Debatte Syrienpolitik des Westens: Der geliebte Feind
Im Vergleich zu den Kämpfern von IS erscheint der radikale Werteverfall unter westlichen Eliten als Peanuts. Doch er ist die größte Gefahr.
Die Kämpfer des Islamischen Staats (IS), mit ihren schwarzen Hasskappen und Flaggen, ihrem schweren Kriegsgerät und ihren Gräueltaten – der Westen und seine Verbündeten lieben sie, wenn auch nur heimlich. Perfekt passen sie ins Bild vom Nahen Osten, der sich stets in Religionskriege verwickelt und damit das Vexierbild zur westlichen Aufklärung liefert.
Dank IS lässt sich die Welt wieder problemlos in Schwarz-Weiss einteilen: IS sind das ganze andere und ganz Böse. Im Vergleich dazu erscheinen die USA doch noch als Retter der Menschenrechte. Dass sie mithilfe der Achse des Guten Afghanistan in Schutt und Asche legten und unter falschem Vorwand in den Irak einmarschierten, Guantanamo schufen, Libyens Gaddafi wegbombten und anschließend vergaßen, beim zivilen Aufbau des Landes zu helfen, das alles gerät in Vergessenheit.
Genauso ignorieren viele, zumal deutsche Medien, dass es sich bei IS um eine internationale Gruppierung handelt, die viele Akademiker und Geheimdienstler in der Führungsriege versammelt, moderne Kommunikationsstrategien einsetzt. Diese Armee mordet zudem nicht nur, sondern weiß auch mit Öl zu handeln, verfügt also über gute Handelskontakte. Ihre Führer repräsentieren nicht das „ganz Andere“, sondern sind Teil einer internationalen Elite. Sei‘s drum. Jetzt ist die rote Linie überschritten, jetzt wird aufgerüstet.
Welche Erleichterung, auch für Deutschland, dessen Präsident und Verteidigungsministerin zur Freude hiesiger Rüstungsfirmen internationale Verantwortung mit Militärhilfe gleichsetzen. Schnitt.
Vergessene Giftgasattacke
Der Jahrestag der Giftgasanschläge in Syrien ist es erst 10 Tage her. Kaum einem Medium bot er Anlass, dorthin zu blicken, wo am 21. August an nur einem Morgen 1.400 Menschen vergast wurden. Warum nicht? Mithilfe von Skype lässt sich durchaus mit Überlebenden vorort Kontakt aufnehmen, manche haben stundenweise Strom und hoffen immer noch, dass sie gehört werden. Ihre Berichte lassen sich miteinander vergleichen, insofern kann ein Bild von der Lage gezeichnet werden, auch wenn keine westlichen Journalisten dort sind.
Der Medienaktivist Tareq A. (das ist sein Pseudonym) etwa erzählte mir von verstärkten Bombenangriffen auf Ost-Ghouta (Achtung! Diese Seite zeigt möglicherweise verstörende Bilder von Verletzten und Toten): „Das Regime feiert den Jahrestag auf seine Weise“. Das deckt sich mit vielen Einträgen auf Facebook.
Seit dem Anschlag hat das Regime die Region abgeriegelt, Hilfsgüter kommen hier nicht an, die Menschen hungern, viele sterben. Die wenigen eingeschmuggelten Lebensmittel sind horrend teurer. A. ist Ende zwanzig und Englischlehrer, seine Familie verfügt noch über etwas Geld. Offiziell sind Sommerferien, doch der sehr dünne junge Mann bezweifelt, dass sie den schon seit zwei Jahren improvisierten Unterricht fortsetzen können.
Jeden Tag geht er ins Feldhospital, fotografiert dort die Verletzten und Toten, um den Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu dokumentieren und lädt die Bilder auf seiner Website hoch. Seine Facebook-Seite hat derzeit mehr als 45.000 Abonnenten.
Wo bleibt die US-Armee?
Wer kämpft auf Seiten der Rebellen, frage ich. Vor allem islamische Gruppen, sagt er. Und dass er guten Kontakt zu ihnen habe, aber keiner Gruppierung gehören wolle: „Ich bin Zivilist“. Was ich denke, wie es weiter geht, möchte er im Gegenzug wissen.
Während ich noch zögere mit einer Antwort, höre ich ein dumpfes Geräusch im Hintergrund. Das sind Bomben, erklärt er. Dimashqis Englisch ist fast fehlerfrei. Ob er jetzt nicht in einem Keller oder so Schutz suchen sollte? Meine Frage löst ein gutmütiges Lachen aus. So etwas haben wir hier nicht. Erneut will der junge Mann wissen, welche Zukunft ich für Syrien sehe. Die USA werden im Irak den Vormarsch von IS nicht länger dulden und intervenieren, antworte ich vorsichtig. „Werden sie auch in Syrien eingreifen, endlich?“, fragt er sofort, „auch hier sterben jeden Tag viele Menschen und die Stadt Raqqa ist die Basis von IS“. Ich zucke mit den Schultern, er holt tief Luft. Wir verabschieden uns.
Dass Assad gerade als Verbündeter der USA im Kampf gegen IS rehabilitiert wird, habe ich mich nicht getraut zu sagen. Er wird es anderweitig erfahren.
BND und Syrien
Noch vor einem Jahr wollten die USA und auch Deutschland Baschar al-Assad loswerden. Dann reiste Geheimdienstchef Schindler nach Damaskus, der BND unterhält traditionell gute Kontakte zum syrischen Regime. Die Süddeutsche vermutete, dass Schindler vor allem Informationen über deutsche Islamisten haben wollte. Irgendwie verebbte die Kritik an Assad nach diesem Treffen, das vom BDN dementiert wurde.
Solange Terror allein als Sicherheitsproblem bekämpft und die sozialen Voraussetzungen für den Fundamentalismus genauso wie ihre Profiteure ignoriert werden, solange werden IS und die anderen Gruppierungen weiterhin Zulauf haben und Millionen von Menschen in die Flucht treiben. Staaten, die einen niedrigen Ölpreis brauchen, um ihre Ökonomie am Laufen zu halten, wie die Türkei, kommt das zupass. Genauso wie der internationalen Rüstungsindustrie und allen Händlern auf dem Schwarzmarkt.
Die Vereinten Nationen wiesen jüngst darauf hin, dass mittlerweile nahezu jeder Zweite in Syrien sein Zuhause verlassen musste. Viele versuchen, in den Irak zu fliehen – in der Hoffnung auf internationale Hilfe, die es in Syrien seit drei Jahren für sie nicht gibt. In der Türkei, in Jordanien und im Libanon sind bereits Millionen Syrer gestrandet. Der Hass auf sie wächst, denn ihre Not bringt auch diese Länder aus dem Gleichgewicht.
Terror scheint ein einfaches Phänomen zu sein: Bewaffnete Gruppen unterjochen und töten Zivilisten mithilfe von fadenscheinigen moralischen Grundsätzen.
Doch zuzulassen, dass Millionen von Menschen auf der Flucht sind, ohne dass Strategien zu ihrer Hilfe entwickelt werden, dieser radikale Werteverfall ist auch eine Spielart von Terror. Er wird vor allem die hiesigen Demokratien weiter aushöhlen.
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