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Debatte Tag der ArbeitAbschiedsgruß an den 1. Mai

Kommentar von S. Bergt

Sämtliche Erneuerungsversuche für den ersten Mai sind gescheitert. Solange keine neuen Vorschläge kommen, sollte der Tag als das begriffen werden, was er ist: ein freier Tag.

D ie Chance kam nicht gerade auf einem Silbertablett serviert, aber jetzt ist sie da. Für den 1. Mai rufen Rechtsextremisten zum Aufmarsch nach Berlin - und plötzlich hat sich das Thema des Maifeiertags in der Hauptstadt verschoben: Nicht mehr eventuelle Krawalle am Abend sind das Thema, nicht mehr Routenkonflikte zwischen Demos und dem Straßenfest im Kiez. Auf einmal sind sich von Jusos bis Linkspartei, von Gewerkschaften bis Antifas alle einig über das Ziel: Die Nazidemo soll verhindert werden. Mit zivilem Ungehorsam in Form von Blockaden, "über alle sozialen, politischen oder kulturellen Unterschiede hinweg", so formuliert es das Bündnis selbst, soll der Aufmarsch verhindert werden.

Ist das endlich ein neuer politischer Impuls für den seit vielen Jahren an Inhalten armen 1. Mai? Ein Konsens vielleicht gar, der bis zu fünf verschiedene Demonstrationen in nur einer Stadt überflüssig macht und eine dafür umso kraft- und wirkungsvoller werden lässt? Schön wärs, aber realistisch ist es nicht. Das fängt mit den Gewerkschaften an. Sie positionieren sich zwar auch gegen den Naziaufmarsch. Aber auf ihre traditionelle Bratwurstkundgebung zur gleichen Zeit vor dem Brandenburger Tor wollen sie dann doch nicht verzichten. Und auch all die Politikerinnen und Politiker - zum Teil von Rang und Namen - unterstützen zwar die Naziblockierer und setzen sich am Samstag womöglich selbst dazu.

Doch auch dieser inzwischen ritualisierte Protest führt nicht wirklich zu einer gemeinsamen Grundsatzstrategie im Umgang mit dem Problem des Rechtsextremismus. Viel schlimmer: Debatten darüber gibt es immer weniger. Das zeigt: Der kleinste gemeinsame Nenner ist höchstens ein Feigenblatt, mit dem gleichzeitig all die Folklore verdeckt werden kann, die sich am Maifeiertag ausgebreitet hat - angefangen mit Snack und Bier für die Älteren morgens bis zum Abenteuer-Trip der erlebnisorientierten Jugend nach Kreuzberg am Abend.

Die Autor_innen

Svenja Bergt ist Redakteurin im Berlin-Teil, Felix Lee ist Redakteur für "Politik von unten" bei der taz.

Natürlich ist es lobenswert, richtig und wichtig, sich den Rechtsextremisten in den Weg zu stellen. Doch das auf einmal so breite Bündnis offenbart unfreiwillig eine Schwäche der Linken: Einen anderen Konsens außer der Blockade von rechten Aufmärschen gibt es nicht mehr, im Gegenteil: Alle anderen Veranstaltungen haben über die Jahre hinweg an TeilnehmerInnen und Inhalten oder sogar beidem verloren. Sämtliche Versuche, den Tag mit neuen Inhalten zu füllen, sind gescheitert.

Der 1. Mai in Berlin ist ein gutes Beispiel für die allgemeine Entpolitisierung: In der Hauptstadt trat 2002 der damalige FU-Professor Peter Grottian an, um mit einem politischen, zugleich aber polizeifreien Straßenfest die alljährlichen Krawalle zu reduzieren. Weder bei der Polizei noch auf Linksautonomen-Seite stieß er auf Zustimmung. Senat und Bezirksregierung griffen das Konzept mit dem "Myfest" ein Jahr später auf.

Inzwischen ist das Fest zwar weitgehend polizeifrei, aber auch frei von Politik. Und auch die Mayday-Parade der linken Gruppe Fels (Für eine linke Strömung) in Berlin war ein Versuch, am Tag der Arbeit prekäre Arbeit, Armut und soziale Ungerechtigkeit zum Thema zu machen. Andere Städte hatten die Idee vorher schon oder griffen sie dann auf. Doch in Berlin hat die Gruppe nach vier Jahren den Mayday für dieses Jahr abgesagt. Zu wenig Gruppen hätten sich beteiligt, der Partycharakter überwog, und über den 1. Mai hinaus habe es in der Alltagspolitik nur wenig Anknüpfungspunkte gegeben.

Im vergangenen Jahr am 1. Mai gelang es den vielen beteiligten Gruppen nicht einmal, das Thema, das ansonsten in aller Munde war, aufzugreifen: die Finanzkrise. Die befand sich bekanntlich vor einem Jahr auf dem Höhepunkt. Es war abzusehen, wie sehr sich die vielen Hilfsgelder für die Zockerbanken auf den Staatshaushalt niederschlagen würden - auf Kosten von Schulen, Schwimmbädern und sozialen Einrichtungen. Das Thema ist auch in diesem Jahr weiterhin brisant und hochaktuell. Trotzdem: Kapitalismuskritik ist in weiten Teilen der linken Szene offenbar zu kompliziert, wenn es um Details und die ganz konkreten Auswirkungen geht. Und in griffige und schreibare Parolen pressen lässt sie sich auch nicht.

Dass der Teufel zusätzlich in der Tradition liegen kann, zeigt nicht nur der Berliner 1. Mai. Das Problem der schwindenden Unterstützung kennen etwa auch die Organisatoren des alljährlichen Ostermarsches nur allzu gut. Das Symptom: Die Zahl der TeilnehmerInnen sinkt, die Zahl der zu bekämpfenden Themen steigt. So demonstrierten in diesem Jahr in Berlin rund 800 TeilnehmerInnen nicht nur gegen Krieg, Aufrüstung und Atomwaffen, sondern auch gegen Sozialabbau, Rassismus und Überwachung. Geholfen hat das thematische Potpourri nichts, im Jahr zuvor waren es noch rund 1.000 Teilnehmer.

Eine allgemein grassierende Demo- und Aktionsmüdigkeit unter Linken zu konstatieren, wäre aber zu kurz gedacht. Schließlich gewinnen die Proteste gegen Atomkraft in der letzten Zeit massiv an Stärke. Die gigantische Menschenkette am vergangenen Wochenende und die zwei Großdemonstrationen, einmal ebenfalls gegen Atomkraft, die andere gegen zu viel Netzkontrolle, haben es bewiesen. Der Unterschied: Es gibt fassbare Inhalte, ein konkretes Ziel und am Ende des Prozesses einen Erfolg oder Misserfolg. All das ist mehr als ein längst nur noch symbolisches Zeichen gegen Kapitalismus oder einen Sozialabbau, unter dem vermutlich jeder der 800 Demonstranten etwas anderes versteht. So erklärt sich auch, dass der Ostermarsch zumindest an einem Ort nicht unter Nachwuchssorgen leidet: In der Kyritz-Ruppiner-Heide im Norden von Brandenburg, dort, wo ein Truppenübungsplatz der Bundeswehr - das Bombodrom - immer noch nicht ganz endgültig vom Tisch ist, bleibt die Demonstrationsbereitschaft ungebremst.

Der 1. Mai in seiner bisherigen Form hat politisch ausgedient. Sämtliche Erneuerungsversuche sind gescheitert. Solange keine neuen Vorschläge kommen, sollte der Tag einfach mal als das begriffen werden, was er ist: ein freier Tag.

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10 Kommentare

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  • H
    hto

    S. BERGT & F.LEE: "Doch auch dieser inzwischen ritualisierte Protest führt nicht wirklich zu einer gemeinsamen Grundsatzstrategie im Umgang mit dem Problem des Rechtsextremismus."

     

    Der Rechtsextremismus ist ein SYMPTOMATISCHES Problem, des kapitalistischen Umganges mit Ausbeutung und Unterdrückung für die wettbewerbsgesteuerte / für die schizophrene Hierarchie in materialistischer "Absicherung" / für die konfusionierte Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll - wenn grundsätzlich, für ein wirklich-wahrhaftig gemeinsames Zusammenleben, dann müßte sich eindeutige Vernunft von der Ursache aller Probleme her fusionieren, doch dazu fehlt wohl der Wille und der Verstand!?

  • H
    hto

    S. BERGT & F.LEE: "Auf einmal sind sich von Jusos bis Linkspartei, von Gewerkschaften bis Antifas alle einig über das Ziel: Die Nazidemo soll verhindert werden."

     

    Ja, so merkwürdig schizophren ist die konfusionierte Realität des "gesunden" Konkurrenzdenkens im "freiheitlichen" Wettbewerb, dabei sind die Nazis ziemlich eindeutig auf dem Weg der Systemphilosophie von / in "Arbeit macht frei", von / in zeitgeistlich-systemrational gebildeter Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche, für die Hierarchie in materialistischer "Absicherung" - eben der "Tanz in den Mai / der Tanz um den heißen Brei"!?

  • KK
    Klaus Keller

    1933: Der 1. Mai wird durch das Gesetz vom 10. April 1933 von den Nationalsozialisten zum gesetzlichen Feiertag („Tag der nationalen Arbeit“) bestimmt...

     

    Zitat aus Wikipedia

     

     

    Vielleicht sollte man den Tag aus der Liste der Feiertage streichen.

     

     

    Ich schlage als Ausgleich den 1.Montag im September vor, da feiern Amerikaner und Kanadier ihren Labor Day, ich habe den Eindruck der Tag ist weniger belastet.

    Eine schöne Tradition in den USA zb seit 1882.

     

    klaus keller hanau

  • C
    claudia

    @anne bellin:

    >>Aber die Schnauze-voll-Haltung wegen Arbeitslosigkeit, Armut, hohen Mieten, ständigen Schikanen von der Polizei usw. ist keineswegs unpolitisch.

  • A
    avelon

    @Adebar

     

    Ausgehend von einer immer weitergehenden Institutionalisierung einer einstmals basisorientierten Arbeiterbewegung (ohne großkopferte hauptamtliche Funktionäre)wird aus einer Arbeitnehmervertretung eine kapitalistische Hierarchie von Wichtigtuern aufgebaut (was übrigens in allen Institutionen geschieht), die ein Durchdringen von Nöten und Problemen der Basis bis an die höchste Ebene fast unmöglich macht.

     

    Was mich am meisten an den Gewerkschaftsfunktionären enttäuscht, ist das blinde Vertrauen in die schwindende Basis, obwohl sie sich auf Dauer durch Mitwisserschaft und direkte und indirekte Mitwirkung an diesem neoliberalen System (siehe meinen 1. Beitrag) gegen die Arbeiter ihr eigenen Grab schaufeln und somit die Basis zunächst kopflos dastehen lassen.

     

    Obwohl, in jedem Fehlschlag einer Organisation liegt auch eine neue Chance, es eines Tages besser gestalten zu können. Basisorientiert wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts einen neuen alten Weg einzuschlagen.

  • A
    Adebar

    @avelon

    Leider kann ich Dir nicht widersprechen. Es gibt nur eine Methode. Die ehrenamtlichen Gewerkschaftsleute (Vertrauensleute) müssen sich einig sein, und ein Kontrollgremium über die Hauptamtlichen fordern. Nur wie soll das gehen ,wenn bei einer Mitgliederversammlung nicht mal 10% der Mitgileder sich interessiert und überhaupt kommt?.

    Leider ist das in vielen Fachgruppen und Betriebsmitgliederversammlungen so.

     

    Adebar

  • F
    Fordler

    Die Neonazis werden zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder in Berlin am Tag der Arbeit marschieren.

    Das heisst, die Krawalle, Zerstörungen und Verletzungen der letzten Jahre fanden ohne jegliche Beteiligung der Nazis statt und sind ausschließlich den Linksextremisten zuzuschreiben. Mal sehen, ob es diesesmal noch schlimmer kommt.

  • AB
    anne bellin

    So einen Blödsinn habe ich ja selten gelesen... als wäre der erste Mai eine Frage von bezahlten Eintrittsgeldern.

    Und wer entscheidet was politisch und unpolitisch ist? Es ist genau die ÜBerheblichkeit der Linken und der Journalisten, zu behaupten die Randale von Jugendlichen seien "unpolitisch". Dass sie keinen politischen Ausdruck gefunden haben ist eine andere Sache. Aber die Schnauze-voll-Haltung wegen Arbeitslosigkeit, Armut, hohen Mieten, ständigen Schikanen von der Polizei usw. ist keineswegs unpolitisch. Sie als solche zu begreifen ist genau der Grund dafür, warum diese Leute mit der Linken zwar irgendwie sympathisieren, aber letztlich nichts anfangen können. Und das ist auch der Grund warum solche kleinbürgerlichen Lifestyle-Linken, wie eben die taz-Autoren und viele andere dann bei großen Bewegungen regelmäßig verständnislos daneben stehen... Vielleicht sollten sie einfach mal aufhören von ihrer eigenen kurzen Vergangenheit als "erlebnisorientierte jugendliche" auf andere zu schließen.

  • A
    avelon

    Gewerkschaftsfunktionäre und die Gewerkschaftsbasis

     

    Aus eigener Erfahrung darf ich hier behaupten, daß zwischen den großkopferten Funktionären und der Basis Welten liegen.

     

    Das Klüngeln hinter verschlossenen Türen mit Arbeitgebern, die VIP-Partys, bei denen kein Funktionär fehlen darf, die Aufsichtsratssitze, das Wechseln auf die Gegenseite (Beispiel Deutsche Bahn), teilweise unter Tarif bezahlte MitarbeiterInnen usw. usf., all das macht es der Basis (die im übrigen am meisten und ehrenamtlich für die Gewerkschaften malocht) nicht einfach, noch an eine strikte Arbeitnehmervertretung zu glauben.

     

    Die Gewerkschaftsführungen haben zu lange das Ausmaß der Entsozialisierung und Entsolidarisierung verschlafen, da hilft auch kein Bundestagsmandat z.B. in der SPD und auch keine spektakulären Erfolgs-Einzelfälle, die in den Medien verbreitet werden.

     

    Entweder es findet eine Neuorientierung der Gewerkschaftsführungen statt oder die Macht derselben wird in wenigen Jahren auf ein Minimum heruntergefahren.

     

    Rufen Sie mal am 1. Mai: "Gewerkschaftsbosse raus aus den Aufsichtsräten und Arbeitgeber-Geklüngel!" Sie werden Gefahr laufen, von den Schafen der gutgläubigen Basis verprügelt zu werden.

  • H
    heier

    Zitat: "Alle anderen Veranstaltungen haben über die Jahre hinweg an TeilnehmerInnen und Inhalten oder sogar beidem verloren."

     

    Das ist schlicht und einfach falsch. Die sog. "18-Uhr-Demo", also die autonome revolutionärer 1. Mai-Demonstration, hat in den letzten Jahren großen Zuspruch erfahren. Von ca. 2000 Demonstrant_innen im Jahr 2006 steigerte sich die Zahl der Teilnehmer_innen seither auf (in den letzten beiden Jahren) konstant über 10 000 (2008: 15-20 000).

    Stellt sich die Frage, warum die taz das nicht erwähnt...