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Debatte Türkei und KurdenFrieden steht vor der Tür

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Ministerpräsident Erdogan und PKK-Chef Öcalan haben eine historische Chance. Sie können den jahrzentelangen Krieg mit 40.000 Toten jetzt beenden.

Endlich Frieden? Pro-kurdische Demonstration in Istanbul Bild: reuters

M it den Friedensgesprächen zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen PKK bahnt sich eine tiefgreifende Veränderung der Türkei an. Ein Transformationsprozess, der das Land noch einmal genauso stark verändern wird wie die politische Entmachtung des Militärs und die Re-Islamisierung während der letzten zehn Jahre.

In der Türkei steht der Wandel von einem einseitig türkisch-ethnischen, nationalistischen Gemeinwesen, zu einer multiethnischen Gesellschaft bevor. Wenn denn der derzeitige Friedensprozess mit der kurdischen PKK-Guerilla und der kurdischen Minderheit insgesamt zu einem erfolgreichen Ende geführt wird.

Ein Ende des Krieges wird die Chancen von Millionen Einwohnern dramatisch verbessern. Denn es geht ja nicht nur darum, dass nicht mehr geschossen wird. Letztlich bedeutet ein echter Frieden einen neuen Gesellschaftsvertrag, ausformuliert in einer neuen Verfassung. Das ist noch ein langer Prozess mit vielen Unwägbarkeiten, aber Frieden ist möglich.

Bild: Wolfgang Borrs
Jürgen Gottschlich

ist Türkeikorrespondent der taz

Ein jahrzehntelanger blutiger Konflikt kann in diesem Jahr beendet werden, wenn die entscheidenden Player die Nerven behalten und sich von absehbaren Provokationen und Rückschlägen nicht von ihrem Ziel abbringen lassen.

Erst Marxist, dann Kurde

Die entscheidenden Figuren sind zweifelsohne Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und der seit nunmehr 14 Jahren inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan. Für beide war es ein langer Weg bis zu dem Tag, an dem sie gemeinsam über Frieden und die Rolle der Kurden in einer zukünftigen Türkei zu reden begannen. Öcalan kommt ursprünglich aus der marxistischen türkischen Linken. Erst später entdeckte er seine ethnische Identität als Kurde, distanzierte sich nach und nach von der Linken und wurde zu einem nationalistischen Kurdenführer. Er träumte davon, die über die Türkei, Iran, Irak und Syrien verstreuten Kurden zu vereinen und einen neuen kurdischen Staat zu gründen.

Demgegenüber Erdogan, der in einer islamistischen, türkisch-nationalistischen Bewegung groß wurde, die in ihren kühnsten Träumen die Wiedererrichtung eines türkischen Kalifats am Horizont sah. Öcalan war für Erdogan und seine Leute immer der Terrorist Nummer eins, genauso wie für die übrigen Parteiführer des Landes. Undenkbar, mit diesem Mann zu verhandeln.

Trotzdem reden die beiden jetzt miteinander, wenn auch nicht von Angesicht zu Angesicht, so doch über einen sehr kurzen Kommunikationsweg, den der Vertraute Erdogans, Geheimdienstchef Hakan Fidan, herstellt. Nach vielen vergeblichen Anläufen, nach jahrelangem Taktieren und mehr als 40.000 Toten, ist es dieses Mal ernst – beide wollen zu einem Abschluss kommen. Warum?

Der erste und wichtigste Grund ist, die Mehrheit der türkischen und kurdischen Bevölkerung in der Türkei will endlich ein Ende des Blutvergießens. Aus diesem Grund sind alle bereit, Zumutungen hinzunehmen, die noch vor Kurzem als indiskutabel galten.

Der zweite Grund ist: Es dürfte die letzte Chance sein, den Konflikt mit politischen Mitteln beizulegen. Der Verdruss über den jahrzehntelangen zermürbenden Kleinkrieg ist so groß, dass die unmittelbare Gefahr eines echten Bürgerkriegs besteht. Kommt es jetzt nicht zu einer Einigung, werden sich wohl bald nicht mehr nur Armee und PKK bekämpfen, sondern kurdische und türkische Bürger selbst aufeinander losgehen.

Persönlicher Gewinn der Führer

Der dritte Grund ist: Es gibt ein „Window of Opportunity“ weil jetzt, für einen kurzen historischen Moment, das Personal da ist, um einen Frieden durchzusetzen. Erdogan ist der stärkste Premier der Türkei seit Langem. Er ist auf dem Zenit seiner Macht, er kann die Mehrheit der Türken auf dem Weg der notwendigen Änderungen zu einem Frieden mit den Kurden mitnehmen. Dasselbe gilt für Abdullah Öcalan. Bei seiner Inhaftierung im Januar 1999 war er vor allem ein despotischer Führer einer großen kurdischen Guerilla, heute ist er unter den Kurden eine Legende, ein charismatischer Führer, der weit über die Grenzen der Türkei hinaus verehrt wird.

Viertens, und wohl am wichtigsten, beide Seiten können bei einem Friedensschluss große Gewinne einstreichen. Das gilt für Erdogan und Öcalan als Personen, mehr aber noch für die Türkei und die Kurden insgesamt.

Zuerst zu den persönlichen Hoffnungen. Erdogan will 2014 Präsident werden, und zwar mit erheblich erweiterten Vollmachten, als der türkische Präsident sie heute hat. Dazu braucht er eine entsprechende Verfassungsänderung, zu der ihm die Kurden mit ihren Stimmen im Parlament verhelfen könnten. Mit einem Friedensschluss mit den Kurden würde Erdogan darüber hinaus endgültig als der Gründervater der modernen Türkei des 21. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen. Das Land, von der Bürde des Krieges mit den Kurden befreit, hätte dann tatsächlich die Chance, innerhalb der kommenden Jahrzehnte unter die stärksten Wirtschaftsnationen weltweit aufzurücken.

Erdogan braucht den Frieden mit den Kurden auch, um bei der absehbaren Neuordnung im Nahen Osten tatsächlich eine entscheidende Rolle spielen zu können. Das betrifft Syrien nach Assad, und das betrifft den Irak, wo die Kurden im Norden dank ihres Öls immer stärker werden. Die irakischen Kurden um ihren Präsidenten Massud Barsani warten nur darauf, dass Erdogan endlich zu einer Einigung mit der PKK kommt, damit sie mit Ankara eine strategische Allianz eingehen können, die den Nordirak zu mindestens de facto von der Regierung in Bagdad befreit.

Wenn das kurdische Öl durch die Türkei auf den Weltmarkt kommt, braucht Barsani auf die schiitische Regierung in Bagdad keine Rücksicht mehr zu nehmen, und die Türkei kann ihre Energieprobleme mithilfe der irakischen Kurden lösen, statt weiterhin in Russland teuer dafür bezahlen zu müssen.

Kurdischer Arafat?

Eine solche Allianz mit den Kurden im Nordirak würde auf die eine oder andere Weise auch die Kurden in Syrien mit integrieren und könnte den Kurden in der Türkei endlich zu mehr Wohlstand und Entwicklung verhelfen.

Für Abdullah Öcalan ist der jetzige Friedensprozess die letzte Chance, lebend den Isolationsknast auf der Insel Imrali zu verlassen. Schon jetzt ist von Hausarrest die Rede, je mehr der Friedensprozess konkrete Gestalt annimmt, umso schneller verbessert sich auch Öcalans persönliche Situation. Darüber hinaus aber hat Öcalan jetzt die Chance, den Sprung vom inhaftierten Guerillachef zum kurdischen Arafat, manche Kurden sprechen gar vom kurdischen Mandela, zu machen.

Zwar muss der Traum von einem eigenen Staat erst einmal zurückgestellt werden, aber die Kurden in der Türkei, im Nordirak und in Syrien bekämen innerhalb der Einflusssphäre der Türkei doch mehr Selbstständigkeit und Sicherheit, als sie in den letzten hundert Jahren hatten.

Sicher ist vieles noch unklar, und die Risiken sind hoch. Eine bessere Chance für den Frieden wird aber nicht mehr kommen.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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9 Kommentare

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  • I
    Idioten

    @ Ansgar

    solche Leute wie sie haben wahrscheinlich selber keine Ahnung und kommen immer mit den Sätzen "wer sich ernsthaft mit dem und dem befasst.." "wer wirklich ahnung hat " "wenn du wüsstest"..wenn Sie mehr wissen als der Autor,der das sehr differenziert dargestellt hat,dann lassen Sie es uns wissen,ansonsten halten sie Ihre Klappe und belästigen uns nicht mit ihren absurden Theorien,das selbe gilt auch für HamTurko(SO EIN SCHWACHSINN).

    Wenn Öcalan kein Nationalist wäre,warum hat er sein Leben geopfert um den kurdischen Willen zu stärken und Symbole zu setzen? Erdogan ist mitunter einer der reformbereitesten Premierminister,die die Türkei je hatte (mit unter Ecevit).Wenn's jetzt nicht klappt dann droht ein Bürgerkriegsszenatio spätestens mit dem Tod Öcalans.

  • C
    Combo

    Beide sind keine Türken. Erdogan sagt nie er ist Türke. Öcalan hat es auch nie gesagt..

    Wiki : Erdoğan entstammt einer georgischen Familie aus Rize im Nordosten der Türkei.

    Unter solchen leuten leiden dann die Türken. Sowie Landes intern als auch extern (Europaweit sind die Türken schlecht) Aber europa ist auch Blind. Also nieder mit den Türken die von Georgiern regiert und von Terroristen terrorisiert wird. Lasst uns alle drauf spucken freunde. :-)

  • C
    Combo

    Beide sind keine Türken. Erdogan sagt nie er ist Türke. Öcalan hat es auch nie gesagt..

    Wiki : Erdoğan entstammt einer georgischen Familie aus Rize im Nordosten der Türkei.

    Unter solchen leuten leiden dann die Türken. Sowie Landes intern als auch extern (Europaweit sind die Türken schlecht) Aber europa ist auch Blind. Also nieder mit den Türken die von Georgiern regiert und von Terroristen terrorisiert wird. Lasst uns alle drauf spucken freunde. :-)

  • T
    tommy

    @HamTurko

     

    Ich habe selbst durchaus Sympathien für ein Bekenntnis zum Nationalen (in Maßen), aber Ihre Äußerungen finde ich einfach nur gruselig. Diese abstruse Paranoia, dass auswärtige Mächte die Türkei zerstückeln wollen (so als wäre auf alle Zeiten 1920) kann ich nicht nachvollziehen. Und Erdogan als CIA-Agent? Wieso hat dann die Türkei beim Irak-Krieg 2003 nicht mit den USA kooperiert, wieso äußert sich Erdogan immer wieder "kritisch" gegen Israel (kaum im Sinne der USA)? Rational kommt mir Ihre Weltsicht jedenfalls nicht vor. Aber gut, dass die taz auch solche Kommentare veröffentlicht, sehr erhellend und interessant.

  • T
    Türkischefrieden

    Türkischefrieden was ich nicht lache der Erdogan wenn er konnte würde er genauso wie Hitler werden. Von ein Türken in Kurdischenregionen frieden zu Hoffen ist genauso das Hitler die Juden freundlich in den Offen steckte. Es wird nie einen Frieden geben so lange die Welt zuschaut wie die Türken Kurden vernichten und ihren Nationalismusvirus weiter betreiben.

     

    Mfg

  • KK
    Karl K

    Prima Analyse und allen ein feines Händchen zum Erfolg.

     

    But - "Aus diesem Grund sind alle bereit, Zumutungen hinzunehmen, die noch vor Kurzem als indiskutabel galten."

    Das hätt ich gern etwas genauer gewußt, welche das auf der jeweiligen Seite und für wen genau für Zumutungen sind.

    Danke.

  • TG
    the grimreaper

    Ocalan und marxist. Da sieht man das der autor keine ahnung hat. der verrückte der viele kurden selbst hingerichtet hat, ist ein stalinist. Das sieht man ja auch an seinem schnautzer. Wer diesen als repräsentanten der kurden bezeichnet der kann auch gleich stalin, mao, pol pot und wie sie alle heißen als menschenfreunde bezeichnen

  • H
    HamTurko

    Was haben Herr Erdogan und Herr Öcalan gemeinsam ?

    Beide sind Millionäre oder Milliardäre mit Konten in der sauberen Schweiz.

    Beide sind Verräter an Ihren eigenen Völkern. Öcalan hat Tausende Kurden in der Türkei und anderswo getötet, die sich einer Terrororganisation wie der PKK nicht anschliessen wollten, darunter auch komplette Dörfer inklusive Frauen, Kindern und sogar Säuglingen. Erdogan ist Premierminister von Amerikas Gnaden, um an die Macht zu kommen hat er sein Land verkauft. Er ist gerade dabei die territoriale Einheit und die Souveränität der Türkei in Luft aufzulösen. Genau das, was der Westen

    (Kirche und Kapital) seit 1000 Jahren versucht haben zu erreichen. Es geht hier nicht um Frieden sondern um die Reconquista Anatoliens und die Hegemonie des Westens im nahen Osten. Die PKK ist nicht der Repräsentant der Kurden, sie ist vielmehr das Klopapier aller im nahen Osten werkelnden Mächte. Mal von Armenien, Russland, Iran, Syrien oder nach wechselnder politischer Konjunktur auch mal von den USA, England, Frankreich, Israel oder sonst wem. Frei nach dem Motto

    DIVIDE ET IMPERA versucht man Spaltpilze in den nahen Osten zu bringen. Mal geht es um Ethnien und Rassen, mal um Religionen oder Konfessionen. Wir Türken sind das gewohnt. Seit Tausend Jahren wehren wir uns erfolgreich gegen Feinde von innen als auch gegen Feinde von aussen. Im ersten Weltkrieg hat sich die türkische Nation mit allen ihren Verästelungen gegen alle Supermächte der damaligen Welt durchgesetzt. Das werden wir auch in den nächsten Tausend Jahren weiter so handhaben. Wenn Erdogan das nächste mal an einer Tankstelle vorbeifährt, sollte er mal vielleicht an Mussolini denken.

    Sowohl Erdogan als auch Öcalan sind Produkte der CIA, des Geldes. Die Türkei ist momentan die mächtigste Bananenrepublik der Welt. Deutschland ergeht es nicht viel anders. Alles nur Marionetten. Wann wird es endlich Demokratie, Freiheit und mutige Journalisten geben ?

  • A
    Ansgar

    Ein ist eine sehr gute Analyse, jedoch verstehe ich nicht, warum der Autor Öcalan als kurdischen Nationalisten darstellt! Das entbehrt jeglicher Realität! Warum tun Sie(der Autor) das? Wer sich ernsthaft mit Öcalan befasst wird schnell merken, dass er genau das Gegenteil von einem Nationalisten ist!!!!