Debatte Tierschutz: Das Tier als Herrenhandtasche
Bastelanleitungen für Sauenhütten, Tipps für schwangere Jägerinnen: Die Lektüre der „Jagdzeitung“ liefert Einblicke in eine verstörende Welt.
E rstmals im Leben habe ich mir ein Exemplar der Deutschen Jagdzeitung gekauft, vermutlich weil ich erstmals im Leben den Eindruck hatte, dass sich meine Interessen und die der Jäger überschnitten. „Wald voller Wutzen“, lautet nämlich der Titel des Aprilhefts, und erstens mag ich Alliterationen und zweitens Wildschweine. Auf dem Cover wühlen sich nicht weniger als 13 entzückende Frischlinge durch das Laub; ein Blick ins Inhaltsverzeichnis kündigt die Bastelanleitung für eine „Sauenhütte“ an. Mit deren Bau kann man es den Müttern solcher Frischlinge gemütlicher machen, damit sie ungestört von schlechten Witterungsverhältnissen willig im Wald der Wahl werfen.
Ich merke schon, von dem W komme ich nicht mehr weg. Jedenfalls scheuen manche Jäger anscheinend keine Mühe, sie werkeln mit Pfosten, Maschendraht, Dachlatten und Strohballen und legen sogar einen Graben zum Ableiten des Oberflächenwassers an. Richtig „wohlfühlen“ sollen sich die Wildschweine in ihrem „Eigenheim“. Die Belohnung für den Menschen ist teils ästhetischer Art: „Besonders im Winter und nach Regen liegen die Sauen oft vor der Hütte im Sonnenschein und genießen die Wärme.“ Es folgen aber auch praktische Empfehlungen, wie man die Eigenheimbewohnerinnen auf dem Weg zur oder von der Hütte abknallen oder verletzte Tiere nach einer Treibjagd dort „aufsammeln“ kann.
Gerade die Jagd auf Wildschweine begründen Jäger ja traditionell mit der gleichnamigen „Plage“, doch aus dieser Zeitschrift geht klar hervor, dass es andere Maßnahmen gäbe, die Wildschweinpopulation einzudämmen (zum Beispiel das gezielte Schießen von Bachen oder die Pille für die Sau). Aber: „Nur ein Jahr später wird gejammert, dass keine Sauen mehr im Revier sind.“ Und das will keiner.
Das jägerische Lob des Schweins ist wortreich und läuft darauf hinaus, dass es irgendwie auch Bestimmung und Glück der Schweine ist, erschossen zu werden. „Sie sind urig sowie wehrhaft, ganzjährig bejagbar, bei Tag und bei Nacht. Sie haben es zweifellos verdient, anständig bejagt zu werden.“
geboren 1970, lebt als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt erschien von ihr in Buchform: „Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen“, Verlag C. H. Beck 2014.
Dem Rotrock auf den Pelz rücken
Aber bevor jetzt wieder irgendwelche Tierschützer anrücken und den Jägern Speziesismus vorwerfen: Auch weniger urige und wehrhafte Spezies haben es natürlich verdient, anständig bejagt zu werden, daran besteht kein Zweifel! Der Bastelanleitung für die Sauenhütte folgt die für eine Marderfalle, und im Editorial wird geradezu überschwänglich für die Jagd auf den „Rotrock“ ins Jagdhorn geblasen, dem man nicht nur mit „Büchse oder Flinte“ auf den Pelz rücken solle, sondern auch mit Kastenfalle und Eisen.
Zur Erinnerung: Kastenfallen müssen laut Gesetz nur zweimal am Tag kontrolliert werden, daher sitzen die Tiere meist stundenlang in Panik fest, gehen bisweilen gar an Kreislaufversagen zu Grunde und werden gelegentlich auch schlicht vergessen. Abzugeisen (Totschlagfallen) sollen zwar zum sofortigen Tod führen, klemmen aber gerade größere Tiere wie Waschbären oft lebend und unter Qualen ein.
Dank der Fülle todbringender Mittel kommt eine erkleckliche Menge an Beutetieren zusammen, von deren Ablichtungen die Zeitschrift großzügig Gebrauch macht: noch mit Innereien oder bereits ohne, mit Blutlache im Schnee oder im Auto, schon steif oder noch warm. Mir war das vorher nicht so klar, aber nach diesen Fotos zu urteilen, ziehen Jäger mit toten, kopfunter hängenden Tieren so gern und selbstverständlich durch die Gegend wie Touristen mit ihren Herrenhandtaschen durch Berlin oder Neapel.
Wie viele Leute lesen überhaupt so eine Jagdzeitschrift? Schließlich hat heutzutage jede Kleingruppe von Durchgeknallten ihr Fachorgan. Die gedruckte Auflage der DJZ liegt bei 40.000, die Reichweite bei 300.000. Den Jagdschein besitzen in Deutschland übrigens 400.000 Menschen – sie haben also die Lizenz zum Benutzen und Erwerben von Waffen.
Dauerhaft in Besitz der Waffen zu bleiben, wird ihnen allerdings anscheinend schwer gemacht. Deutschland, deine Vorschriften und Behörden! Ein Artikel in besagtem Magazin ist den Scherereien gewidmet, die einem der „Amtsschimmel“ machen kann, wenn man zum Beispiel zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Ein Jäger bekam Probleme, bloß weil er bei einer Verkehrskontrolle betrunken erwischt wurde und sich durch Flucht der Polizei entziehen wollte. Auch von Patronen begleitete Drohbriefe an ungeliebte Mitmenschen sind wenig empfehlenswert. Man bedenke: „Beim Thema Waffen versteht der deutsche Amtsschimmel keinen Spaß.“
Spaßbremse „Amtsschimmel“
Auch wegen der Mitgliedschaft bei gewissen Organisationen kann einem der Waffenbesitz streitig gemacht werden. Das Foto zeigt Springerstiefel mit weißen Schnürriemen und einem gut bestückten Waffenschrank, an dem eine Bomberjacke hängt: „Wer einer verbotenen Organisation angehört, ist ganz schnell im Fokus der Behörden – Waffen ade.“ Dass die Zeitschrift ihre Abonnenten warnt, sie müssten sich im Falle des Erwischtwerdens gewissermaßen zwischen der Jagd auf Ausländer und auf Sauen entscheiden, bin ich geneigt, als fürsorglich-liebevoll zu verbuchen.
Wer sich nichts Derartiges zuschulden kommen ließ, kann sich weiter hinten im Heft zur Anschaffung weiterer Waffen Rat holen. Manch ein Gewehr „mutet recht militärisch an“, schreibt die DJZ, darunter ein Selbstlader mit Magazin und Zweibein, der aussieht wie ein militärisches Sturmgewehr, aber ganz offiziell für die Jagd konzipiert ist. Lieber Amtsschimmel, jetzt gib bitte nicht wieder die Spaßbremse . . . Das ist doch bloß ein bisschen Krieg spielen mit Tieren!
Auch Frauen hat die DJZ übrigens im Visier (kleines Wortspiel nach Art des Hauses). Im Maiheft soll es unter anderem um die Schwangerenjagd (also jagende Menschinnen) gehen. Auch die folgende Ankündigung habe ich mir jetzt nicht ausgedacht, Ehrenwort. Deren Überschrift lautet: „Pirschen mit dicker Kugel?“, der Teaser: „Worauf sollte eine werdende Mutti achten, um ihren Frischling nicht in Gefahr zu bringen“. Eine Frau wird folgendermaßen zitiert: „Meinem Baby hat es auf der Jagd immer gut gefallen.“ Diese Ausgabe brauche ich natürlich auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz