Debatte Trump und der Nahe Osten: Konstruktive Ignoranz
Der Krieg gegen den Terror destabilisiert den Nahen Osten. Nur in Syrien könnte Trumps Entschlossenheit zu einer Lösung beitragen.
D onald Trump und der Kampf gegen den Terror – das macht Bauchschmerzen. Der US-Präsident kämpft mit den falschen Mitteln (Luftangriffe auf Wohngebiete) und den falschen Verbündeten (Saudi-Arabien, Golfmonarchien und Ägyptens al-Sisi) gegen ein nicht näher bestimmtes Phänomen („islamistischen Terror“), dessen Ursprünge er nicht versteht. Hauptsache die Feindbilder stimmen und Amerika wird „great again“.
Arabische Potentaten sollen amerikanische Waffen kaufen, um damit „den Terror“ zu bekämpfen. Wie praktisch, dass jeder seine eigenen Terroristen hat: Muslimbrüder und Hamas, schiitische Demonstranten, frustrierte Jugendliche oder kritische Blogger, den Iran, Katar oder die Hisbollah. Böse ist, wer meine Macht infrage stellt – ob mit Anschlägen oder im Internet, bei Protesten oder auf al-Dschasira – so einfach deklariert man in Nahost Terroristen.
Das Problem an diesem Antiterrorkampf ist nicht nur, dass er viele Unschuldige trifft, sondern dass er die Wurzel des Übels ignoriert: die Perspektivlosigkeit einer lokal abgehängten, aber international informierten Generation von 15- bis 35-Jährigen. Sie stellen in ihren Heimatländern die Bevölkerungsmehrheit und haben keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Solange kleptokratische Regime diesen Frust nicht abbauen, sondern mit Gewalt unterdrücken, ist die nächste Eruption vorprogrammiert.
Der Krieg gegen den IS ist mit rein militärischen Mitteln nicht zu gewinnen. Luftangriffe und Milizen können IS-Funktionäre aus Mosul und Rakka vertreiben, aber nicht besiegen. Im Gegenteil. Die mit der „Befreiung“ einhergehende Gewalt – wie der US-Angriff auf ein Schulgebäude mit Geflüchteten im syrischen Mansura am 21. März mit 200 Toten oder die Misshandlungen schiitischer Milizionäre im Irak – generiert Wut, Verzweiflung und den Wunsch nach Rache – der perfekte Nährboden für weiteren Extremismus.
Koordinatensystem verschoben
Der Ausgang dieses Feldzugs ist deshalb ungewiss, vor allem in Syrien. Denn anders als im Irak ist dort nicht klar, was auf den IS folgt. Statt einer Einheitsfront gibt es in Syrien vier Allianzen, die den IS jeweils als erste vertreiben wollen, um die Kontrolle von ihm zu übernehmen: die von PKK-nahen Kurden dominierten wichtigsten US-Verbündeten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die von den USA, Großbritannien und Norwegen unterstützten Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA), die von der Türkei gegen die Kurden in Stellung gebrachten Rebellengruppen im Norden und die Assad-loyalen Kräfte (Regimetruppen, Hisbollah, diverse Milizen, Iran und Russland).
Sie alle streiten um das IS-Kernland in Syriens Osten, einer dünn besiedelten Steinwüste von strategischer Bedeutung. Denn die Provinz Deir al-Sor gilt als Kornkammer und Tankstelle des Landes. Hier wachsen Getreide und Baumwolle und liegen sowohl Erdgas- als auch die bescheidenen Erdölvorkommen Syriens. Ihre gleichnamige Hauptstadt ist seit 2014 zwischen Assad und dem IS aufgeteilt. Wichtig ist außerdem die Grenze zum Irak, die alle kontrollieren wollen. Assad, um das gesamte Staatsgebiet zurückzuerobern und die Handelsroute Bagdad–Damaskus wiederzubeleben; Teheran, um einen Landweg von Iran über den Irak, Syrien und den Libanon zum Mittelmeer zu schaffen; die USA, um Letzteres zu verhindern und um das syrisch-irakische Grenzgebiet nicht länger Dschihadisten als Rückzugsraum zu überlassen.
Die Bereitschaft, die eigenen Ziele rücksichtslos durchzusetzen, ist groß. Assads Leute schicken bewaffnete Drohnen und Jagdbomber, um die US-Allianz zu stoppen. Washington greift Pro-Regime-Konvois an und schießt Drohnen und Kampfjets der Assad-Koalition ab, um die eigenen Spezialeinheiten und ihre Verbündeten der SDF und FSA zu schützen. Russland eskaliert verbal, scheint aber keine direkte Konfrontation mit den USA zu wollen.
Darin könnte eine Chance liegen. Denn Trumps Entschlossenheit verschiebt das Koordinatensystem, in dem Syrien seit Jahren ohne Aussicht auf eine Verhandlungslösung festhängt. Im Gegensatz zu Vorgänger Obama sprechen Trump und Putin die gleiche Sprache. Es wird gedroht und gebombt, wo eigene Interessen zu verteidigen sind. Das ist gefährlich, bringt aber eine Abschreckung mit sich, die nicht selten zu diplomatischen Durchbrüchen führt. Aus einem verheerenden Ungleichgewicht – Obama zögerte, Putin reagierte und Assad mordete wie er wollte – könnte ein lösungsorientierter Pragmatismus werden.
Wettstreit um IS-Gebiete
Weder Trump noch Putin geht es um die Person Assads. Trump will den Einfluss Irans zurückdrängen, der den Russen in Syrien auch zu viel ist. Beide wollen Syrien stabilisieren, ohne viel zu investieren. Sie sehen, dass das mit Assad auf Dauer nicht geht und dass man dafür Opposition, Rebellen und Aktivisten einbeziehen muss. Moskau sucht bereits Kontakt zu den Lokalen Räten in den Deeskalationszonen, um den eigenen Einfluss während einer Übergangsphase sicherzustellen. Reicht das für Frieden? Sicher nicht. Aber statt eine offene Konfrontation mit Trump zu riskieren, könnte Putin es vorziehen, Schützling Assad zu Zugeständnissen zu bewegen. Und bevor der Nukleardeal auf der Müllhalde der Geschichte landet und Trumps „best friends“ in Riad größenwahnsinnig werden, könnte Teheran sich gezwungen sehen, an einer Neuordnung in Damaskus konstruktiv mitzuarbeiten.
ist Politikwissenschaftlerin und freie Autorin. Sie berichtete von 2001 bis 2008 aus Damaskus für deutschsprachige Medien. Gerade erschien ihr neues Buch „Verzerrte Sichtweisen – Syrer bei uns“ bei Herder. 2012 verfasste sie: „Brennpunkt Syrien – Einblick in ein verschlossenes Land“.
Der Wettstreit um Syriens IS-Gebiete wird weiter eskalieren, manches Luftfahrzeug wird unter dem Jubel der Assad-Gegner abgeschossen werden. Natürlich geht es Trump dabei nicht um den Schutz von Menschen, schließlich hat die internationale Anti-IS-Koalition im Mai mehr Zivilisten als das Regime getötet. Trotzdem sind seine gezielten Angriffe auf Assads Kriegsgerät aus Sicht vieler Syrer die erste sinnvolle Intervention in diesem Konflikt, weil nicht Zivilisten, sondern militärische Strukturen Schaden nehmen. Sollten sie Assad zu ernsthaften Verhandlungen über eine Machtübergabe zwingen, wäre viel gewonnen. Schlimm nur, dass man sich dieser Tage freuen muss, wenn im Nahen Osten aus Ignoranz eine vage Chance auf Frieden erwächst.
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