasen

Zum Idealbild des King of the Road, der auf der Autobahn mit strammem Gasfuß regiert, taugte der Lupo aber nicht. Gegenüber den anderen Modellen erhielt er so den Sexappeal einer Fahrrad-Hosenklammer. Er verschwand auf dem Komposthaufen der Automobilgeschichte.

Dort liegen auch alle Pläne, in Deutschland ein Tempolimit einzuführen. Selbst diese harmlose kleine Bändigung des Autoverkehrs war nie durchsetzbar. Rasen im Treibhaus gehört zu den unveräußerlichen Grundrechten in diesem Land, in dem Politiker und Konzernchefs gern mit „Benzin im Blut“ prahlen. Bei manchem hat es die Blut-Hirn-Schranke schon durchbrochen.

Wie geht es weiter? Auf VW kommen hohe Strafen, Klagen, Schadenersatzprozesse, Rückrufaktionen und abstürzende Verkaufszahlen zu. Nach juristischem Ermessen müssen alle Autos stillgelegt werden, die mit manipulierter Abgas-Abschaltautomatik ausgerüstet sind und so den Stickoxidgrenzwert um das Sieben- bis Zehnfache überschreiten. Auch die Rücktrittswelle bei VW wird weitergehen. Wenn Zeitungsberichte zutreffen, dass von der Internen Revision im Jahr 2011 Warnungen kamen, dann ist auch der Aufsichtsrat dran.

Und was können die Besitzer der als Dreckschleudern enttarnten Dieselmodelle tun? Sie könnten ihre Karre den Händlern vor die Türe stellen und Ersatzautos verlangen. Denn VW ist nicht mehr verkehrsfähig.

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Manfred Kriener
Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Umweltjournalist und Autor in Berlin. Themenschwerpunkte: Klima, Umwelt, Landwirtschaft sowie Essen & Trinken. Kriener war elf Jahre lang taz-Ökologieredakteur, danach Gründungschefredakteur des Slow-Food-Magazins und des Umweltmagazins zeozwei.. Zuletzt erschienen: "Leckerland ist abgebrannt - Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur". Das Buch schaffte es in die Spiegel-Bestsellerliste und wurde von Umweltministerin Svenja Schulze in der taz vorgestellt. Kriener arbeitet im Journalistenbüro www.textetage.com in Kreuzberg.
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4 Kommentare

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  • Was soll das ewige Gerede vom Tempolimit? Jedes mal, wenn ich bei den Befürwortern nachgebohrt habe, kam heraus, daß die einfach nur unfähig sind, zu verkraften, daß sie den Überholverkehr vorbeilassen müssen, nachdem sie wieder mal ganz überrascht festgestellt haben, daß der LKW vor denen sich doch nicht in Luft aufgelöst hat.

     

    Wer Autofahren kann, der hat auch die dazu nötige Weitsicht, sich rechtzeitig auf ein Überholen vorzubereiten, und die Gelassenheit, auch mal 30 Sekunden Gas wegzunehmen, sollte mal jemand überholen.

     

    Ich fahre Motorrad (Stadtmaschine), ab 130 km/h wird's ungemütlich. Sollte ich beim Spurwechsel jemanden übersehen, so wird es ganz sicher meine Haut sein, die leidet. Und ich habe kein Problem, zu überholen. Wohl aber mit Fahrern, die ab Tempolimit-Schild nicht mehr in der Lage sind, meinen Sicherheitsabstand zu respektieren.

     

    Umwelttechnisch bringt ein Tempolimit auf Autobahnen nur symbolisch was, und dort, wo doch eine Gefahr für die Fahrer oder eine Belästigung der Anwohner gibt, dürfen Schilder aufgestellt werden. Hierzugegend wird das auch gemacht.

  • Wichtigtuerische Moralapostelei. Sicher Betrug. Aber VW hier als Schurken der 7 Mio. Leben auf dem Gewissen hat darzustellen ist quatsch. Alle wissen, dass seit Jahrzehnten die Emissionen höher sind als was im Test gemessen wird. Und VW hat im Branchenschnitt selbts in der Realität noch überdurchschnittlich gute Werte. Das man weiss, dass die so guten Werte im Test auf Betrug beruhen weiss man nur weil VW das gestanden hat, nicht etwa weil jemand das nachweisen konnte. Man könnte also auch die neue Kultur der Transparenz loben, vielleicht wurde aber auch nur der Druck zu gross.

    Ich glaube nicht, dass irgendjemand hier geschädigt wurde. Messwerte werden am technisch machbaren ausgerichtet. Hätte man früher stärker auf die Tests geguckt wären einfach die Grenzwerte andere.

    Number 1 Todesursache durch Luftverschmutzung ist übrigens Hausbrand: also kochen auf und Heizen mit offenem Feuer. Auch in D ist bekannt, dass was man zuhause im Ofen verbrennt praktisch keiner Kontrolle unterliegt. Eine Änderung der Gesetze und Kontrollen wird hier genauso als "unzumutbar" von allen politischen Parteien abgelehnt wie man das auch gerne bei der Industrie macht. Die Krankheit heisst nicht Industriehörigkeit sondern ist eine Nebenwirkung der (unserer) Demokratie.

    • @Jesper:

      Gute VW Durchschnittswerte basieren denn ja auch den Schummeldaten, gell.

      Das ist in dem Artikel auch gar nicht die Frage. Es geht um Betrug, der anders als nur um Geld nun auch Menschenleben berührt. Wenn Du glaubst, dass hier niemand wirklich geschädigt wurde, dann sind die nicht verhinderten Stickoxyde demnach gesundheitsneutral. Deine Ausführungen zum Hausbrand sind nicht mehr zu toppen: Natürlich fällt keiner tot um, wenn er NO einatmet. Ebenso fiel niemend tot um, wenn Asbest in die Lunge einfiel. Das dauert schon ein wenig länger, manchmal zig Jahre. Ich habe mit meinen 60 Jahren erst jetzt Asthma bekommen.

  • Großer Pessimismus ist angebracht ob aus dem Skandal mit seiner langen Vorgeschichte - und wahrscheinlich noch weiteren Enthüllungen - eine Lehre gezogen wird. Von Seiten der Industrie wird nach Kräften versucht werden alles zu "normalisieren" und zu kaschieren - man beachte die großen VW-Anzeigen in der Sonderausgabe der Bildzeitung mit welcher die ganze Nation beglückt wurde - als ob nichts geschehen wäre. VW ist ja Deutschland, und Deutschland kann nicht wirklich viel falsch machen. -

    Von den Grünen ist allerdings auch nichts zu erwarten. Was hörte man von dieser Partei in den letzten Jahren z.B. zu den immer dreister gefälschten Verbrauchswerten deutscher Pkw? Nichts!! Herr Hofreiter versuchte in der Jauch-Show durch heftiges Poltern einen falschen Eindruck zu erwecken. Und der Herr Kretschmann, der vor der Wahl die ihn zum Ministerpräsidenten werden ließ noch sagte es gebe zu viele Autos knickte nach dem darauffolgenden Aufschrei aus der Autoindustrie und der CDU sofort ein und machte den kniefälligen Kotau in den Werkshallen. In diesen Tagen tourte er bei der Premierenfahrt eines selbstlenkenden Riesen-Lkw als Beifahrer und praktisch Werbeträger mit* - "on a German Autobahn". War da einmal etwas mit Schienenverkehr? Umweltpolitik ist das nicht - es ist Merkelpolitik.

    *http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.a8-bei-stuttgart-selbstfahrender-lkw-auf-erster-autobahntour.18156e8e-038f-4975-a354-dd9f289041e3.html