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Debatte Staatszerfall in AfrikaInstitutionen statt Diktatoren

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Guinea, Simbabwe: Vielen afrikanischen Staatswesen droht Zerfall - denn jenseits der alten Führer fehlen Strukturen. Doch das postkoloniale Freiheitsideal ist noch zu retten.

Wir ziehen die Armut in Freiheit dem Reichtum in Knechtschaft vor", war der Schlachtruf des stolzen guineischen Revolutionärs Sékou Touré, als er Guinea vor fünf Jahrzehnten in die Unabhängigkeit führte. Als einziger politischer Führer Französisch-Westafrikas hatte Touré bei der von General de Gaulle organisierten Volksabstimmung über die Zukunft des Kolonialreiches für ein Nein zur Kolonialmacht geworben - erfolgreich. Das gekränkte Frankreich bestrafte ihn, indem es Guinea am 12. Oktober 1958 in eine unvorbereitete Unabhängigkeit entließ, mit bis auf den letzten Bleistift leer geräumten Büros und einer bewusst zerstörten administrativen und ökonomischen Infrastruktur.

Bild: taz

Dominic Johnson ist seit 1990 Afrika-Redakteur der taz. Dieses Jahr erschien von ihm im Verlag Brandes und Apsel das Buch "Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens".

Mit seinem Spruch von "Armut in Freiheit" wollte Sékou Touré die Bestrafung zur Befreiung umdefinieren. Guinea sah sich als Vorreiter eines aufrechten, geeinten Afrikas, das in der Welt als gleichberechtigter Mitspieler statt als unterwürfiger Rohstofflieferant auftritt. Es war ein schöner Traum, der schnell platzte. Sékou Touré und sein Nachfolger Lansana Conté, der 1984 die Macht ergriff, bauten finstere Diktaturen auf, die Menschen leben heute in unbeschreiblichem Elend. 50 Jahre nach dem Beginn der "Armut in Freiheit" kennt Guinea vor allem Armut in Knechtschaft.

Nun ist Diktator Conté gestorben, und Guinea könnte zum Brandherd eines blutigen Bürgerkrieges werden. Guineas Armee, die jetzt die Macht zu ergreifen scheint, schießt gerne auf unbewaffnete Zivilisten. In den Slums der Hauptstadt Conakry gärt eine gewaltbereite, radikale Jugendopposition. Seit Jahren ist die Politik des Landes wie erstarrt, weil auf den Tod des schwerkranken Staatschefs alle öffentlichen Akteure warteten - die durch Diebstahl reich gewordene Elite um den bisherigen Präsidenten, die Offiziere der aufsässigen Armee, die frustrierten Technokraten in Staatsbetrieben und Ministerien, die militanten Gewerkschaften, die ethnisch zerstrittene zivile Opposition. Nun sind sie unter sich - und keiner gönnt dem anderen freiwillig den Vortritt.

Guinea und Lansana Conté sind keineswegs einzigartig. So hat Somalia nie zur funktionierenden Staatlichkeit zurückgefunden, seit Anfang 1991 der langjährige Militärherrscher Siad Barre gestürzt wurde. Die Seeräuberei als drastischen Ausdruck dieses inneren Chaos sollen jetzt Kriegsmarinen aus aller Welt bekämpfen. Kaum weniger Sorgen bereitet heute Simbabwe, das unter Langzeitdiktator Robert Mugabe in einen albtraumhaften und schier endlosen Niedergang geschlittert ist. Beobachter im In- und Ausland mutmaßen, dass es zu Lebzeiten des Staatschefs keine Wende zum Besseren mehr geben kann.

Simbabwe unter Robert Mugabe und Guinea unter Sékou Touré und Lansana Conté haben so viel gemeinsam, dass es den Völkern beider Länder Angst machen müsste. Simbabwes späte Unabhängigkeit 1980 nach langem Guerillakrieg war ebenso untypisch für Afrika wie Guineas frühe Entkolonialisierung 1958. Mit Mugabe schließt sich die von Touré begonnene illustre Reihe postkolonialer afrikanischer Autokraten, die von Volkshelden zu Schreckensfiguren mutiert sind.

Beide haben sie sich mit ihrem Land gleichgesetzt und - im Namen eines zunehmend hohlen Anspruchs auf panafrikanische Führerschaft - jegliche Kritik als unzulässigen Anschlag auf die Daseinsberechtigung der Nation zurückgewiesen. Ebenso wie die beiden Führer Guineas hat auch Robert Mugabe ein politisches System aufgebaut, das die Möglichkeit einer geordneten Machtübertragung an einen neuen Präsidenten strukturell ausschließt. Das System stirbt mit seinem Verkörperer, und vorher ist keine wesentliche Veränderung möglich.

Eine Gemeinsamkeit solcher Systeme, überall auf der Erde, ist die Unmöglichkeit einer ehrlichen Diskussion über ihre Veränderung. Solange der allmächtige Herrscher lebt, kann man nicht offen darüber sprechen; aber wenn er stirbt, ist es zu spät. Dann zählen nur noch die Macht des Stärkeren und die politische Reife der möglichen Akteure. Die pragmatisch beste Aussicht auf Stabilität bietet hier immer noch eine geordnete Übertragung der Macht von einem Diktator auf den nächsten. Die Freiheitshoffnungen der Bevölkerung bleiben dabei freilich in der Regel weiter unberücksichtigt.

In extrem personalisierten Machtsystemen hängt jede Möglichkeit von Politik überhaupt eben in erster Linie an Personen, nicht an Verfahren und Regeln. Dass das Machtteilungsabkommen vom September 2008 zwischen Simbabwes Präsident Mugabe und Oppositionsführer Morgan Tsvangirai nicht umgesetzt wird, liegt an der Person Mugabe, nicht am Text des Abkommens. Guinea ist auf dem Papier eine parlamentarische Demokratie, aber Präsident Conté sah sich bis zuletzt als über dem Recht stehend, und die verfassungsmäßigen Institutionen seines Landes blieben leere Hülsen staatlicher Macht. Somalias Warlords haben mehr Friedensabkommen miteinander unterschrieben als alle anderen Bürgerkriegsparteien Afrikas, aber von der Integration in ein für alle verbindliches Staatswesen sind sie am weitesten entfernt.

Ist also jede Hoffnung vergebens? Keineswegs. Die Friedensprozesse und Demokratisierungen, die inzwischen fast jedes afrikanische Land schon mindestens einmal durchgemacht hat, können funktionieren. Schlüssel dafür ist, dass jene Politiker, die sich durch ein politisches Abkommen einen Freibrief für zukünftige Amtsanmaßung und illegale Bereicherung erhoffen, von ihren eigenen Anhängern in die Schranken gewiesen werden.

In der Elfenbeinküste haben Regierung und Rebellen nach jahrelangem Krieg und Spaltung des Landes einen provisorischen Ausgleich gefunden, der beiden Seiten ein Interesse an sauberen Wahlen im nächsten Jahr gibt. In Nigeria machte die im islamischen Norden verankerte Militärelite, die das Land jahrzehntelang ausgeplündert hatte, vor neun Jahren ihren Frieden mit dem neuen demokratischen System. Denn sie wurde zum einen nicht komplett ausgeschlossen und konnte zum anderen ihr politisches Gewicht nur durch die Akzeptanz ihrer einstigen Gegner wahren.

Das bekannteste Erfolgsmodell ist Südafrika, dessen weiße Minderheit sich mit Demokratie und schwarzer Mehrheitsherrschaft einverstanden erklärte, sobald klar war, dass ihr Lebensstil und -standard zumindest vorerst erhalten bleiben würden. Südafrika, Nigeria und die Elfenbeinküste haben mindestens ebenso machtversessene Politiker wie Simbabwe, Somalia und Guinea, aber sie haben es geschafft, vom Rande des Abgrundes wegzusteuern.

Sékou Tourés alter Schlachtruf lässt sich eben auch innenpolitisch wenden: Die Reichen akzeptieren die Machtbeteiligung der Armen, damit beide Seiten ein Interesse an ihren Institutionen haben. Die Alternative führt ins Desaster: Armut in Knechtschaft für die Massen und Reichtum in Freiheit für die Ausgewählten. Eine größere Perversion des afrikanischen Freiheitsideals hätte sich selbst Sékou Touré nicht träumen lassen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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